Esperanto, Plansprachen und Sprachplanung

Forschung

25.07.2019
Plansprachen
Grafik, Reiterstandbild vor der Österreichischen Nationalbibliothek mit grünem Stern
Zum 90-Jahr-Jubiläum des Esperantomuseums der Österreichischen Nationalbibliothek

Autor: Bernhard Tuider 

Esperanto ist die am weitesten verbreitete Plansprache der Welt. Sie wird heute in mehr als 100 Ländern von – je nach Schätzung – bis zu zwei Millionen Menschen gesprochen. » Ludwik L. Zamenhof (1859–1917) initiierte die Sprache und publizierte 1887 das erste Lehrbuch für Esperanto, » Lingvo Internacia („internationale Sprache“). Er legte darin die grammatischen Grundregeln fest, die für Esperanto bis heute gelten. Der Name leitet sich von seinem Pseudonym Doktoro Esperanto („Doktor Hoffender“) ab.

Ein wichtiger Kristallisationspunkt dieser Sprache, die vor 132 Jahren antrat, um Sprachkonflikte zu überwinden und damit zum Weltfrieden beizutragen, ist das Esperantomuseum der Österreichischen Nationalbibliothek.

Die Idee zu einer systematischen Esperanto-Dokumentation stammte von Feliks Zamenhof (1868–1933), einem Bruder des Esperanto-Initiators. Feliks Zamenhof machte im Sommer 1927 während des 19. Esperanto-Weltkongresses in Danzig den Vorschlag, anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Sprache im Jahr 1937 eine internationale Esperantobibliothek zu gründen. Hugo Steiner (1878–1969), ein pensionierter Eisenbahnbeamter, der dem Kongress in Danzig beiwohnte, begann deshalb unverzüglich nach seiner Rückkehr nach Wien mit dem Aufbau einer Dokumentationsstelle, die auch museale und archivalische Funktionen erfüllen sollte. Das Internacia Esperanto-Muzeo en Wien wurde 1927 zunächst als Verein gegründet (Tuider 2018a: 134-135).

Wesentliche Gründe für die Schaffung des Internationalen Esperanto-Museums in Wien waren die weite Verbreitung des Esperanto und die relativ große Bedeutung, die ihm in den 1920er-Jahren in der Öffentlichkeit zukam: 1922 wurden in Wien vor allem von Mitgliedern der Polizei, der Arbeiterbewegung und der katholischen Kirche mehr als 70 Esperanto-Kurse organisiert. 1924 besuchten 3.400 Menschen den 16. Esperanto-Weltkongress in der Bundeshauptstadt. Auch Politiker schätzten die Vorteile des Esperanto – besondere Förderer waren die Bundeskanzler Johann Schober (1874–1932) und Ignaz Seipel (1876–1932) (Mayer 2012: 152-154).


Abb. 1: Hugo Steiner (2.v.l.), Johann Schober (3.v.l.) und der Generaldirektor der Nationalbibliothek, Josef Bick (4.v.l.), im Internationalen Esperanto-Museum, Wien 1931

In einer biografischen Notiz machte Hugo Steiner darauf aufmerksam, dass Schober sowohl bei der Gründung des Esperantomuseums, als auch bei dessen vertraglicher Integration in die Nationalbibliothek am 30. September 1928 die entscheidende Kraft war (Steiner 1938: 7).


Abb. 2: Eröffnung des Internationalen Esperanto-Museums, Wien 1929

Die feierliche Eröffnung des Internacia Esperanto-Muzeo en Wien erfolgte am 1. August 1929 durch Bundespräsident Wilhelm Miklas (1872–1956) im Prunksaal der Nationalbibliothek: Rund 600 Gäste waren zu diesem Ereignis aus mehr als 30 Ländern angereist, unter ihnen auch Lidia Zamenhof (1904–1942), eine der Töchter von Ludwik Zamenhof.

Durch die Aufnahme des Esperantomuseums in die Nationalbibliothek und den relativ raschen Bestandsaufbau entwickelte sich Wien zu einem Zentrum der Lingvo Internacia: 1934 fand im Parlament die internationale Konferenz „Esperanto in Schule und Praxis“ statt, 1936 tagte der 28. Esperanto-Weltkongress in der Hofburg – zu einem Zeitpunkt, als Esperanto-Vereinigungen im Deutschen Reich bereits verboten waren.


