Wie findet man die gedruckten Bücher aus der berühmten Bibliothek von Prinz Eugen, wenn sie nicht den typischen Einband aufweisen?
Autor: Friedrich Simader
Die im Jahr 1738 von Kaiser Karl VI. angekaufte Bibliothek von Prinz Eugen von Savoyen ist derzeit Gegenstand von zwei Projekten der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB). ‚Bibliotheca Eugeniana Digital - BED‘, angesiedelt in der Abteilung für Forschung und Entwicklung, hat sich vor allem die digitale Rekonstruktion und visuelle Darstellung der Sammlung zum Ziel gesetzt; versucht wird, Zusammensetzung und Umfang der Bibliothek zu ermitteln und mit Unterstützung von KI die heutigen Standorte der Bücher zu bestimmen, die sich zum Großteil im Prunksaal der ÖNB befinden. Das analoge Gegenstück dazu bildet eine von der Sammlung von Handschriften und alten Drucken durchgeführte Sichtungskampagne aller im Prunksaal aufbewahrten Bände auf Provenienzmerkmale. Möglich wurde dieses Unternehmen durch die ab Juli 2022 laufenden Renovierungsarbeiten, im Zuge derer die auf 105 Bücherkästen bzw. -kammern verteilten, rund 188.000 Bücher etappenweise in provisorische Depots umgelagert wurden.
Die Suche nach erhaltenen Büchern aus der Eugen‘schen Sammlung scheint eigentlich unproblematisch zu sein, denn schon ein zeitgenössischer Besucher der damals noch im Stadtpalais des Prinzen aufgestellten Bibliothek berichtet von einem „… grossen Vorrath an Büchern, welche alle in Saffian, und zwar mehrentheils in rothen gebunden, und hinten mit guldenen Tituln und Zierathen geschmückt sind“1. Auch in modernen Publikationen liest man, dass die Drucke einheitlich bzw. fast durchgehend in gleichartige Maroquin-Einbände gebunden seien2. Dominierend ist demnach rotes Ziegenleder, seltener dunkelblaues und ehemals gelbes. Vorder- und Hinterdeckel zeigen immer das goldene Wappensupralibros des Prinzen, von dem es, u. a. abhängig vom Format des Bandes, mehrere Varianten gibt, der Rücken meist das kleine Wappen und das Monogramm Eugens. Diese Bände sind für Mensch und Maschine jedenfalls leicht zu erkennen.
Ganz anders verhält es sich dagegen mit Büchern der Eugeniana, die eben nicht den typischen Einband aufweisen. Da in der Literatur bislang als Beispiele immer nur schön gebundene Widmungsexemplare für den Prinzen vorgestellt wurden, hatte man den Eindruck, es handle sich hierbei nur um einige wenige Ausnahmen3. Tatsächlich hat sich im Lauf der Sichtungen gezeigt, dass es darüber hinaus mindestens 1.600 Drucke aus der Eugeniana gibt, die ganz unterschiedliche Einbände aufweisen: die Palette reicht von einfachen Pergamenteinbänden über braune Kalbslederbände mit Golddruck am Rücken. Gemeinsam ist ihnen allen, dass man ihrer Herkunft nur anhand von Signaturen auf die Spur kommt, die im Lauf der Zeit eingetragen worden sind.
Als die Eugeniana übernommen wurde, befand sich die kaiserliche Hofbibliothek gerade in einer schwierigen Lage. Der neu errichtete Bibliothekssaal am Josefsplatz wurde vermutlich erst nach Abschluss der Innenausstattung und damit wohl um die Mitte der 30er Jahre mit Büchern befüllt. Dabei stand das neunköpfige Personal vor dem Problem, dass mehrere unterschiedliche Bestände übertragen werden mussten. Den Hauptanteil bildeten die ca. 90.000 systematisch geordneten Bücher aus dem sog. Harrachschen Haus, dem alten Standort der Hofbibliothek. Dazu kamen aber umfangreiche Neuerwerbungen wie die Bibliotheken von Georg Wilhelm von Hohendorf und Antonio Folch de Cardona, die aus Platzgründen an anderen Orten gelagert worden waren4. Um den Überblick zu behalten und auch die alten Kataloge einigermaßen benützen zu können, mussten die einzelnen Bestände zuerst einmal voneinander getrennt aufbewahrt werden. In den späten 30er Jahren begann man dann mit einer systematischen Neuaufstellung nach Fachgebieten: in den Kästen 1-20 waren die theologischen Bücher untergebracht, in den Kästen 23-37 jene zur Jurisprudenz, und die medizinischen Drucke verteilten sich auf kleine Kästen, die wieder von 1-6 nummeriert waren5. Zum ersten Mal wurde dabei das noch heute gültige Signatursystem verwendet: eine römische Zahl bezeichnet den Kasten bzw. die Kammer, ein Buchstabe das Regal und eine arabische Zahl den Standort darauf.
