Die Gründung der RAVAG – Vorgängergesellschaft und somit Grundstein des heutigen ORF – markierte den Beginn des professionellen Rundfunks in Österreich und jährt sich heuer zum 100. Mal.
Autor: Martin Forster
Das ausgehende 19. Jahrhundert war geprägt von – für damalige Verhältnisse – rasanten technologischen Veränderungen, so auch im Bereich Tonaufzeichnung und -übertragung. Thomas Alva Edison, Graham Bell und Emil Berliner forschten an bahnbrechenden Erfindungen wie z.B. den ersten Mikrophonen, dem Phonograph, der Schellackplatte, dem Grammophon, dem Telegraphen – und in weiterer Folge auch dem Telefon. Der spätere Physik-Nobelpreisträger Guglielmo Marconi war schließlich der Erste, der die drahtlose Übertragung von Morsezeichen erforschte.
Noch vor dem 1. Weltkrieg kam es auch zu zahlreichen Versuchen für die Funkübertragung von Nachrichten mit gesprochenem Wort und musikalischen Inhalten. Der Ausbruch des Krieges brachte jedoch auch für diese neue technische Errungenschaft schwere Folgen mit sich – nämlich die ausschließliche Nutzung dieses neuen Mediums für militärische Zwecke.
Welche Wichtigkeit die neuen Kommunikationsmöglichkeiten während des Krieges bereits hatten, zeigt diese Kundmachung des K.u.K. Stadtkommandos Czernowitz, wonach das böswillige Kappen von Telegraphie-Kabeln unter Todesstrafe gestellt sei.
Erst einige Jahre nach dem Ende des 1. Weltkrieges kam das Medium Radio als neues Kommunikations- und Unterhaltungsmedium nach und nach auch in den Wohnzimmern der Republik an. 1923 begann in Wien „Radio Hekaphon“ versuchsweise erste Musiksendungen auszustrahlen. Zu dieser Zeit waren die Verhandlungen bezüglich der Lizenzen und Rechte für Rundfunkausstrahlung eigentlich noch nicht abgeschlossen, die Sendungen damit streng genommen rechtswidrig.
Die flächendeckende Verbreitung dieses – bis in die heutige Zeit – so einflussreichen Mediums fiel auch in eine Zeit, die für viele im Land von Nahrungsknappheit und Armut geprägt war. Die verbreitetsten Radiogeräte waren daher Bausätze, die von den Hörer*innen aus wenigen Bauteilen selbst zusammengebaut werden mussten. Das Abhören der Sendungen war bei diesen frühen Transistorradios übrigens nur über Kopfhörer möglich. Erst ab etwa 1928 waren auch Geräte mit Netzbetrieb, besserer Verstärkung und Lautsprecher erhältlich.
Die Diskrepanz zwischen technischem Fortschritt einerseits und schwierigen Lebensbedingungen andererseits spiegelt sich sehr gut im Titelblatt der „Illustrierten Kronen Zeitung“ vom 21. Dezember 1923: das wieder teurer werdende Brot einerseits, die Wunder der Technik andererseits.
Die staatliche Konzession wurde schließlich im Februar 1924 vergeben: aus insgesamt 12 Bewerbern wurde der Gruppe um die Unternehmer Eduard Schrack und Oskar Czeija schließlich der Zuschlag für das ausschließliche Recht zur Durchführung „des Rundfunks und des drahtlosen Telegraphie- und Telephonieverkehrs“ in Österreich erteilt.
Czeija hatte schon länger Bestrebungen in Richtung Rundfunk gezeigt und auch eigenes Geld in diesbezügliche Vorarbeiten gesteckt und wurde schließlich bei der konstituierenden Generalversammlung der Radio-Verkehrs-AG (RAVAG) am 30. September 1924 zum Generaldirektor ernannt.
