ISSN: 1680-8975 PURL: http://purl.org/sichtungen/ |
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Johannes John / Wolfgang Wiesmüller: Die neue Historisch-Kritische Ausgabe der Werke und Briefe Adalbert Stifters. Entstehung, Editionsrichtlinien und editorische Problemstellungen (06. 01. 2002). In: Sichtungen online, PURL: http://purl.org/sichtungen/john-j-1a.html ([aktuelles Datum]). - Auch in: Sichtungen 3 (2000), S. 156-168. |
Johannes John Bayerische Akademie der Wissenschaften Kommission für Neuere Deutsche Literatur Marstallplatz 8, D-80539 München Adressinformation zuletzt aktualisiert: 2000 Wolfgang Wiesmüller Universität Innsbruck Institut für Germanistik Innrain 52, A-6020 Innsbruck Adressinformation zuletzt aktualisiert: 2000 |
Die neue Historisch-Kritische Ausgabe der Werke und Briefe Adalbert StiftersEntstehung, Editionsrichtlinien und editorische ProblemstellungenJohannes John / Wolfgang Wiesmüller |
[3/ S. 156:] Zur AusgabeAls sich vom 30. September bis zum 4. Oktober 1968 aus Anlaß des 100. Todestages Adalbert Stifters Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler aus mehreren Ländern zu einem internationalen Adalbert Stifter-Symposion im österreichischen Bad Hall versammelten, wurde dort auf Initiative von Hermann Kunisch (München) erstmals der Plan einer neuen Gesamtausgabe der Werke und [3/ S. 157:] Briefe des 1805 im südböhmischen Oberplan (Horní Planá) geborenen österreichischen Schriftstellers, Malers und Pädagogen Adalbert Stifter ins Auge gefaßt. Zwar lag mit der von August Sauer im Jahr 1904 begründeten, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Prag-Reichenberger Ausgabe;[1] bereits eine (zuletzt 25 Bände umfassende) Edition vor, die aber nicht nur »in allen Teilen unvollständig« war,[2] sondern auch neueren editionswissenschaftlichen Ansprüchen nicht mehr genügte. Nicht zuletzt ein aus dem Nachlaß Salaman Schockens stammendes, umfangreiches Konvolut von Manuskripten Stifters vor allem zu den »Studien«, den »Bunten Steinen« und dem »Nachsommer«, das die Bayerische Staatsbibliothek in München und das Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich in Linz im November 1964 erworben hatten, gab in der Menge des nunmehr wissenschaftlich neu zu erschließenden Materials den entscheidenden Anstoß, auf eine (Teil-)Revision der Prag-Reichenberger Ausgabe zu verzichten und stattdessen die Planung einer neue Gesamtausgabe in Angriff zu nehmen; dies betraf auch andere Teile des handschriftlichen Nachlasses: So enthielten »die im Prager Stifter-Archiv liegenden Handschriften zur ›Mappe meines Urgroßvaters‹ und schließlich die umfangreichen ›Witiko‹-Konvolute aus dem Besitz der Martin-Bodmer-Stiftung in Genf, daneben aber auch einige Handschriften aus Privatbesitz [...] eine Fülle bisher unbekannten Materials, das editorisch erschlossen werden mußte.«[3] Von Beginn an durch Subventionen des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus sowie der Oberösterreichischen Landesregierung gefördert, wurde zu diesem Zweck zunächst eine Redaktionsstelle in der Bayerischen Staatsbibliothek eingerichtet. Ab 1976 wurde das von Alfred Doppler (Innsbruck) seit 1971 und Wolfgang Frühwald (seit 1976 in der Nachfolge von Hermann Kunisch) als Hauptherausgebern verantwortete Projekt durch die Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft fortgeführt, bevor es schließlich 1986 in das deutsche Akademien-Programm des Bundes und der Länder aufgenommen wurde. Sitz der Redaktion ist seitdem die Kommission für Neuere deutsche Literatur bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die Bandherausgeberinnen und -herausgeber arbeiten in Innsbruck, Salzburg, Linz und München. Im Frühjahr 2000 löste Hartmut Laufhütte (Passau) Wolfgang Frühwald als Hauptherausgeber der Ausgabe ab, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Oberösterreichischen Landesregierung, dem Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung [3/ S. 158:] der Bundesrepublik Deutschland sowie dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst unterstützt wird. Redaktoren der Ausgabe waren Helmut Bergner (bis 1993), Walter Hettche (1992-1997) und Johannes John (seit 1997).