Mitten in diese Arbeiten fiel nun die Erwerbung von Eugens Bibliothek. Nachdem es angesichts der mutmaßlich rund 15.000 neuen Bücher aussichtslos war, sie in die bestehende Ordnung zu integrieren, wurde die Sammlung zunächst einmal separat aufgestellt, und zwar angeblich auf Veranlassung des damaligen Präfekten Nikolaus Garelli bereits im Mitteloval des Prunksaals in den zwölf Bücherkästen des Erdgeschosses6. Um ihre Auffindbarkeit und Benützung zu gewährleisten, verwendete man einen anlässlich der Übernahme der Bibliothek um 1738 angelegten fünfbändigen Katalog (Cod. 14376-14380): seine ersten drei Bände enthalten die nach Sachgebieten geordneten bibliographischen Einträge, dazu kommen zwei alphabetische Indices zu Autor*innen und beteiligten Personen bzw. zu Titeln und Titelwörtern. Den einzelnen Einträgen in den ersten drei Bänden wurden nachträglich Nummern hinzugefügt, die als erste Signaturen dienten: Drucke erhielten Nummern mit arabischen Zahlen, Handschriften und Grafik- bzw. Kunstalben römische Zahlen. Über das System dieser ersten Aufstellung wird möglicherweise die digitale Edition des Kataloges Aufschluss geben. Auf jeden Fall waren die Bücher damit benützbar, denn in einem zwischen 1746 und 1754 verfassten Reisebericht heißt es u.a., man könne sich in der Hofbibliothek die unvergleichliche Sammlung von Kupferstichen aus Eugens Bibliothek vorlegen lassen7.
Ab 1758 unternahm man einen neuen und zugleich letzten Versuch, den gesamten Bestand an Drucken neu nach Sachgebieten zu katalogisieren; man verzichtete nun zwar darauf, die Bücher auch dementsprechend aufzustellen, kam aber dennoch nicht über die Theologica hinaus8. Bücher aus der Eugeniana werden im ersten Band des Katalogs noch mit den oben erwähnten Nummern zitiert, alle anderen weisen bereits die gängige Prunksaalsignatur auf. Das gab vermutlich den Anstoß dazu, auch die Eugeniana neu zu ordnen und mit aktuellen Signaturen zu versehen. Für die am 19. Juli 1758 begonnenen und am 15. Juni 1759 abgeschlossenen Arbeiten9 benutzte man nun die beiden Registerbände des Kataloges (Cod. 14379 und 14380), in die Prunksaalsignaturen für Bücherkästen von I bis XII eingetragen wurden. Bei Durchsicht der Indices, die nicht digital ediert werden, fällt zunächst einmal auf, dass in den neu vergebenen Signaturen nie die Buchstaben A, B, C und D vorkommen, die die untersten und größten Regale bezeichnen; dieser Platz war wohl schon damals den Alben mit Kupferstichen und Bildern aus der Eugeniana zugedacht10. Wichtiger aber ist, dass bei zahlreichen Einträgen gar keine Signaturen zu finden sind. Es handelt sich hauptsächlich um Werke historischen Inhalts, die aufgrund ihrer Einbände sicher aus der Eugeniana stammen. Man findet sie heute vor allem in Kästen im hinteren, der Hofburg zugewandten Bereich des Prunksaals, aber sie sind insgesamt zu stark verstreut, um ein System dahinter zu erkennen. Aus ungeklärten Gründen wanderten also schon bald nach 1738 hunderte Bände dieser Sammlung ab, die aufgrund ihrer Bedeutung eigentlich geschlossen aufgestellt bleiben sollte, eine Entwicklung, die sich im Lauf der Zeit fortsetzte.
