Vor 100 Jahren, am 16. März 1923, starb der Bruckner-Schüler und -Biograph August Göllerich. Zusammen mit Max Auer publizierte er die erste große Bruckner-Biographie in neun Bänden.
Autorin: Andrea Harrandt
August Göllerich wurde am 2. Juli 1859 als Sohn des gleichnamigen deutschnationalen Politikers in Linz geboren. Schon früh erhielt er Klavierunterricht. In Wien studierte er an der Technischen Hochschule, wirkte aber bald auch als Pianist und unternahm Konzertreisen.
Anton Bruckner war er erstmals 1869 in Wels begegnet, als sich dieser auf dem Rückweg von seiner Orgelreise nach Frankreich befand. „Da traf mich zum ersten Male seines Auges Strahl“, erzählte Göllerich später von diesem Erlebnis (Göllerich /Auer, Bd 1, S.9). Im Oktober 1877 traf er gemeinsam mit seinem Vater Bruckner im Restaurant Gause in Wien wieder: „Der Eindruck dieses Abends, des ersten, den ich mit Bruckner in einer Zeitspanne von siebzehn Jahren verbringen durfte, ist mir nie verblaßt. Der Einblick in den Kampf zwischen Künstler und Welt, zwischen Freiheit und Parteiung, der sich mir erschlossen, erschütterte mich so heftig, daß ich fortan jeden von der Gegenseite angestellten Versuch, mich dem Kreise ‚Hanslick- (später Kalbeck-) Dumba – Billroth‘ zu nähern, abwies …“ (Göllerich /Auer, Bd 1, S. 10-14)
Ab 1884 besuchte Göllerich Bruckners Vorlesungen über Harmonielehre und Kontrapunkt an der Wiener Universität. Mit einem Kreis von Gleichgesinnten, dem auch August Stradal, Hugo Wolf und Nicolaus Oesterlein angehörten, setzte er sich mit der Musik der damaligen Moderne (Héctor Berlioz, Richard Wagner, Franz Liszt) auseinander.
Nachdem er Franz Liszt erstmals 1882 in Bayreuth begegnet war, wurde er ihm im April 1884 in der Wohnung von Liszts Wiener Verwandten im Schottenhof vorgestellt. „Eine Erscheinung wie die Liszt’s kann überhaupt nicht mehr in mein Leben treten“, schrieb er an seine Mutter und seine Schwester (Elisabeth Maier, Années de Pelèrinage Teil 1, S. 28). Göllerich wurde für zwei Jahre Liszts Schüler, Sekretär und Gesellschafter in Weimar, Budapest, Rom und Bayreuth. Göllerichs Tagebücher sind ein wertvolles Zeugnis für diese Zeit und zeigen, wie sehr er in seiner Kunstauffassung und persönlich von Liszt geprägt wurde, mehr als von Bruckner, mit dem sein Name bis heute untrennbar verbunden ist.
Franz Liszts Tod am 31. Juli 1886 in Bayreuth erschütterte Göllerich zutiefst. Er begann mit der Arbeit an seiner Biographie und seinem Werkverzeichnis und führte gemeinsam mit August Stradal die symphonischen Dichtungen in einer Fassung für Klavier auf. Im Winter 1887/88 folgte er der Einladung des russischen Mäzens Pavel Sorokoumowsky, mit dem er ausgedehnte Reisen unternahm, Konzerte gab und die Werke Liszts in die entlegensten Städte Russlands brachte. Nach seiner Rückkehr und dem Tod der Mutter 1889 verlor Göllerich seine gesicherte Existenz. In dieser Lebensphase näherte er sich immer mehr einem „geistigen Alldeutschland“ und dem Antisemitismus. Er wirkte auch als Musikreferent der von Engelbert Pernersdorfer und Georg von Schönerer herausgegebenen Zeitung Deutsche Worte und im Deutschen Volksblatt, wobei er eine strikt deutschnationale Haltung einnahm.