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[3/ S. 159:] Zu den Editionsrichtlinien[5]Textgrundlage sind in der Regel die von Stifter autorisierten Erstdrucke. Liegen solche nicht vor, wird der Text nach den Handschriften wiedergegeben. Nur, wenn weder Autorhandschriften noch autorisierte Drucke überliefert sind, wird auf spätere Editionen - zum Beispiel von Johannes Aprent - zurückgegriffen. In keinem Fall wird jedoch versucht, Stifters Orthographie und Interpunktion zu restituieren. Die Texte werden vielmehr in Orthographie und Interpunktion zeichengetreu wiedergegeben; es wird nicht normalisiert oder modernisiert. Lediglich Stifters Abkürzungen dß für »daß« und u für »und« sowie die Geminationsstriche über m und n werden stillschweigend aufgelöst. Emendationen beschränken sich auf die Korrektur von Setzfehlern; sie werden im edierten Text durch eine dem emendierten Wort vorangestellte exponierte Crux (+text) angezeigt. Über Einzelheiten im Zusammenhang mit den Emendationen wird im jeweiligen Apparat Auskunft gegeben. Im Apparat selbst erscheint Autortext in gerader Schrift, Herausgebertext und nicht von Stifter stammende Zitate werden kursiv gesetzt. Abb. 1 bringt die Liste der im Apparat verwendeten diakritischen Zeichen. |
Abb. 1. Bezugstext ist der edierte Text; es werden die Seiten- und Zeilenzahl und gegebenenfalls ein Lemma angegeben. Wenn sich die handschriftliche Druckvorlage nicht lexikalisch, sondern nur im genetischen Befund vom edierten Text unterscheidet, wird kein Lemma gesetzt. Lemmata von bis zu drei Wörtern Umfang werden vollständig gesetzt, längere Lemmata - ab vier Wörtern - werden durch ein kursiv gesetztes »bis« abgekürzt. Bei komplizierteren genetischen Zusammenhängen wird mit den Stufensymbolen (1), (2), (3) usw. sowie (a), (b), (c) usw. gearbeitet. Dabei finden sich in der Regel auf den Stufen (1) bzw. (a) Tilgungsklammern, die alle im Übergang zu der nächsten Stufe entfallenden Textkomponenten umschließen. In den Stufen (2) bzw. (b) sind die ersetzenden Textkomponenten mit Einfügungszeichen umschlossen, die im Übergang zu Stufe (3) bzw. (c) entfallenden Textteile wiederum mit Tilgungsklammern usw. Die in Folgestufen nicht gekennzeichneten Textteile sind aus der vorhergehenden Stufe unverändert übernommen (vgl. Abb. 2).[6] |
Abb. 2. Das Abgrenzungszeichen | zeigt das Ende des varianten und den Beginn des invarianten Textes an. [3/ S. 162:] Erwogene, aber nicht vollständig ausgeführte Varianten (zum Beispiel Textsubstitution ohne Streichung des eigentlich zu ersetzenden Textes) werden durch einen hochgestellten Asterisk vor dem Stufensymbol gekennzeichnet; wenn Stifter mit großer Wahrscheinlichkeit nur vergessen hat, den zu ersetzenden Text zu streichen, wird er dagegen in kursive Tilgungsklammern gesetzt. Besonders in den abgelegten Blättern ist die Unterscheidung zwischen bewußt offengelassener Alternativvarianz und vergessener Streichung nicht immer eindeutig zu treffen. Wenn der ersetzende Text weitgehend ausformuliert ist und deutlich wird, welchen Textteil der Grundschicht er ersetzen soll, wird in der Regel mit kursiven Tilgungsklammern gearbeitet. Dieses Verfahren erscheint um so mehr gerechtfertigt, als bei aufeinanderfolgenden abgelegten