Acamantis Insula…

Forschung

27.02.2023
Karten
Großer, antiker Globus.

Eine Karte verbindet Zypern und Venedig und gibt (k)einen Hinweis auf die erste doctrix philosophiae, Elena Lucrezia Cornaro Piscopia (1646-1684).

Autorin: Mag. Elisabeth Zeilinger

Die Karte Acamantis Insula hoggidi Cipro… wurde von Vincenzo Coronelli (1650-1718) für seinen Universalatlas, den Atlante Veneto, gestaltet. Coronelli, ein Mitglied des Minoriten-Ordens, ist der renommierteste italienische Kartograph des Barockzeitalters. Er hatte den Titel eines Kosmographen der Republik Venedig inne und gründete die erste geographische Gesellschaft der Welt, die Accademia Cosmografica degli Argonauti.1 Als Universalgelehrter arbeitete Coronelli neben seinen kartographischen Werken an ganz unterschiedlichen Projekten – wie einem großen enzyklopädischen Wörterbuch, einer chronologischen Tabelle zur Weltgeschichte, der Technik des Schiffsbaus oder hydrographischen Problemen. So lud ihn etwa Kaiser Karl VI. nach Wien ein, um einen Plan zur Regulierung der Donau auszuarbeiten.  

Heute ist Coronelli vor allem durch seine Globen bekannt. Er ist der wohl berühmteste Globenhersteller und fertigte Erd- und Himmelsgloben in fünf verschiedenen Durchmessern. Überaus eindrucksvoll sind seine prunkvollen Manuskriptgloben (Erd-und Himmelsglobus) für König Ludwig XIV. von Frankreich mit einem Durchmesser von 387 cm, die heute in der Bibliothèque nationale de France ausgestellt sind. Im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek befinden sich zwei Paare seiner großen Serien-Globen (Durchmesser 110 cm) aus dem Besitz von Kaiser Leopold I. und Franz Stephan von Lothringen.  

Vincenzo Coronelli: Erdglobus im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek.
Vincenzo Coronelli: Himmelsglobus im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek.

Weite Verbreitung fanden Coronellis umfangreiche Atlanten im Folioformat.Sie enthalten Karten, Pläne und Ansichten. Der Atlante Veneto – als venezianischer Universalatlas konzipiert – erschien 1691 und bietet zu den Tafeln ausführliche geographisch-kosmographische, landeskundliche und historische Erläuterungen. Im Corso Geografico Universale publizierte Coronelli die Karten nochmals – ohne deskriptive Kommentare – und erweiterte den Atlas um zahlreiche Darstellungen. 1696/97 fügte er dem Atlante Veneto mit dem Isolario zwei Bände hinzu, deren Inhalt weit über die Küsten und Inseln des Mittelmeeres hinausgeht. Coronellis Karten bestechen durch sorgfältigen Kupferstich, reiche dekorative Ausgestaltung und beste Druckqualität. Ihre Vorbilder sind in den Atlanten des Amsterdamer Verlages Blaeu zu finden. 

Die Darstellung Zyperns auf einem Doppelblatt ermöglicht eine detaillierte Wiedergabe im errechneten Maßstab von ca 1:620.000. Zwei attraktive Kartuschen beinhalten den Titel und den graphischen Maßstab. Die Bezeichnung Acamantis Insula im Titel verweist auf einen der vielen alten Namen der Insel – abgeleitet von Akamas, einem Sohn des Theseus. Eine kleine Auflistung am linken Kartenrand weist antike Ortsnamen aus, die auf der Karte nicht lokalisiert werden konnten.

Das große Wappen stellt die Verbindung zum mittelalterlichen Königreich von Zypern her. Es ist das Wappen der Könige aus dem Haus Lusignan, welches in Zypern von 1192 bis zur Abdankung von Catarina Cornaro, 1489, herrschte. Unterhalb der Maßstabsleisten ist eine Reihe kleiner Wappen dargestellt, die sich auf der Fassade des Palazzo Corner (Cornaro) in Venedig befinden. Dieses Bauwerk liegt am Canale Grande und ist heute unter dem Namen Ca‘ Loredan bekannt.

Der Text unterhalb der Wappenreihe erläutert den Zweck der Abbildung: Sie soll an den Aufenthalt des Königs von Zypern Pietro I. in diesem Gebäude im Jahr 1363 erinnern. Die Familie Cornaro gehörte zu den ältesten und angesehensten Familien Venedigs, den Case vecchie.

Ausschnitt: Fassade mit den Wappen.
Die Wappenreihe auf der Zypern-Karte.

Die letzte Königin von Zypern, Catarina Cornaro, übergab 1489 die Insel an die Republik Venedig. Venedig beherrschte als führende Handels- und Seemacht im Mittelalter und in der frühen Neuzeit große Gebiete im Nordosten Italiens, Istrien, die Küsten Dalmatiens und der Balkanhalbinsel, die adriatischen Inseln sowie die Peloponnes und den Großteil der griechischen Inseln. Durch die Expansion des Osmanischen Reiches geriet Venedig im östlichen Mittelmeer unter Druck. Der Sieg der Heiligen Liga in der Seeschlacht von Lepanto 1571 konnte nicht genutzt werden. Venedig war so geschwächt, dass Zypern an das Osmanische Reich abgetreten werden musste.  

Mehr als einhundert Jahre bevor die Karte Coronellis veröffentlicht wurde, verlor Venedig die Insel Zypern. Dennoch verweist diese Karte mehrfach auf die Verbindung Zyperns mit Venedig. In der Titelkartusche ist zu lesen: Posseduta dalla Republica Veneta sin‘ all‘ Anno 1571.

Kartusche mit Titel und Widmung.