Abb. 3: Internationale Konferenz „Esperanto in Schule und Praxis“. Am Rednerpult Friedrich Stockinger, Minister für Handel und Verkehr, Wien 1934

 


Abb. 4: Plakat 28. Esperanto-Weltkongress, Wien 1936

Nachdem die Gestapo das Esperantomuseum am 21. März 1938 geschlossen und versiegelt hatte, beabsichtigte sie alle plansprachlichen Bücher und Dokumente nach Berlin zu transportieren. Der kommissarische Leiter der Nationalbibliothek, Paul Heigl (1887–1945), konnte den Abtransport aber verhindern, indem er in einem Brief darauf hinwies, dass es sich bei dem Bestand um unveräußerliches Eigentum der Nationalbibliothek handle. Die Dokumente und Bücher wurden deshalb in Kisten verpackt und in den Kellern der Hofburg deponiert. Dadurch überstanden sie den Zweiten Weltkrieg unbeschadet und konnten 1947 durch die Wiedereröffnung des Esperantomuseums im Michaelertrakt der Hofburg wieder zugänglich gemacht werden (Köstner 2005: 180-182, Tuider 2018b: 135).

Seit 2005 befinden sich das Esperantomuseum und die Sammlung für Plansprachen im Palais Mollard in der Herrengasse 9. Dort können alle Interessierten interaktive Medienstationen, bedeutende Publikationen, Objekte, Plakate und Archivalien entdecken, die eindrucksvoll die weite Verbreitung und vielseitige Verwendung der Sprache dokumentieren. Die Dauerausstellung bietet BesucherInnen aber faszinierende Einblicke nicht nur in Esperanto, sondern auch in zahlreiche weitere künstlich geschaffene Sprachen. In den letzten Jahrzehnten wurden viele Plansprachen eigens für Film und Fernsehen entwickelt wie etwa Klingonisch aus „Star Trek“ oder „Dothraki“ aus „Game of Thrones“.


Abb. 5: Esperantomuseum

Zusätzlich zu den Exponaten in der Ausstellung verwaltet das Esperantomuseum circa 40.000 Flugblätter, 35.000 Druckschriftenbände, 25.000 Zeitungsausschnitte, 22.000 Fotos und Fotonegative, 10.000 Manuskripte und Autografe, 3.700 verschiedene Zeitungs- und Zeitschriftentitel, 3.500 museale Objekte sowie Plakate, Tonträger, DVDs, Filme und 67 Archive personeller und institutioneller Provenienz. Zu den umfangreichsten Nachlässen gehören jene von Max Talmey (1867–1941), Kálmán Kalocsay (1891–1976), » Eugen Wüster (1898–1977), Walter Mudrak (1904–1998), Andreas Juste (1918–1998), Manuel de Seabra (1932–2017) und Otto Back (1926–2018).

Zahlreiche bereits » digitalisierte Bestände können über die » Website der Sammlung für Plansprachen oder direkt über den » QuickSearch-Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek eingesehen werden, darunter etwa Originalkorrespondenzen von Ludwik Zamenhof. Die digitalisierten plansprachlichen Periodika können auch in » ANNO, dem digitalen Zeitungs- und Zeitschriftenlesesaal der Österreichischen Nationalbibliothek, gelesen werden.

Anlässlich des 90-Jahr-Jubiläums haben BesucherInnen am 17. Oktober 2019 die Möglichkeit, an einem speziellen Esperanto-Workshop teilzunehmen. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten bildet ein internationales Symposium zum Thema „Esperanto, Plansprachen und Sprachplanung“, das am 24. und 25. Oktober 2019 an der Österreichischen Nationalbibliothek stattfinden wird.­

Über den Autor: Mag. Bernhard Tuider ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sammlung für Plansprachen der Österreichischen Nationalbibliothek.

Literaturverzeichnis:

Köstner, Christina (2005): Glück im Unglück. Das Esperantomuseum an der Nationalbibliothek. Wien 1938–1945, in: Language Problems & Language Planning, Volume 29, Number 2, S. 177-186.

Mayer, Herbert (2012): Die Sammlung fur Plansprachen der ÖNB: Geschichte und Gegenwart, in: Zwischen Utopie und Wirklichkeit. Konstruierte Sprachen für die globalisierte Welt. Begleitband zur Ausstellung an der Bayerischen Staatsbibliothek (14. Juni bis 9. September 2012), München: Allitera, S. 151-163.

Steiner, Hugo (1938): Mein Leben und Wirken (= unpubliziertes Typoskript in der Sammlung für Plansprachen).

Tuider, Bernhard (2018a): Die Sammlung für Plansprachen und das Esperantomuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Interlinguistik 2018. Vorträge der Jahrestagung der Gesellschaft für Interlinguistik e.V., Berlin: Gesellschaft für Interlinguistik, S. 133-154.

Tuider, Bernhard (2018b): Bibliothek und Ideologie – Die Nationalbibliothek in der Zwischenkriegszeit zwischen Deutschnationalismus und Esperantosammlung, in: Rachinger, Johanna (Hrsg.): Schatzkammer des Wissens. 650 Jahre Österreichische Nationalbibliothek, Wien: Kremayr & Scheriau, S. 130-137.

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