Blättern häufig festzustellen ist, daß der an den Rändern der früheren Handschrift notierte ersetzende Text in der Grundschicht der späteren wiederkehrt. Ein Beispiel aus dem Integralen Apparat der dritten und vierten Fassung der »Mappe meines Urgroßvaters«:[7] nun habe ich einige verkauft, und da dies das erste Geld ist, welches ich mir Die handschriftliche Druckvorlage wird nur sigliert, wenn Varianten aus mehreren Textzeugen zu verzeichnen sind; generell gilt: Wenn keine Zeugensigle angegeben ist, handelt es sich um eine Lesung aus der handschriftlichen Druckvorlage H. Die Zeugensiglen werden dem Text nachgestellt, wenn es sich um kurze Varianten handelt; bei umfangreicheren Varianten werden die Zeugensiglen am linken Rand ausgeworfen. Umfangreiche Varianten, auch wenn sie sich über mehrere Druckseiten erstrecken, werden in der Regel nicht aufgeteilt, damit die Möglichkeit der zusammenhängenden Lektüre gegeben bleibt. Bleistiftmarginalien in den Handschriften, die sich nicht eindeutig dem Text der Grundschicht zuordnen lassen, werden in Fußnoten mitgeteilt. Die im Apparat und im Kommentar verwendeten Abkürzungen werden in jedem Band in einem eigenen Abkürzungsverzeichnis aufgeschlüsselt. Dokumentiert der Apparat Emendationen, die handschriftliche Überlieferung, Varianten, Transkriptionsbeispiele sowie die Arbeitsweise Stifters (so in HKG 5,4), enthält der Kommentarteil - wie etwa zu den »Studien« (HKG 1,9) - neben allgemeinen Erläuterungen und einem detaillierten Einzelstellenkommentar Informationen zu Entstehung, [3/ S. 163:] Rezeption und Anregungen, die Stifter zu Konzeption und Niederschrift seiner Texte führten. Mit der Trennung von Text- und Apparatbänden innerhalb der Historisch-Kritischen Ausgabe sollte keineswegs eine isolierende Einzellektüre gefördert, sondern vielmehr ein leichteres paralleles Studium ermöglicht werden: »Text und Apparat sind integrale, nicht voneinander zu trennende Bestandteile der Edition, sie sind aufeinander bezogen und sollten auch zusammen benutzt werden.«[8] Eine solche ›doppelte Optik‹ legt ihr Hauptgewicht dann auch nicht mehr auf einen ›letztgültigen‹ Text, wie es etwa an ›Ausgaben letzter Hand‹ orientierte Editionen tun: Vielmehr dokumentiert sie den - oft nur durch die Drucklegung zwangsläufig abgebrochenen - Prozeß der ständigen Um- und Weiterbearbeitung der Manuskripte und Druckvorlagen, wie er für Stifters Arbeitsweise so überaus charakteristisch ist. Deshalb hat die Historisch-Kritische Ausgabe auch auf den äußerst problematischen Begriff der ›Urfassungen‹ verzichtet und stattdessen - im Fall der »Studien« wie der »Bunten Steine« - zwischen »Journal-« und »Buchfassungen« unterschieden,[9] wobei sie diese Erzählungen sowohl so, wie sie zunächst in Taschen- oder Jahrbüchern und Almanachen publiziert wurden, als auch in der von Stifter für seine Sammlungen überarbeiteten Form gleichberechtigt und in vollem Umfang nebeneinander abdruckt. So präsentiert die Historisch-Kritische Ausgabe beispielsweise alle vier Fassungen der »Mappe meines Urgroßvaters«, wobei die 1998 erschienene dritte Fassung einen Text bietet, der in dieser Form Lesepublikum und Forschung bislang noch nicht zugänglich gewesen war. |