Einen weiteren Hinweis gibt die Dedikation: Vincenzo Coronelli widmete die Karte einem Mitglied der Cornaro-Familie – Giovanni Battista Cornaro Piscopia (1613-1692). Dieser verwaltete als Procurator von San Marco die Finanzen Venedigs. Besser bekannt wurde er jedoch als Vater von Elena Lucrezia Cornaro Piscopia (1646-1684), der ersten Frau, die einen akademischen Grad von einer Universität verliehen bekam.3

Schon als Kind erhielt Elena – wie auch ihre Geschwister – Unterricht in Latein und Griechisch, später folgten Hebräisch, Arabisch, Französisch und Spanisch. Namhafte Gelehrte unterrichteten sie in Philosophie, Theologie und Mathematik. Musik und Komposition sowie das Beherrschen mehrerer Musikinstrumente gehörten ebenfalls zu ihrer Ausbildung. Ihr Ruf als Wunderkind verbreitete sich rasch, viele Besucher*innen Venedigs ließen sich eine Probe ihres Könnens geben.4 Giovanni Battista Cornaro Piscopia förderte seine hochbegabte Tochter, auch in der Absicht, durch ihre Gelehrsamkeit das Ansehen seiner Familie zu erhöhen. Mit 19 Jahren beschloss Elena – ohne in ein Kloster einzutreten – ihr Leben nach den Ordensregeln der Benediktiner*innen zu führen, um sich ganz ihren Studien widmen zu können.

Eine aufsehenerregende öffentliche Disputation in lateinischer und griechischer Sprache im Jahr 1677 war die Voraussetzung für den Antrag auf einen formellen Abschluss ihrer Studien. 

Carlo Rinaldini (1615-1699), Mathematiker und Philosoph, Professor an der Universität von Padua und ein Freund Galileo Galileis, versuchte nach diesem Disput Elena den Doktorgrad in Theologie zu ermöglichen. Dies scheiterte jedoch an Kardinal Gregorio Barbarigo (1625-1697), Bischof von Padua, der darauf beharrte, eine Frau könne keinen akademischen Grad in Theologie erhalten. 

In einem Briefwechsel mit Kardinal Barbarigo setzte sich Giovanni Battista Cornaro Piscopia sehr für seine Tochter ein. Schließlich wurde ein Kompromiss erzielt, der es Elena erlaubte, für ihre Dissertation ein Thema aus der aristotelischen Logik zu wählen. 

Die Zahl der Zuhörer*innen an diesem außergewöhnlichen Ereignis war so groß, dass das Examen vor dem Kollegium der Philosophen und Ärzte von der Universität in die Kathedrale von Padua verlegt werden musste.Am 25. Juni 1678 wurde Elena Lucrezia Cornaro Piscopia als weltweit erste Frau zur Doctrix philosophiae promoviert und am 9. Juli durch Akklamation in das Kollegium aufgenommen. 

Die nächsten sechs Jahre – bis zu ihrem Tod im Alter von 38 Jahren – verbrachte Elena in Padua mit Studien, öffentlichen Vorträgen und Disputen. Sie war Mitglied der Akademien in Padua, Rom, Venedig und Siena. Ihr wissenschaftlicher Nachlass ist jedoch gering; man nimmt an, dass sie ihre Manuskripte vernichten ließ.6 Erhalten blieben vier wissenschaftliche Diskurse, Übersetzungen, Briefe, Lobreden, Epigramme und Sonette. 

1684, einige Jahre bevor Vinzenco Coronelli die Karte von Zypern ihrem Vater widmete, verstarb Elena Lucrezia Cornaro Piscopia. Ihr Grab befindet sich in der Basilika Santa Giustina in Padua. Im Jänner 2022 wurde der Stadtrat von Padua mit dem Sonderantrag befasst, Elena Lucrezia Cornaro Piscopia mit einer Statue auf dem Prato della Valle zu ehren. Unterstützt wurde der Antrag – der heftige Diskussionen auslöste – von der ersten weiblichen Rektorin der Universität Padua.7

Über die Autorin: Frau Mag. Elisabeth Zeilinger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek 

Marta Cavazza: I due generali. Le vite parallele di Vincenzo Coronelli e Luigi Ferdinando Marsili. In: Maria Gioia Tavoni (Ed.): Un intellettuale europeo e il suo universo. Vincenzo Coronelli (1650-1718). Bologna 1999. S. 95-117, S. 105
2 Franz Wawrik: Berühmte Atlanten. Kartographische Kunst aus fünf Jahrhunderten. 2. Aufl. Dortmund 1989. S. 157-163 
3 Francesco Ludovico Maschietto: Elena Lucrezia Cornaro Piscopia. In: Maria Ildegarde Tonzig (Ed.): Elena Lucrezia Cornaro Piscopia. Prima donna laureata nel mondo. Vicenza 1980. S. 108-138. 
Ruggero Rugolo: Sul mito di Elena Lucrezia Cornaro Piscopia. In: Susanne Winter (Ed.): Donne a Venezia. Vicende femminili fra trecento e settecento. Roma 2004. S.85-131, S. 93 
5 Diana Robin, Anne Larsen, Carole Levin (Ed.): Encyclopedia of women in the Renaissance. Italy, France and England. Santa Barbara 2007, S. 292
6 Renzo Derosas: Corner, Elena Lucrezia. In: Dizionario Biografico degli Italiani, Band 29. Roma 1983
7 Nicht nur italienische Medien berichteten ausführlich über diesen Antrag. Vgl. dazu: Padua und seine Statuen. Kampf um eine Frau neben 78 Männern,  ORF online, 3. Jänner 2022 https://orf.at/stories/3242330/  (abgerufen am 26.1.2023)
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