Von der Leidenschaft des Böhmen Alois Liska (1866 - ?) für die Restaurierung von Bibliotheksgut und deren praktische Umsetzung an der k.k. Hof-, sowie Nationalbibliothek in der Zeit von 1914 -1939.
Autorin: Theresia Burkheiser
Alois Liska wurde 1866 in Böhmen geboren und führte nach seiner Buchbinderlehre bis zu seiner Einstellung an der Wiener Hofbibliothek 1914 ein unstetes Buchbinderleben. Er konnte in vielen Städten und auch bei einigen berühmten Buchbinderpersönlichkeiten wie Josef Zähnsdorf in London oder Paul Adam in Düsseldorf Erfahrungen sammeln. In Prag gründete er eine kunstgewerbliche Fachschule und veröffentlichte Artikel zu buchbinderischen und restauratorischen Themen. Erst mit seiner Anstellung an der k. k. Hofbibliothek 1914 ließ sich Liska fest in Wien nieder und führte bis zu seiner Pensionierung 1939 die restauratorischen Arbeiten für die Handschriftensammlung durch.
Restaurierungen an der Nationalbibliothek wurden bis zur Einstellung ihres ersten Buchrestaurators Alois Liska durch die Firma Hermann Scheibe durchgeführt. Die Bemühungen der Direktion Josef Karabacek um einen eigenen Restaurator waren erst 1914 erfolgreich. Liska arbeitete jahrelang auf Basis eines geringen Stundentarifes und war an der Nationalbibliothek nicht definitiv angestellt. Die Planung einer definitiven Bestellung wurde durch die Ereignisse des ersten Weltkriegs unterbrochen und auch nach Kriegsende immer wieder hinausgezögert. Der auf Karabacek folgende Generaldirektor Josef Donabaum erbat zwei Mal die definitive Bestellung Liskas bei der Verwaltung des Hofärars respektive beim Bundesministerium für Inneres und Unterricht. Besonders erwähnenswert erscheint, dass Donabaum 1920 in seiner Erklärung über die Wichtigkeit eines Restaurators auf die Werte des deutschen Buchbinders und Buchrestaurators Paul Adam zurückgriff: „Wiederherstellen kann jeder Buchbinder mehr oder weniger gut; zum Restaurieren gehört nicht allein ein völliges Beherrschen der Einband-Technik, sondern auch ein umfassendes Wissen in Bezug auf die Entwicklung des Einbandes bei den verschiedenen Kulturvölkern, am meisten aber eine angeborene oder anerzogene Neigung, die alten Herrlichkeiten mit voller Verehrung und Hingebung zu behandeln, ein gewisses Verlieben in fremder Leute Eigentum, so lange es dem Restaurierenden eben unter den Fingern bleibt.“ (NB 155/1920, Schrift vom 21. März 1920). Erst 1922 erhielt Liska eine definitive Anstellung, „im Sinne der Qualifizierung seiner Dienstleistung als höherer Hilfsdienst in einer Bücherei“. (NB 557/1922, Dienstvertrag vom 26. August 1922)
Die Keimzelle des Instituts für Restaurierung lag zu der Zeit, als Alois Liska und sein späterer Kollege Johann Spiegel die Restaurierungsarbeiten durchführten, 1914 - 1941, im ersten Zimmer der Handschriftensammlung. Wie die Ausstattung dieser „Werkstätte“ ausgesehen haben könnte, ist schriftlich nicht belegt. Fotos aus den 1940er Jahren zeigen Johann Spiegel bei der Arbeit und lassen Rückschlüsse über die Arbeitsbedingungen zu. Tische in den Fensternischen im ersten Raum der Handschriftensammlung dürften als Arbeitsplatz gedient haben. Nachforschungen ergaben, dass die Räumlichkeiten der Handschriftensammlung 1984 große bauliche Veränderungen erfuhren. Türen und Mauern wurden entfernt oder versetzt. Der ehemalige Arbeitsraum Liskas und Spiegels ist heute Teil des Treppenhausbereiches und beinhaltet den Eingang zu den Depots I und II.
Der jahrzehntelange Einsatz der Direktoren Karabacek, Donabaum und Bick um geeignete Räumlichkeiten für eine Restaurierungswerkstatt hatte erst Mitte der 1940er Jahre Erfolg, als die nötigen Mittel und Räumlichkeiten bewilligt wurden.
Neben Restaurierungen für die Handschriftensammlung, aber auch für andere Sammlungen, führte Liska auch Buchbinder- und Kartonagenarbeiten aus. Die Handschriftensammlung litt lange Jahre unter Personalmangel, sodass das Personal sich die Arbeiten teilen musste. Aus diesem Grund war Liska auch Türhüter beim Eingang in die Lesezimmer der Sammlung, was noch in den Folgejahren bemängelt wurde. Die Nationalbibliothek gestattete Liska, auch für andere Bibliotheken zu arbeiten. So war er beispielsweise in der Schlossbibliothek in Mittersill und in den Stiftsbibliotheken Vorau und Heiligenkreuz tätig.