Die Edition der »Witiko«-HandschriftenDie handschriftliche Überlieferung zu Stifters historischem Roman »Witiko« umfaßt rund 800 Seiten, von denen 316 auf die über weite Strecken stark korrigierte Druckvorlage zum ersten und zweiten Band entfallen; zum dritten Band ist sie nicht überliefert. Die übrigen Seiten, also mehr als die Hälfte der Gesamtüberlieferung, bestehen aus den in der Ausgabe »abgelegte Blätter« genannten Handschriften, die Stifter während der Arbeit an diesem Werk verworfen hat. Stifter hat bei der Niederschrift des »Witiko« (1859-1867) seine ›Abschreibtechnik‹ (Niederschrift - Korrektur - Abschrift - Korrektur - Abschrift usw.) phasenweise so exzessiv praktiziert, daß manche Seite bis zu fünf Mal ausgefertigt wurde. Diese Tiefenschichtung der Textgenese in Verbindung mit der Fülle des handschriftlichen Materials stellte die Heraus- [3/ S. 164:] geber vor ein editorisches Problem, das mit den bislang üblichen Apparattypen[10] nicht bewältigbar erschien, wollte man ein vertretbares Verhältnis von Aufwand und Nutzen sowie die Verwendbarkeit nicht aus den Augen verlieren. Man entschied sich daher für eine Kombination von Buch und elektronischer Edition. Zum einen bringt die Ausgabe in den Bänden HKG 5,1 bis 5,3 den kritisch edierten Text des »Witiko« und liefert im dazugehörigen Apparat- und Kommentarband (HKG 5,4) neben der Auflistung der Emendationen die Verzeichnung der Varianz zwischen dem autorisierten Erstdruck (D), der als Textgrundlage herangezogen wurde, und der handschriftlichen Druckvorlage (H). Damit eröffnet sich dem Benutzer ein genaues Bild von den Problemen der Textkonstitution und der Qualität der Herausgeberentscheidungen. Da Stifter in den nicht erhaltenen Druckfahnen Revisionen vorgenommen hat, galt es, zwischen Autorvarianz und Überlieferungsvarianz im Sinn von Lesarten zu unterscheiden und unter letzteren die Textfehler (Setzfehler) herauszufiltern. Zum anderen wird die gesamte handschriftliche Überlieferung zum »Witiko« in elektronischer Form aufbereitet und via Internet (http://germanistik.uibk.ac.at/stifter/witiko/) kostenlos zugänglich gemacht; ein Vorhaben, das noch nicht abgeschlossen und auch als work in progress zu sehen ist. Die Darbietung der »Witiko«-Handschriften wird damit sozusagen aus der Buchausgabe ausgelagert, mit dem textologisch fundierten Kalkül, daß sich der Einsatz elektronischer Datenverarbeitung für Editionen überall dort anbietet, wo die zu verwaltende Datenmenge in einer Buchpublikation nicht oder nicht angemessen bewältigt werden kann.[11] Dennoch bleibt die elektronische Edition der »Witiko«-Handschriften ein integrierter Bestandteil der Buchausgabe, gibt es doch eine ›Schnittstelle‹ zwischen beiden Medien, nämlich das Stemma der Handschriften, das man sowohl im Apparatband (HKG 5,4, S. 25-37) mit dem entsprechenden Hinweis auf die Internet-Edition als auch in dieser selbst findet. Es handelt sich dabei um eine graphische Darstellung des entstehungschronologischen Zusammenhangs der Handschriften in Form eines Koordinatensystems (Abb. 3). |