Am 1. Oktober 1924 – nachdem schon im Sommer laufend erfolgreiche Versuchssendungen übertragen wurden – wurde vom ersten Sendestudio im obersten Stockwerk des Heeresministeriums am Stubenring die erste Sendung ausgestrahlt. Man begrüßte die in etwa 11.000 Zuhörer*innen mit den Worten: „Hallo, hallo! Hier Radio Wien auf Welle 530“. Die Sendeleistung dieser ersten Senderanlage betrug nur 350 Watt, die frühen Sendungen waren also noch auf ein sehr kleines Empfangsgebiet eingeschränkt.
Die Rundfunkgebühr für den zwar als private AG gegründeten, faktisch aber natürlich den politischen Körperschaften ausgesetzten Monopolsender betrug damals zwei Schilling im Monat – eine damals durchaus stattliche Summe, die für heutige Ohren aber wohl traumhaft klingt. Eine Empfangslizenz bekam man in den Postämtern, erst danach durfte man offiziell einen Radioapparat erwerben. Die Hörer*innenschaft wuchs indes stetig an, die „Weltbühne“ im Wohnzimmer brachte den Menschen ein neues Gefühl des „dabei seins“ – und durch die Monopolstellung wurde die RAVAG schnell zum Synonym für den Rundfunk in Österreich.
Generaldirektor Czeija sah die Aufgabe des Rundfunks darin, „zu bilden und zu belehren, ferner zu unterhalten“, die gesendeten Inhalte sollten also dem öffentlichen Interesse dienen – schon damals eine Art Bildungsauftrag wie ihn auch der heutige ORF innehat. Karl Kraus äußerte sich diesbezüglich mit folgendem humoristischen Bonmot: „Großes Heil ist der Welt erflossen: Der Hausmeister an den Kosmos angeschlossen.“ (zit. nach: Ergert, Viktor: 30 Jahre Rundfunk in Österreich. Band 1, Wien 1974, S.12.)
Literatur, Musik, Sport, Wetterberichte, Fahndungsmeldungen, etc. waren regelmäßige Bestandteile des damaligen Programmes. Darüber hinaus entwickelte das Radio abseits von reinen Übertragungen mit der Zeit auch eigene performative Merkmale und sogar eigene Kunstgattungen wie z.B. das Hörspiel.
Was genau gesendet werden sollte, konnte man schon damals in Programmzeitschriften einsehen.
Für die Industrie war die Herstellung von Radiogeräten eine willkommene Gelegenheit, da nach dem Ende des Krieges die militärische Rüstung wieder eine kleinere Rolle spielte und daher neue Geschäftsfelder dringend nötig waren. Mehrere österreichische und internationale Hersteller drängten auf diesen Markt – so handelt es sich beim „Hornyphon“ nicht um eine frühe Tinder-Variante, sondern eine durchaus bekannte österreichische Radio-Marke der Firma Horny, die bis in die 1970er Jahre existierte und danach in den Philipps-Konzern integriert wurde.
Das Ende der parlamentarischen Demokratie der 1. Republik im Jahr 1933 brachte auch wesentliche Veränderungen für die RAVAG. Unter anderem kam es zur Einführung von religiösen Sendungen, man versuchte eine österreichische Identität zu verstärken – vor allem aber begann die Regierung, viel direkter als bisher, den Rundfunk als Erfüllungsgehilfen von Propagandazwecken zu instrumentalisieren.
Die große Bedeutung des immer noch relativ neuen Mediums zeigte sich auch beim NS-Putsch im Juli 1934, bei dem 15 SS-Männer das damalige Funkhaus der RAVAG in der Johannesgasse stürmten und die Verlautbarung des angeblichen Rücktritts der Regierung Dollfuß verlesen wollten – ein Signal, das die Nationalsozialisten in den Bundesländern zur Machtergreifung aufrufen sollte.
Der Putsch scheiterte zwar, die Ereignisse zeigen aber, dass den Nationalsozialisten die Wichtigkeit des Radios schon damals bewusst war und sie sich die Geschwindigkeit des Massenmediums zu Nutze machen wollten.
Nachdem man bereits 1926 in neue Räumlichkeiten in der Johannesgasse gezogen war, gab es in den folgenden Jahren auch andere wesentliche Investitionen in die Infrastruktur – z.B. mehrere Übertragungswägen oder den Bau des Großsenders am Bisamberg (100 kW).