Die Nationalbibliothek konnte sich in diesen Jahrzehnten zu einem Kompetenzzentrum für Restaurierung und Konservierung von Buchbeständen etablieren, wobei ein gemeinschaftlicher Austausch im Sinne der Wissenschaft zur Erhaltung von Bibliotheksgut zwischen nationalen und internationalen Bibliotheken gepflegt wurde. So wurde die Nationalbibliothek auch gebeten, Buchbinder anderer Bibliotheken bei Liska für Restaurierungen ausbilden zu lassen, wie beispielsweise Johann Diewald vom Landesarchiv in Linz 1923, oder 1937 Bonaventura Lenart, Restaurator an der Nationalbibliothek in Warschau.
Die Restaurierung beschädigter Codices, Inkunabeln und Handschriften und ihrer Einbände wurde seit 1914 durch Liska systematisch in Angriff genommen und ab 1918 detailliert im Journal ausgebesserter Handschriften verzeichnet. Die einzelnen Seiten verfügen über eine Nummerierung der restaurierten Objekte, deren Signatur, der Art der Restaurierung, Tag und Monat der Übernahme und Übergabe, sowie der sogenannten Chiffre. Bei der Chiffre handelt es sich um Paraphen der Restauratoren und der Beamten der Handschriftensammlung. Zusätzlich wurde nach Abschluss der Restaurierung entweder am vorderen oder hinteren fliegenden Blatt verzeichnet, wann das Objekt restauriert wurde.
Die Praxis der Buchrestaurierung durch Liska basierte unter anderem auf den zu Anfang des 20. Jahrhunderts definierten ethischen Gedanken des deutschen Buchbinders und Buchrestaurators Paul Adam. Adam setzte sich für möglichst wenig invasive restauratorische Eingriffe ein, wobei das Hauptaugenmerk auf dem Erhalt des Originalmaterials lag und somit richtungsweisend für das heutige Verständnis wurde. Diesem Gedanken folgend wurden Fragmente erhalten und Spuren früherer Restaurierungen zu belassen versucht.
Kleinere Fragmente legte Liska in Kuverts, welche an der Innenseite des Rückendeckels verklebt wurden. Ebenso wurden Makulaturen, welche als Spiegel verwendet wurden, entweder in der gleichen Weise wiederverwendet, oder als fliegendes Blatt angeheftet. Ab den 1930er Jahren wurden die Fragmente auch immer wieder in der Fragmentesammlung der Nationalbibliothek katalogisiert.
Eine erfolgreiche Methode zur Stabilisierung von Pergament und Papier war die Verwendung von Seidengaze. Diese wurde erstmalig in der Vatikanischen Bibliothek eingesetzt und bei der Konferenz zu St.Gallen 1898 durch Pater Franz Ehrle vorgestellt. Seide ist ein Faserstoff tierischen Ursprungs; sie ist sehr fein, besitzt aber dennoch die höchste Festigkeit aller Naturfasern und wurde besonders zur Fehlstellenergänzung im Schriftbereich verwendet. Gaze eignete sich hierfür besonders gut, da sie sich der Materialbewegung des Papiers oder des Pergaments angleicht und somit keine Spannungen erzeugt. Außerdem ist sie kaum sichtbar und stört die Lesbarkeit der Schrift nicht.
Nachdem die Restaurierungsmethode mit Hilfe von Seidengaze durch die St. Gallener Konferenz vorgestellt und breite Verwendung in Fachkreisen fand, wurde diese Technik auch an der Wiener Nationalbibliothek verwendet.
Die Tatsache, dass auch von der Buchbinderei Hermann Scheibe Gaze verwendet wurde, lässt darauf schließen, dass das Material und die Technik durch Josef Karabacek in Auftrag gegeben wurden. Karabacek selbst hatte durch seine Funktion im Komitee, das auf der Konferenz in St. Gallen gegründet wurde, sehr gute Kontakte zum vatikanischen Laboratorium.
Das große Verdienst Liskas war es, sein Wissen weiter zu geben, etwa in seinem Beitrag Etwas über Restaurierungen, in dem er wesentliche Schritte der Buchrestaurierung darlegte. Weiters dokumentierte er seine Arbeitsschritte detailliert im Journal für ausgebesserte Handschriften, wobei seiner Maxime, dass jegliches Originalmaterial möglichst erhalten bleiben muss, besondere Bedeutung zukommt. Im Vergleich zu den damals gängigen oder bekannten Methoden der Buchrestaurierung waren die Restaurierungen Liskas im Sinne Paul Adams wenig invasiv und damit zukunftsweisend.
Über die Autorin: Mag. Theresia Burkheiser, diplomierte 2021 mit dem Titel „Ein Beitrag zur Geschichte der Buchrestaurierung: Die k.k. Hof-, sowie Nationalbibliothek (Wien) in der Zeit von 1899-1939“ an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Theresia Burkheiser (2021): Ein Beitrag zur Geschichte der Buchrestaurierung: Die k.k. Hof-, sowie Nationalbibliothek (Wien) in der Zeit von 1899-1939, Diplomarbeit, Studienrichtung Konservierung und Restaurierung, Akademie der bildenden Künste Wien.
Alois Liska (1933): Etwas über Restaurierungen, in: Journal für Buchbinderei- und Kartonnagenbetriebe sowie für den Papier- und Schreibwarenhandel, o. S.
Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek, NB 155/1920, http://data.onb.ac.at/rec/DZ00000112
Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek, NB 557/1922, http://data.onb.ac.at/rec/DZ00002051
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