Aus dem Stadtbild der großen österreichischen Städte nicht mehr wegzudenken und doch erst 60 Jahre jung: die „Fuzos“. Doch wer hat’s erfunden? Nein, nicht die Wiener Kärnterstraße, die Kramergasse in Klagenfurt war Österreichs erster ausschließlich FußgängerInnen vorbehaltener Straßenzug!
Autorin: Margot Werner
Am 23. Juni 1961 wurde die Fußgängerzone Kramergasse-Wienergasse in Anwesenheit von lokaler Politprominenz und Polizeikapelle - die das Kärntner Heimatlied intonierte - eröffnet.
Die Kramergasse ist eine Geschäftsstraße in der Klagenfurter Altstadt, sie verbindet den Alten mit dem Neuen Platz. Das Verkehrsaufkommen war erheblich geworden, die Einmündung der Kramergasse in den Neuen Platz „Schauplatz geradezu unmöglicher Situationen“ geworden, wie die Klagenfurter Stadtnachrichten zusammenfassten.
Gewerbetreibende hingegen beklagten den ruhenden Verkehr, welcher die Schaufenster verstelle. Bedenken der Geschäftsleute hinsichtlich der Einrichtung einer Fußgängerzone – wie bei ähnlichen stadtplanerischen Eingriffen an der Tagesordnung – gab es in Klagenfurt nicht, vielmehr finanzierten Geschäftsleute Brunnen zur Verschönerung der Fußgängerzone und die Stadt Klagenfurt errichtete Vitrinen als Präsentationsfläche für die Geschäftswelt.
Die Klagenfurter Stadtnachrichten boten in ihrer Ausgabe vom Juli 1961 Gewerbetreibenden Platz für großformatige Anzeigen, in welchen die Fußgängerzone explizit als neue Attraktion in teils launigen Werbetexten gerühmt wurde.
Allgemeine Zufriedenheit also über die Stadtbildverschönerung, deren Eröffnungsfeier der Klagenfurter Bürgermeister mit einem Appell an die Hausbesitzer, „ihrerseits nun auch noch das Nötige zur Verschönerung der Fassaden und Portale zu tun“ (Klagenfurt Stadtnachrichten 7/1961, S. 191f.) schloss.
Ganz so einvernehmlich gestaltete sich die Eröffnung der ebenfalls ein rundes Jubiläum – 50 Jahre - feiernden ersten Fußgängerzone Wiens, des Grabens, nicht. Im Dezember 1971 wurde der Bereich Graben, Stephansplatz, Kärntner Straße und Bräunerstraße provisorisch zum „Weihnachtskorso“ umfunktioniert, einer temporären Fußgängerzone mit allerlei Attraktionen für die BürgerInnen.
Der Straßenzug Kärntner Straße - Stephansplatz - Rotenturmstraße war seit Aufkommen des motorisierten Individualverkehrs eine wichtige Durchzugsstrecke durch die Innere Stadt geworden. Die Verkehrsbelastung wuchs in den1950er- und 1960er-Jahren enorm. Die Verdrängung der FußgängerInnen durch den Verkehr führte dazu, dass die heute florierende Wiener City lange Zeit als „sterbender Bezirk“ galt.
Bereits in den 1960er-Jahren wurden daher Pläne für die Einrichtung von Fußgängerzonen in der Innenstadt diskutiert, vor allem die Geschäftsleute fürchteten aber das Ausblieben der motorisierten Kundschaft. Die Chance zur Umsetzung einer größeren zusammenhängenden Zone für FußgängerInnen brachte schließlich der Bau der Linie U 1 mit zugehöriger Haltestelle Stephansplatz: Im Zuge der Planungen des U-Bahn-Baus wurden die Überlegungen konkretisiert, um die spätere Realisierung einer größeren Fußgängerzone nicht zu beeinträchtigen. 1969 erhielten fünf Architekten gleichzeitig den Auftrag, städtebauliche Konzepte für den Bereich Graben/Stephansplatz zu entwerfen. Kernaufgabe war seitens der Stadt Wien die Schaffung einer großen zusammenhängenden autofreien Zone als Kernbereich des Fußwegesystems der Inneren Stadt und die Unterbindung des Durchfahrtsverkehrs von Nord nach Süd. Das Fazit aller Büros war, dass die Einrichtung einer Fußgängerzone im Zusammenhang mit dem Bau der U-Bahn alternativlos sei. Eines der Konzepte sah sogar eine vollständige Überdachung des Grabens zu einer Art Galerie vor. Erst W. Heiss, Fußgängerzone Stephansplatz-Graben. In: der Aufbau, hg. von der Wr. Stadtbaudirektion, Heft 11/12 (1970), 410ff.
