Johann Jacob Frobergers autographes und reich illustriertes "Libro Quarto" ist eine einzigartige Quelle zu barocker Musik für Tasteninstrumente.
Autor: Benedikt Lodes
Die Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt eine Reihe teils aufwändig gestalteter autographer Musikhandschriften von Johann Jacob Froberger, darunter sein Kaiser Ferdinand III. gewidmetes „Libro Quarto di Toccate, Ricercari, Capricci, Allemande, Gigue, Courante, Sarabande“ oder kurz: sein „Libro Quarto“.
Johann Jacob Froberger wurde 1616 in Stuttgart geboren und starb 1667 in Frankreich.1 Im Winter 1636/37 trat er seinen Dienst am Wiener Hof an, nur wenige Wochen bevor Kaiser Ferdinand III. den Thron von seinem Vater Ferdinand II. übernehmen sollte. Noch in demselben Jahr gewährte ihm der neue Herrscher ein Stipendium für einen Studienaufenthalt in Rom, um bei Girolamo Frescobaldi das Orgelspiel zu studieren. Nach Frobergers Rückkehr gestattete ihm die Stelle als dritter Hoforganist, die er vermutlich ab 1641 bekleidete, große Beweglichkeit, sodass ihm unter anderem weitere Aufenthalte in Italien, Dresden, Brüssel und London möglich waren. Prägend war jedoch die Zeit in Paris, wo er in den Musikerkreisen rund um den Lautenisten Charles Fleury, genannt Blancrocher, mit Persönlichkeiten wie Louis Couperin verkehrte. Dass Froberger in Paris ausgesprochen populär gewesen sein muss, belegt ein Konzert mit über 600 ZuhörerInnen im Beisein der französischen Königsfamilie.2
Seine mannigfaltigen Kontakte zum europäischen Kulturleben seiner Zeit haben stilbildend in Frobergers Werk gewirkt, welches fast ausschließlich in Form von Musik für Tasteninstrumente überliefert ist. Umgekehrt hatte aber auch er maßgebliche Wirkung auf die Entwicklung der Klaviermusik. Als einer der ersten deutschen Komponisten ahmte Froberger den von der Lautenmusik beeinflussten französischen Cembalostil nach und verband diesen mit dem kontrapunktisch strengeren Satz seines Lehrers Frescobaldi. Damit fand er speziell im deutschsprachigen Raum in den Werken Muffats und Pachelbels frühe Nachfolger.3 Sowohl bei Johann Sebastian Bach4 als auch für Georg Friedrich Händel5 gibt es Belege, dass sie direkt auf sein Vorbild Bezug genommen haben. Mit Ende des Barock vereinzelt sich die Rezeption von Frobergers Schaffen, was wohl besonders seiner starken Spezialisierung auf ein Instrument zuzuschreiben ist.
Das „Libro Quarto“ hat Froberger 1656 bei seinem letzten längeren Aufenthalt in Wien zusammengestellt. Die Zählung „quarto“ stammt von Froberger – er bezeichnet damit seine vierte für Kaiser Ferdinand III. gestaltete Sammlung mit Klavierwerken. Aufgrund des Todes des Kaisers im Jahr 1657 sollte sie auch die letzte bleiben. Heute sind von diesen Dedikationsbänden nur mehr das „Libro Quarto“ und das „Libro Secondo“6 erhalten.
Wie ihr Titel verrät, enthält die Sammlung Toccate, Ricercari und Capricci, also einsätzige Werke, die nach damaligem Usus systematisch gegliedert wurden: Sechs Toccate konstituieren den ersten Teil, sechs Ricercari den zweiten und sechs Capricci den dritten. Der vierte Teil besteht zur Gänze aus den Tanzformen „Allemande, Gigue, Courante, Sarabande“. Diese treten immer in der genannten Abfolge auf und formen damit jeweils ein mehrsätziges Ganzes. Die Allemande eröffnet als geradtaktiger Schreittanz. Ihr folgen im Dreiertakt zwei schnelle (Gigue und Courante) sowie ein langsamer Tanz (Sarabande). Ohne den damals im deutschsprachigen Raum geläufig werdenden Begriff der Partita zu verwenden, intendiert Froberger diese viersätzigen Gruppen von Sätzen im Tanzstil als musikalisch zusammengehörende Einheiten und fasst sie zu – ebenfalls sechs – solcher „Partiten“ oder „Suiten“ zusammen.7
Froberger ordnet also vier homogene Werkgruppen zu einem Dedikationsband für Kaiser Ferdinand III., indem er repräsentative Beispiele aus seinem Schaffen auswählt und auf hohem graphischem Niveau präsentiert.