Auf Empfehlung Cosima Wagners übernahm Göllerich 1890 die Direktion der Ramann-Volkmannschen Musikschule in Nürnberg. 1893 heiratete er in Wien die Liszt-Schülerin Gisela von Pászthory, geb. Voigt von Leitersberg (1858-1946), die drei musikalische Kinder in die Ehe mitbrachte, denen noch ein Sohn und eine Tochter folgten. In Nürnberg übernahm Göllerich auch die Leitung des Wagner-Vereins und führte Werke von Franz Liszt auf.
1896 kehrte Göllerich als Musikdirektor des Linzer Musikvereins und Schuldirektor der Musikvereinsschule nach Oberösterreich zurück. Gleichzeitig übernahm er auch die Leitung des Männergesangvereins „Sängerbund“, ab 1899 auch jene der Liedertafel „Frohsinn“. Es begann eine rege Tätigkeit als Pädagoge, Konzertpianist, Schriftsteller und Dirigent.
Nach dem Tod Bruckners initiierte Göllerich 1897 eine schließlich vom Linzer Gemeinderat geschaffene Bruckner-Stiftung, mit der „die regelmäßige Aufführung aller großen Werke des Meisters in volkstümlichen Festkonzerten des Musikvereins sichergestellt werden sollte“. Vom 20. März 1897 bis zum 28. März 1920 fanden zehn Festkonzerte im Festsaal des Kaufmännischen Vereinshauses oder im Volksgartensaal statt.
Daneben veranstaltete Göllerich noch eine zweite Konzertreihe mit Chor- und Orchesterwerken, die ab 1896 regelmäßig stattfand. So wurde etwa Bruckners Zweite Symphonie am 27. November 1898 erstmals in Linz aufgeführt. Es erklang auch der "Wach auf-Chor" und die Schlussansprache des Hans Sachs aus Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg". Beides war am 4. April 1868 von Bruckner selbst in Linz uraufgeführt worden, gute zwei Monate vor der Uraufführung des gesamten Werkes in München.
1906 stellte sich Göllerich an die Spitze eines Aufrufs zur Errichtung eines Bruckner-Denkmals in Linz, das aber nie ausgeführt wurde. Auf Einladung der Universität Wien hielt er am 26. Oktober 1906 zur Gedächtnisfeier zum 10. Todestag Anton Bruckners eine Festrede, ebenso 1912 zur Enthüllung der vom Wiener Akademischen Gesangverein gewidmeten Bruckner-Gedenktafel im Arkadenhof der Universität Wien.
Göllerich trug sich schon lange mit dem Gedanken einer Bruckner-Biographie, die jedoch durch das Sammeln von Materialien, die Aufführung seiner Werke und das Verfassen von Büchern über Liszt und Beethoven lange Zeit nur Projekt blieb.
Erstmals bezeichnet Bruckner Göllerich in seinem Brief vom 7. Juli 1885 als „mein lieber Biograph“. Am 30. September desselben Jahres heißt es: „Lieber Freund! Ich meine, die Biografie kann warten; eigens deßwegen sollten Sie sich nicht die Auslage machen.“
Göllerich selbst schrieb in einem Brief vom 31. März 1891 an Oddo Loidol in Kremsmünster: „Vom Meister autorisirt, die Biographie Bruckner’s zu verfassen“, was Bruckner am 11. Mai nochmals bestätigte: „Daß Du mein berufener, authorisirter Biograph bist, versteht sich ja von selbst.“
1902 veröffentlichte Göllerich zunächst in der Zeitschrift Die Musik und dann in der Linzer Tages-Post einen Aufruf zwecks Sammlung von Material zu seiner Bruckner-Biographie.