Abb. 3. Auf der horizontalen Achse des Stemmas ist der Seitenbereich der Handschriften nach der Paginierung Stifters aufgetragen, wodurch das lineare Fortlaufen und Anwachsen des Textes sichtbar wird. Auf der vertikalen Achse sind die einzelnen handschriftlichen Zeugen (in der Regel ein Handschriftenblatt, sigliert, mit zwei paginierten Seiten) stufenweise angeordnet, um ihr synchrones Verhältnis deutlich zu machen, das mit Kleinbuchstaben (a, b, c usw.) gekennzeichnet ist. Da die Druckvorlage von der zeitlichen Abfolge her durchgehend die letzte [3/ S. 166:] Stufe der Textentwicklung repräsentiert, wird auf die Markierung ihrer Seiten mit Kleinbuchstaben verzichtet. Schließlich wird auch noch der Seitenbereich in den Textbänden der Historisch-Kritischen Ausgabe angegeben, auf den sich die jeweilige stemmatische Darstellung bezieht, wodurch die unterschiedliche Intensität der Arbeit des Autors an verschiedenen Abschnitten dieses Werks rasch ins Auge springt. Über dieses Stemma kann nun in der Internet-Edition mit Mausklick auf jede einzelne transkribierte Handschriftenseite zugegriffen werden. Die Transkription verzeichnet unter Verwendung der diakritischen Zeichen der Historisch-Kritischen Ausgabe im fortlaufenden Text die Varianten der jeweiligen Handschriftenseite. Die Varianz zwischen den einzelnen einander zugeordneten Handschriftenseiten muß der Benutzer allerdings selber verfolgen. Der Textabschnitt, für den die Textgenese rekonstruiert werden soll, kann dabei je nach Interesse festgelegt werden, und die Entwicklung des Textes wird man von Zeugen zu Zeugen, immer wieder Zwischenstufen verfestigend, verfolgen, wobei der Textzusammenhang, in den die Varianten eingebettet sind, immer präsent bleibt. Neben der schon bestehenden Möglichkeit einer Volltextsuche und einem Navigator, der zur entstehungsgeschichtlich jeweils vorausliegenden und nachfolgenden Seite führt, ist an weitere technische Hilfestellungen wie die Markierung von identischem oder nicht-identischem Text zwischen den Zeugen gedacht. Da jede beliebige transkribierte Handschriftenseite ausgedruckt werden kann, ist es möglich, die Ausdrucke mit Hilfe des Stemmas in jene Ordnung zu bringen, in der sich die Seiten auf dem Schreibtisch Stifters befunden haben. Das Modell der elektronischen Publikation der »Witiko«-Handschriften orientiert sich also an der »Überlieferung des Materials« sowie an der »spezifischen Arbeitsweise« des Autors und damit an jenen »zwei Faktoren«, die nach Siegfried Scheibe die Gestaltung des Variantenapparats wesentlich bestimmen sollen.[12] Es verzichtet allerdings auf die Widerspiegelung der komplexen Textentwicklung in einem ebenso komplexen Variantenverzeichnis[13] und mutet den Benutzern eigenständige Kollationierungsarbeit zu. Zwischen der Skylla der Unbenutzbarkeit und der Charybdis einer pragmatischen Reduktion der Ansprüche an einen textgenetischen Apparat haben sich die Herausgeber also für letztere entschieden. Diese Entscheidung kommt im übrigen einer Relativierung der teleologisch-zielgerichteten Sichtweise von Textgenese im Licht neuer literatur- und zeichentheoretischer Ansätze entgegen, die das Augenmerk auf den textgenetischen Prozeß in seiner Gesamtheit und Verzweigtheit richtet. Die Wiedergabe von invariantem bzw. identischem Text innerhalb der Internet-Edition der »Witiko«-Hand- [3/ S. 167:] schriften könnte also gerade im Fall Stifters, für den die Wiederholung als Bestätigung und Befestigung des Geschriebenen ein so zentrales Moment seiner poetischen Arbeit darstellt, als Äquivalent einer spezifischen Textproduktion angesehen werden. Johannes John / Wolfgang Wiesmüller |