Einen unfreiwilligen Beitrag dazu leistete das Personal der Hofbibliothek im Rahmen der Neuaufstellung um 1758/59. Wie in die Indices wurden die dreiteiligen Signaturen auch in die Bücher eingetragen. Während aber bei den Registern klar war, dass es sich um die Eugeniana handelt, war dies bei den Büchern selbst nicht der Fall, denn die gleichen Signaturen existierten bereits für die Bände in den Kästen I bis XII im Eingangsbereich des Prunksaals. Vor allem bei jenen Drucken, die nicht den typischen Einband besaßen, war ihre Zugehörigkeit zu der berühmten Sammlung fürs Erste nicht mehr erkennbar, sobald sie das Regal verlassen hatten. Vermutlich deshalb findet man z. B. in der Bücherkammer 26 heute Dutzende Bände aus der Bibliothek des Prinzen. Ihre Identifizierung wird allerdings dadurch erschwert, dass die alten Bleistiftsignaturen meist nicht nur durchgestrichen, sondern später auch ausradiert wurden, weshalb man selbst mit Hilfe von Streiflicht oft nur Bruchstücke erkennen kann.
Wieviele Drucke als Folge dieses Versehens abwanderten, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Der Fehler wurde jedenfalls zu einem unbestimmten Zeitpunkt bemerkt, und man fügte den verbliebenen Drucken in den 12 Bücherkästen vor der Signatur die Buchstaben ‚B.E.‘ (Bibliotheca Eugeniana) oder ‚P.E.‘ (Prinz Eugen) hinzu. Diese Kombination aus Signatur und nachgetragenen Buchstaben bildet ein wichtiges Erkennungsmerkmal für Drucke, die um 1758/59 in die heutigen Eugeniana-Kästen eingestellt worden sind. Ob es sich allerdings tatsächlich um ein Buch aus der Sammlung des Prinzen handelt, muss, wenn kein entsprechender Einband vorhanden ist, immer anhand der Kataloge überprüft werden. Vermutlich aus Platzgründen wurden nämlich damals auch schon Bände eingestellt, die mit ziemlicher Sicherheit nie zur Eugeniana gehört hatten. Manche davon haben sogar ihren Weg in den Katalog der Eugeniana gefunden, wo sie, wohl aus Versehen, im Zuge der Neuaufstellung als Nachträge angeführt sind. Ein paar davon sind leicht zu erkennen, da sie erst nach dem Todesjahr des Prinzen erschienen sind, bei anderen ist noch zu klären, ob sie der Eugeniana angehören oder nicht.
Ein weiterer Grund, warum die oben beschriebenen Signaturen von großer Bedeutung sind, liegt in den zwischen 1848 und 1875 laufenden Arbeiten am neuen Nominalkatalog der Hofbibliothek. Dabei wurden u. a. über 28.000 Dubletten ermittelt und meist ausgeschieden11. Auch Bände der Eugeniana blieben davon nicht verschont, doch versuchte man zumindest teilweise, die abgegebenen Werke an Ort und Stelle durch andere Exemplare zu ersetzen; deshalb hat es derzeit bei rund 100 Bänden den Anschein, man halte ein Buch aus der Eugeniana in Händen, da die bibliographischen Angaben des Index und die Signatur übereinstimmen, doch das ist eben nicht der Fall. Vereinzelt gibt es zwar Besitzvermerke oder getilgte hohe Prunksaalsignaturen, die Verdacht erregen, oft aber identifiziert man die Dubletten ausschließlich anhand der Art, wie die Signatur eingetragen ist. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal dabei ist, dass die Signaturen des 19. Jahrhunderts in einem Zug geschrieben sind.