Die erste Biographie Bruckners war noch zu Lebzeiten des Komponisten 1895 in Linz erschienen, verfasst von Franz Brunner. 1905 gab Rudolf Louis das erste umfangreichere Werk in München heraus. 1911 schließlich publizierte der Linzer Lehrer und Beamte Franz Gräflinger sein Buch Anton Bruckner. Bausteine zu seiner Lebensgeschichte. Nicht Göllerich selbst, sondern ein Kreis um ihn herum, der sich auf das Diktum vom „authorisirten Biographen“ berief, provozierte einen publizistischen Wirbel, der Gräflinger vernichten sollte. Bösartige Kritiken erschienen, Gräflinger setzte sich zur Wehr. Die in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek vorhandenen Briefe von Friedrich Waldeck an Gräflinger bezeugen die Bemühungen, gegen den Protest vorzugehen und vor allem die „Drahtzieher“ zu ermitteln. Der Musikkritiker Richard Batka meinte: „Auf jenes Hauptwerk aus Göllerichs autorisierter Feder warten wir seit zwei Dezennien. Immer wieder ist es uns als ‚binnen kurzem erscheinend‘ versprochen worden und immer wieder wurde unser Hoffen bitter getäuscht […] Niemand bezweifelt, daß der vortreffliche Göllerich von Bruckner zu seinem Biographen bestimmt wurde. Aber daraus den Schluß abzuleiten, daß sich kein Anderer biographisch mit Bruckner befassen und damit ‚versündigen‘ dürfe, erscheint doch einigermaßen bedenklich, jedenfalls ungeheuer übertrieben. Ein Monopol auf historische Brucknerstudien gibt es nicht [....] (Fremdenblatt, 8. 8. 1911). Letztendlich sprach niemand mehr über den „Bruckner-Boykott“.
Schließlich verzögerte auch der Erste Weltkrieg die Drucklegung von Göllerichs Bruckner-Biographie. Bald schon wurde der Lehrer und Schriftsteller Max Auer, dessen lebenslange Arbeit im Dienst Bruckners stand, Göllerichs Mitarbeiter. Er brachte das weitgehend ungeordnete Material in eine Form und konnte das große Werk 1937 vollenden. Göllerich starb nur 14 Tage vor Erscheinen des ersten Bandes der Biographie am 16. März 1923. Auer selbst, dessen Nachlass sich ebenfalls in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek befindet, hatte seine eigene, populärwissenschaftliche Biographie Bruckners Göllerich zuliebe viele Jahre zurückgehalten.
„Gigantisch ragt die Erscheinung Anton Bruckners aus den Erinnerungen meiner Knabenzeit“, so beginnt Göllerich das Vorwort des ersten Bandes. Das neunbändige Werk ist aus seiner Enstehungszeit zu verstehen. Auer beließ die von Göllerich stammenden Textstellen und setzte sie in eckige Klammern. Trotz aller Fehler und Unschärfen ist die große Bruckner-Biographie von Göllerich und Auer auch heute noch ein unverzichtbares Standardwerk für die Bruckner-Forschung.
Seit 1975 befindet sich der Nachlass August Göllerichs in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
Über die Autorin: Frau Dr. Andrea Harrandt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
Brunner, Franz: Dr. Anton Bruckner. Ein Lebensbild. Linz 1895
Göllerich, August: Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild. Bd. 1. Regensburg 1922
Göllerich, August: Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffens-Bild von August Göllerich nach dessen Tod ergänzt und herausgegeben von Max Auer. Bd. 2-4. Regensburg 1928-1937 (Nachdruck Regensburg 1974)
Göllerich, Familie, in: Anton Bruckner-Lexikon online
http://www.bruckner-online.at/?page_id=1433&id=d1e1407# (zuletzt eingesehen am 28.2.2023)
Gräflinger, Franz: Anton Bruckner. Bausteine zu seiner Lebensgeschichte. München 1911
Kaiser, Stefan Ikarus: August Göllerich (1859-1923): Pianist, Dirigent, Musikpädagoge, Musikschriftsteller. Zum 150. Geburtstag einer Linzer Musikerpersönlichkeit von internationalem Rang, in: OÖ. Heimatblätter 2009, Heft 1 / 2, S. 69-92
Louis, Rudolf: Anton Bruckner. München 1905
Maier, Elisabeth: Années de Pèlerinage. Neue Dokumente zu August Göllerichs Studienzeit bei Franz Liszt und Anton Bruckner. Teil 1 und 2. (Wiener Bruckner-Studien 4). Wien 2013 und 2018
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