Anmerkungen1] Adalbert Stifter: Sämtliche Werke. Begr. und hg. von August Sauer. Fortgef. von Franz Hüller, Gustav Wilhelm u. a. Prag: Calve 1904ff., Reichenberg: Kraus 1925ff., Graz: Stiasny 1958ff., 25 Bde. (Reprint: Hildesheim: Gerstenberg 1972). 2] Kurt Vancsa: Das Internationale Adalbert Stifter-Symposion 1968 in Bad Hall. In: Vierteljahresschrift des Adalbert-Stifter-Institutes des Landes Oberösterreich 18 (1969), H. 1/2, S. 19-43, hier S. 22. 3] Alfred Doppler / Wolfgang Wiesmüller: Adalbert Stifter: Die neue Historisch-Kritische Ausgabe. In: Von der ersten zur letzten Hand. Theorie und Praxis der literarischen Edition. Hg. von Bernhard Fetz und Klaus Kastberger. Wien, Bozen: Folio 2000, S. 43-49, hier S. 43. 4] Adalbert Stifter: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag der Kommission für Neuere deutsche Literatur der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. von Alfred Doppler und Wolfgang Frühwald (seit 2000: Hartmut Laufhütte). Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer 1978ff. (künftig abgekürzt mit der Sigle HKG). 5] Die Erstellung und Modifizierung von Editionsrichtlinien ist bei Langzeit-Projekten, wie sie Historisch-Kritische Ausgaben darstellen, ein dynamischer Prozeß; die hier in gekürzter Form wiedergegebenen, auf den ersten von Helmut Bergner verfaßten Richtlinien basierenden Editionsrichtlinien wurden von Walter Hettche 1993 erarbeitet und von der Kommission für Neuere deutsche Literatur der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gebilligt. 8] Walter Hettche: »... die lezte Ausfeile ist das Feinste, und bedingt die Schönheit allein.« Stifters Arbeit an den »Bunten Steinen« und ihre Dokumentation in der Historisch-Kritischen Gesamtausgabe. In: Adalbert Stifters schrecklich schöne Welt. Beiträge des internationalen Kolloquiums zur A. Stifter-Ausstellung (Universität Antwerpen 1993). Brüssel: Belgischer Germanisten- und Deutschlehrerverband 1994 (= Acta Austriaca-Belgica 1; Germanistische Mitteilungen 40, 1994; Jahrbuch des Adalbert-Stifter-Institutes 1, 1994), S. 77-85, hier S. 81f. 9] Daß auch der Begriff der »Journalfassungen« wiederum durchaus problematisch ist, hat Walter Hettche ausdrücklich betont (Anm. 8, S. 78). 10] Vgl. Bodo Plachta: Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte. Stuttgart: Reclam 1997 (= Universalbibliothek 17603: Literaturstudium). Plachta faßt die in Historisch-Kritischen Ausgaben üblichen Formen der Variantenverzeichnung in folgende Typen zusammen: »Einzelstellenapparat«, »Einblendungsapparat«, »Treppenapparat« und »Synoptischer Apparat« (S. 99-114). 11] Vgl. Roland Kamzelak: Hypermedia - Brauchen wir eine neue Editionswissenschaft? In: Computergestützte Text-Edition. Hg. von Roland Kamzelak. Tübingen: Niemeyer 1999 (= Beihefte zu editio 12), S. 119-126. 12] Siegfried Scheibe u. a.: Vom Umgang mit Editionen. Eine Einführung in Verfahrensweisen und Methoden der Textologie. Berlin: Akademie-Verlag 1988, S. 104. 13] Vgl. ebd., S. 106f. |
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