Die mit Kranzniederlegungen und anderem aktionistischen Begleitwirbel geäußerten Bedenken der Geschäftsleute riefen die „Wiener Handelskammer“, heute „Wirtschaftskammer Wien“ auf den Plan, welche eine Studie zu Erfahrungen in vergleichbaren internationalen Projekten vorlegte (Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien, Fussgängerzonen. Erfahrungen aus wirtschaftlicher Sicht, Wien 1973). Festgestellt wird, dass Pläne zur Einrichtung von Fußgängerzonen auch international bei den Geschäftsleuten vorerst häufig auf Widerstand stießen - aus Angst vor Verlust der bewegungsunfreudigen Kundschaft und erforderlichen Umorganisationsprozessen. Als Studienobjekt bot sich die allererste Fußgängerzone Europas, die 1953 in Amsterdam als Reaktion auf die massiven Kriegsschäden in der Innenstadt eröffnete Einkaufsstraße Lijnbaan an, sowie bereits realisierte autofreie Zonen in Deutschland, darunter München, Hamburg und Köln.
Das Fazit der Studie lautete: je zusammenhängender Fußgängerzonen und angrenzende Seitenstraßen sind und je einheitlicher das Flächenniveau (keine Trennung von Fahrstreifen und Gehwegen) gestaltet ist, desto besser werden die Areale angenommen.
Eine Umsatzsteigerung und Erhöhung der Passantenzahlen war in allen untersuchten Fußgängerzonen feststellbar, als Problem kristallisierten sich die Zulieferstraßen heraus, die deutlich an Attraktivität verloren. Allerdings, so hielten die Studienautoren fest, stellte sich nach Eröffnung von Fußgängerzonen rasch ein Ausleseprozess ein, wonach kleinere Einzelhandelsunternehmen von größeren Kaufhäusern verdrängt wurden und der ursprünglich differenzierte Branchenmix angesichts höherer Mietpreise uniformer wurde.
Zu dieser These soll Ihnen ein Bild der der Kärnterstraße von 1974 nicht vorenthalten werden – erkennen Sie inmitten der heutigen internationalen Ketten noch eines der abgelichteten Geschäfte wieder?
Doch auch von sozialen Folgen der Einrichtung von Fußgängerzonen fanden es die Autoren wert zu berichten:
„Als Problem im Zusammenhang mit der Frequenz in Fußgängerzonen sei noch der Aufenthalt von Jugendlichen erwähnt, die in ihrer äußeren Erscheinung („Nichtstun“) nicht den in der Gesellschaft vorherrschenden Standards entsprechen („Gammler“, Hippies“).“
Am 22. November 1971 eröffnete, quasi als Probelauf und um die Stadtbevölkerung an das Konzept einer autofreien Zone zu gewöhnen, der sogenannte „Weihnachtskorso“, die bereits erwähnte Fußgängerzone im Bereich Graben, Stephansplatz und Teilen der Kärnterstraße, die am 2. Jänner 1972 vorerst wieder Geschichte war.
Das neuartige Projekt war über Wochen hinweg Inhalt vielfältiger Medienberichterstattung, so meinte die Kronen Zeitung (die über Wochen hinweg stark in Richtung Fußgängerzone kampagnisierte) zu wissen, dass die Idee einer Fußgängerzone am Graben gar nicht neu sei, sondern zum Zeitpunkt der Einführung bereits 150 Jahre alt: Immerhin wurde anno 1821 mit Gültigkeit ab 1. Jänner 1822 vom Wiener Magistrat verordnet, dass „Kohlewägen der Eintritt in die innere Stadt“ untersagt sei. Einen Beleg dieser Verordnung, die schon damals die Minimierung von Staubbelastung zum Ziel hatte, konnten wir tatsächlich dank unseres digitalen historischen Zeitungsportals ANNO in der Wiener Zeitung vom 21. Dezember 1821 finden.
Der „Weihnachtskorso“ ging mit Spiel und Spaß für die Bevölkerung einher: so einer von der österreichischen Architektengruppe Haus-Rucker & Co. installierten „Gehschule“ - einer Art Hindernisparcours aus Schaumstoffteilen - die den Anspruch verfolgte, die Wahrnehmung der Menschen für das neue „Zimmer außerhalb ihrer Wohnung“ (Krone vom 5. Dezember 1971) zu schärfen sowie drei Plastikbällen mit vier Meter Durchmesser zwecks Belebung der Interaktion im erweiterten Wohnzimmer.