Trotz all dieser Beobachtungen wird es nicht möglich sein, sämtliche noch erhaltenen Drucke der Eugeniana ohne den typischen Maroquineinband zu finden. Im Fall der 1758/59 vergebenen frühen Prunksaalsignaturen steht man etwa bei mehreren verdächtigen Exemplaren vor dem Problem, dass sie zu gründlich ausradiert worden sind und so letztlich kein Beweis erbracht werden kann. Bei den späteren Signaturen lässt sich manchmal keine Entscheidung treffen, weil Bibliothekare des 19. Jahrhunderts vorhandene Signaturen nachgezogen haben, weshalb der ursprüngliche Duktus der Schrift nicht mehr einwandfrei einzuordnen ist.
Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass auch bei den konventionellen Einbänden des Prinzen gelegentlich Aufmerksamkeit angebracht ist. So ist der Druck BE.7.K.5 in die rote Variante gebunden, doch in den Indices der Eugeniana ist der Text nicht zu finden, und das Titelblatt trägt einen Besitzvermerk des Hofbibliothekars Peter Lambeck (+1680). Erst bei näherem Hinsehen stellt man fest, dass der Einband im 19. Jahrhundert am Rücken erneuert und dann anscheinend einfach wiederverwendet worden ist.
Über den Autor: Mag. Friedrich Simader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek.
1 Des Großen Feld-Herrns Eugenii Hertzogs von Savoyen und Käyserlichen General-Lieutnants Helden-Thaten …, Bd. 6, Nürnberg 1739, 1130.
2 Vgl. Laurenz Strebl, Die barocke Bibliothek (1663-1739), in: Josef Stummvoll (Hrsg.), Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek. Erster Teil: Die Hofbibliothek (1368-1922). Wien 1968, 211.- Große Bibliophile des 18. Jahrhunderts: Prinz Eugen von Savoyen, Georg Wilhelm von Hohendorf, Antonio Folch de Cardona. Ausstellungskatalog Wien 1969, 47-48. – Helmut Nader, Die Druckschriftenbestände der Bibliotheca Eugeniana im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, in: Bibliotheca Eugeniana. Die Sammlungen des Prinzen Eugen von Savoyen. Ausstellungskatalog Wien 1986, 37.
3 Siehe z. B. Große Bibliophile, 50 und Nr. 102 bis 107. – Nader, Druckschriftenbestände, 41.
4 Siehe Strebl, Barocke Bibliothek, 194 und 202. - Ottokar Smital, Die Hofbibliothek, in: Heinrich Zimmermann, Anton Handlirsch und Ottokar Smital, Die beiden Hofmuseen und die Hofbibliothek. Der Werdegang der Sammlungen, ihre Eigenart und Bedeutung. Wien 1920, 58f. und 63f.
5 Die Aufstellung lässt sich anhand der erhaltenen Kataloge Cod. 11937, 11938 und 11932 rekonstruieren.
6 Nader, Druckschriftenbestände, 37, leider ohne Quellenangabe.
7 Johann Peter Willebrandt, Historische Berichte und Practische Anmerkungen auf Reisen …, Hamburg 1758, 374, Anm. 76.
8 Die Kataloge für die Theologica, Cod. 11902-11905, wurden zwischen 1758 und 1766 von Adam Franz Kollár verfasst. Dann wurde der Versuch einer systematischen Katalogisierung abgebrochen, und man erstellte ab 1766 einen alphabetischen Bandkatalog, das sogenannte ‚Universalrepertorium‘. Vgl. dazu Strebl, Barocke Bibliothek, 241.
9 Ein Eintrag auf fol. IIr in Cod. 14379, der vermutlich von Johann Georg Schonat stammt, lautet: ‚Incepi pro nova librorum dispositione facienda die XIX. Julii 1758, cessavi propter alios labores XXIV. Augustii, incessi de novo XXIV. Novembris post tot alios absolutos labores finivi die XV. Junii 1759‘.
10 Vgl. Gottlieb von Leon, Kurzgefaßte Beschreibung der k. k. Hof-Bibliothek in Wien, Wien, 1820, 36.
11 Dazu siehe Edith Mrázek-Schwab, Die Francisco-Josephinische Ära bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (1845-1899), in: Josef Stummvoll (Hrsg.), Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek. Erster Teil: Die Hofbibliothek (1368-1922). Wien 1968, 464f.
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