Im Oktober 1935 erfolgte der Spatenstich für das von Clemens Holzmeister entworfene Funkhaus in der Argentinierstraße im 4. Wiener Gemeindebezirk.
Noch vor dessen Inbetriebnahme im Jahre 1939 übertrug die RAVAG aber am 11. März 1938 aus dem Bundeskanzleramt die Rücktrittserklärung von Bundeskanzler Schuschnigg – vermutlich mit diesem, im Haus der Geschichte Österreich ausgestellten, Mikrofon – was auch das vorläufige Ende der RAVAG bedeutete.
Der Programmbetrieb wurde von der „Reichsrundfunkgesellschaft“, die Sendeinfrastruktur von der „Deutschen Reichspost“ übernommen. Am nächsten Tag meldeten sich die Sender der RAVAG mit der Ansage „Hier ist der Deutsch-Österreichische Rundfunk“ – man war zum Reichssender und damit zum Spielball des Naziregimes geworden, wie z.B. dieses Sendeprotokoll zeigt:
Am 6. April 1945 wurde die letzte Sendung des Reichssenders Wien ausgestrahlt – die NS-Herrschaft war zu Ende. Nur wenige Tage danach, am 16. April 1945, betraten Oskar Czeija und einige andere ehemalige „Ravagianer“ das Funkhaus und begannen mit dem Neuaufbau der RAVAG im damals noch rein russisch besetzten Wien. Die schwer beschädigten Sendeanlagen wurden nach und nach wieder in Betrieb gesetzt. Das Funkhaus fiel bei der Aufteilung Wiens in vier Besatzungszonen wieder ins russische Gebiet, deswegen gründeten auch die anderen Besatzungsmächte eigene Radioprogramme, die etwa aus Graz, Salzburg und Klagenfurt sendeten. Die Amerikaner verlagerten ihren Sender „Rot-Weiß-Rot“ – der sich als beliebtester durchsetzen konnte – aber recht bald nach Wien.
Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages im Mai 1955 wurden alle Sender zum unabhängigen österreichischen Rundfunk (ORF) zusammengeführt – der ab August 1955 auch Fernsehen ausstrahlte … doch das ist eine andere Geschichte.
Über diese prägende Frühzeit des Radios in Österreich können Sie in unseren Beständen umfangreiches Material finden, wie die ausgewählten Beispiele zeigen. Einige erhaltene frühe RAVAG-Tonaufnahmen wurden auch vom Volksliederwerk der Österreichischen Nationalbibliothek in Kooperation mit dem Phonogrammarchiv für die „Memory of Austria“-Liste der UNESCO eingereicht und 2014 in diese aufgenommen.
Ergert, Viktor. 50 Jahre Rundfunk in Österreich : Band 1 : 1924 – 1945. Salzburg: Residenz-Verlag, 1974. http://data.onb.ac.at/rec/AC00537234
Pensold, Wolfgang. Zur Geschichte des Rundfunks in Österreich : Programm für die Nation. Wiesbaden: Springer VS, 2018. http://data.onb.ac.at/rec/AC14465561
Reiter, Roswita. Keine Politik, keine Börse, keine Predigt! Der österreichische Rundfunk in seiner Frühzeit. Regau: Verl. Miramonte, 2010. http://data.onb.ac.at/rec/AC08724782
Schlögl, Reinhard. Oskar Czeija: Radio- und Fernsehpionier, Unternehmer, Abenteurer. Wien [u.a.]: Böhlau, 2005. http://data.onb.ac.at/rec/AC04220090
Geschichte des ORF. 1924 – 1949.
https://der.orf.at/unternehmen/chronik/1924-1945_chronik100.html
Zugriff: 13.2.2024
Rundfunk. Von der Gründung bis 1945.
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rundfunk
Zugriff: 12.2.2024
Zum Autor: Mag. Martin Forster ist Mitarbeiter der Abteilung Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement und Trainer im Center für Informations- und Medienkompetenz der ÖNB
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