Doch es wäre nicht Wien, würde derartige Belustigung ungeteilte Zustimmung erfahren: Unter AnrainerInnen und Gewerbetreibenden formierten sich GegnerInnen der Volksfeststimmung, sie monierten den durch die Gehschule verursachten Lärm, die Musikbeschallung des Weihnachtskorsos, die Bestrahlung der Häuserfassaden, Schaubuden und Verkaufsstände sowie auch „das Kasperltheater am Stephansplatz“ (Anm.: übrigens jenes der Urania-Puppenbühne) das zwar eine Unterhaltung der kleinen Besucher der Fußgängerzone sei, „aber nicht in die Weihnachtsstimmung vor dem Dom“ passe. (Krone vom 10.12.1971). Auch Studierende nutzten die Gunst der Stunde um mit einer Demo die Ausdehnung der Fußgängerzone (sowie ein Gratis-Öffi-Ticket dazu) zu fordern, was wiederum zu Anrainerprotesten und Stimmung gegen die Fußgängerzone führte (Krone vom 15.12.1971). Die Geschäftsleute sahen sich schließlich veranlasst, über die Tageszeitung Kurier auf eine eigens eingerichtete Beschwerde-Hotline hinzuweisen „Beschwerden und Anregungen zum Thema Fußgängerzone werden von den Gewerbetreibenden unter der Telephonnummer 52 65 65/207 entgegen genommen“ (Kurier vom 27.11.1971).
Angefeuert wurde der Zwist durch Jugendliche, welche die „Gehschule“ nächtens in Besitz nahmen und dabei „großen Lärm entfachten“ (Kurier 6.12.1971).
Der Weihnachtskorso war allerdings auch gar keine „echte“ Fußgängerzone, zahlreiche Ausnahmen für einfahrende Autos und städtische Busse sowie die Rückkehr zum Autoverkehr in den Abendstunden und an Sonntagen zeigten deutlich die städteplanerischen Herausforderungen für die Einrichtung einer dauerhaften Lösung auf.
Für den überwiegenden Teil der Betriebe bedeutete die Errichtung der Probe-Fußgängerzone allerdings eine Verbesserung ihrer Standortbedingungen und plötzlich wollten alle eine haben - so eine moderne Fußgängerzone, wenn nötig auch mit lautstarkem Anrainer-Protest.
Eine endgültige Lösung wurde erst 1974 geschaffen: Der Abschluss der baulichen Ausgestaltung der Kärntner Straße zur ersten großen Fußgängerzone Wiens mit 14 Schanigärten, im Bereich von der Walfischgasse bis zur Weihburggasse, unter Einbeziehung der Marco D’Aviano-Gasse, der Donnergasse, der Kupferschmiedgasse und der Annagasse von der Kärnterstraße bis zur Seilerstätte. Die Kärntner Straße sollte zum Flanieren, Einkaufen und Verweilen einladen. Es folgten weitere Fußgängerzonen in der Favoritensstraße (1974-75), auf dem Jodok-Fink-Platz (1974), in der Naglergasse (1976) sowie weiteren Teilbereiche der City ab Weihburggasse sowie Kohlmarkt, Graben und Stock im Eisen-Platz im Jahr 1977. (Wilhelm Kment, Gerhard Mager, Walter Engstberger, Ernst Hackl. In: Der Aufbau, 31/1979-77, S. 177ff.)
Schließen möchte ich mit einem Gedicht von Kurt Schwarz aus dem Werk Wien skurril. Fotografische Notizen über die Fußgängerzone Wiens, 1991
„(…) der Mensch hingegen ist nur freundlich,
liebt überaus den Lärm,
fühlt sich in der Masse am wohlsten.
Machtgier, Eigennutz, Besserwissen, Mord und Totschlag,
welche sonst in der freien Wildnis, scheinen ihm fremd.
Er wogt hin und her, in skurrilen absurden Maskeraden -
Corso als alte Form des Theaters auf offener Bühne -
Einige als Tänzer, Pantomimen, Spielleute,
Possenreißer, Weltverbesserer, Zauberer.
Karneval das ganze Jahr.
Seine Bedürfnisse sind gering:
Essen und Trinken, Umherschauen, Lieben.
Das ist alles (…).
Zur Autorin: Mag. Margot Werner ist Leiterin der Hauptabteilung Benützung und Information.
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