Die verspielten, vielfach mit Gold dekorierten Federzeichnungen stammen von Johann Friedrich Sautter, einem mit Froberger schon seit Jugendjahren bekannten Illustrator. Sautter hat das Buch von der ersten bis zur letzten Seite durchgehend gestaltet und ist damit in der Handschrift nicht weniger präsent als Froberger selbst, der die Musik als solche notierte. Sämtliche Titel, die Dedikation und alle Zwischenüberschriften wurden von Sautter aufwändig kalligraphiert, größere Leerräume mit originellen Federzeichnungen gefüllt.
Froberger und Sautter ziehen im vierten Dedikationsband für Ferdinand III. also alle Register üppiger optischer Aufmachung. Die graphischen Elemente sind dabei jedoch mehr als illustratives Beiwerk. Sie beziehen sich auch inhaltlich auf die Musik und stellen einen persönlichen Bezug zum Widmungsträger her. So zum Beispiel bei der fünften Suite, FbWV 611, die durch ihre Illustrationen – es handelt sich unter anderem um die Reichsinsignien, aber auch um den Orden vom Goldenen Vlies und den Kaiseradler – in einen höfisch-repräsentativen Kontext gestellt wird.
Und tatsächlich wissen wir aus einer Abschrift der Staatsbibliothek zu Berlin8 von drei der Sätze konkret, dass sie rund um den Reichstag 1653/54 in Regensburg entstanden sind, nämlich anlässlich der Krönung Ferdinand IV., des Sohns Ferdinands III., zum römischen König (Allemande), am Tag der Geburt der zweiten Tochter aus Ferdinands III. dritter Ehe (Courante) und aus Anlass der Krönung von Eleonora Gonzaga zur Kaiserin (Sarabande).9
Auch die Sätze der 6. Partita, FbWV 612, nehmen auf das Leben des Kaisers Bezug, wie wir dem „Libro Quarto“ selbst entnehmen können. Ihr erster Satz ist mit „Lamento sopra la dolorosa perdita della Real M.sta di Ferdinando IV.“ überschrieben.
In der Illustration zu der den Band beschließenden Sarabande erkennt der Cembalist Bob van Asperen ein tröstliches Rebusrätsel: „Ein weinendes Auge – die Tränen wie Traubenkernchen –[,] Dutzende blühender Kornähren und ein großer Lorbeerkranz“, und bezieht es auf die Psalmzeile: „Die mit Tränen säen[,] werden mit Jubel ernten“ (Ps 126,5).10 Das „Libro Quarto“ ist damit eine Ausnahmeerscheinung, die nicht nur eine über 350 Jahre alte autographe Musikerhandschrift auf höchstem Niveau darstellt, sondern auch Ergebnis einer kongenialen Zusammenarbeit zweier herausragender Künstler im Dienst eines ausgesprochen persönlich gehaltenen Dedikationsbandes ist.
Über den Autor: Dr. Benedikt Lodes ist Direktor der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
1 Für eine umfassende Quellensammlung zu Johann Jacob Froberger siehe: Vejvar, Andreas und Grassl, Markus (Hgg.) (2018): „Avec discrétion“. Rethinking Froberger (Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 14), Wien u.a.: Böhlau.
2 Rampe, Siegbert (2015), Art. Froberger, Johann Jacob, in: Laurenz Lütteken (Hg.): MGG Online, Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., www.mgg-online.com/mgg/stable/14356.
3 Hill, Robert (1988): Introduction. In: Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Mus. Hs. 18707 (Froberger autographs). Faksimile, New York: Garland, S. V.
4 Ebd.
5 Rampe, Siegbert (2009): Zur Entwicklung der Claviersuite bis Händel, in: Siegbert Rampe (Hg.): Händels Instrumentalmusik (Das Händel-Handbuch, Bd. 5), Laaber: Laaber, S.75f.
6 A-WN Mus.Hs. 18706
7 Im Folgenden wird bei der Satzbezeichnung den Nummern der Froberger-Gesamtausgabe gefolgt: Rampe, Siegbert (Hg.) (1995): Libro Quarto (1656). Libro di Capricci e Ricercate (ca. 1658) (Johann Jacob Froberger (1616-1667): Neue Ausgabe sämtlicher Clavier- und Orgelwerke II), Bärenreiter: Kassel.
8 D-Bsa SA 4450
9 vgl. Wollny, Peter (2004): Vorwort, in: Johann Jacob Froberger: Toccaten, Suiten, Lamenti. Die Handschrift SA 4450 der Sing-Akademie zu Berlin (Documenta musicologica 2,31), Kassel: Bärenreiter, S. XI.
10 Asperen, Bob van (2003): Johann Jacob Froberger (1616-1667): Suites [CD-Beiheft], Korschenbroich: Aeolus, S. 25.
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