Über die Erschließung eines wertvollen Bestandes
Autor: Martin Krickl
Schon ihren Zeitgenossen galten die Produkte der Offizinen (d.h. Druckerwerkstätten) des Aldo Pio Manuzio (1449–1515), seiner Partner und Söhne (bis 1598) als ebenso schöne wie brauchbare Bücher und damit auch als besondere Schmuckstücke privater Büchersammlungen.
Die Gelehrten des 16. Jahrhunderts überzeugten die Textauswahl, das editorische Gespür Aldos und seines Netzwerkes sowie nicht zuletzt die typographische Gestaltung der Editionen: zunächst der Schnitt griechischer Typen; dann ab 1501 unter Veränderungen des Marktes zunehmend lateinische Klassikereditionen mit schlichter Textpräsentation und deren konsequente Umsetzung in Oktavbänden, die perfekt in der Hand und nicht nur auf dem klösterlichen Lesepult liegen sollten. Nicht zuletzt war es auch eine dem Lesefluss wie dem Papierbedarf entgegen kommende Kursivtype (Italica-Satz). Auch wenn Aldus diese Macharten nicht erfunden hatte, so hatte er sie perfekt kombiniert und für einen reißenden Absatz durch die gesamte europäische Gelehrtenkultur gesorgt (vgl. Lowry 1979).[1] Die seit 1501 in verschiedenen Varianten entwickelten Druckermarken, einen sich um einen Anker windenden Delphin darstellend, sollten gleichsam als Qualitätssigel die Erzeugnisse der Offizin markieren (Fletcher 1988: 43-49). Früh schon wurden die Drucke kopiert, von manchen plump von manchen wie den Lyoner Druckern überaus gekonnt. Da nutzten weder die Marken noch die Flugschriften und Vorreden Aldos an die Leser, in welchen er vor den illegitimen Nachdrucken warnte. Bis ins 19. Jahrhundert galt seine Druckermarke als eine der am häufigsten imitierten „Brandmarks“. (s. Abb. 1)
Spätestens ab dem Ende des 17. Jahrhunderts wurden Aldinen zu Sammlungsobjekten per se, in großen repräsentativen Adelsbibliotheken, wie etwa derjenigen des Grafen von Méjan oder von Georg Wilhelm von Hohendorf (ca. 1670–1719), des Generaladjutanten des Prinzen Eugen von Savoyens. Erstere Kollektion von ca. 1150 Aldinenbänden wurde 1847 unter Friedrich Wilhelm IV. für die Preußische Bibliothek erworben.[2] Die exklusive Kollektion Hohendorfs, der sowohl als Bücheragent für den Prinzen Eugen tätig war, als auch für sich selbst unter anderem in Paris aus der namhaften Sammlung des französischen Gelehrten Emery Bigot (1628–1689) repräsentative Bände kaufte, wurde 1720 nach seinem Ableben versteigert. Sie wurde für ca. 6.000 Gulden von Kaiser Karl VI. erworben, gerade rechtzeitig als zusätzliche Zierde für den neu zu entstehenden Bibliothekssaal (Stummvoll 1968: 194; Bibliotheca Eugeniana 1986: 24).[3]
Die Aldinen der Sammlungen Jean Grolier de Servières (1479–1565), des berühmtesten Aldinen-Sammlers des 16. Jahrhunderts, der wegen seiner persönlichen Kontakte zum Netzwerk um Aldo als französischer Gesandter in Norditalien gleichsam Bände aus erster Hand bezog, fanden zum Teil über den Erwerb der Sammlung Bigot, zum Teil vermutlich über andere Privatsammler den Weg in den Hohendorfschen Bücherschatz.[4] Zumindest sind beinahe sämtliche Aldinen der Grolier-Sammlung mit ihren prachtvollen Schmuckeinbänden über Hohendorf an die Wiener Hofbibliothek gelangt, ebenso wie sämtliche Aldinen der Sammlung Bigot. Eine Vielzahl an Aldinen zählte die Hofbibliothek bereits davor. Schon im Inventar der Hofbibliothek von Hugo Blotius aus dem Jahr 1575/76 (ÖNB Cod. 13525) sind zahlreiche Aldinen nachweisbar, die meisten davon aus dem Vorbesitz des Humanisten und Geschäftsmanns Hans Dernschwam von Hradiczin (1494–1568), dessen Sammlung 1571 für die damals noch im Komplex des Minoritenklosters befindlichen Bibliothek erworben worden war. Letzterer verzeichnete die Ausgaben in seinem handschriftlichen Katalog (Cod. 12652) stolz mit „per Aldum“ und ließ auf den Vorderdeckeln der Folio-Bände in Schweinsleder sogar eine Kopie der Druckermarke prägen (s. Abb. 2), um sie besonders zu kennzeichnen. Hans Dernschwam kennzeichnete nicht nur den teuren Bestand, er las ihn auch zuweilen, was zahlreiche Lesespuren von seiner Hand noch heute beweisen.
Der Präfekt Sebastian Tengnagel (1563–1636) brachte Anfang des 17. Jahrhunderts einige seiner Aldinen mit in die Hofbibliothek, einige kamen in Fässern verwahrt auf Flössen aus Augsburg als Teil der 1655 angekauften Fugger-Bibliothek nach Wien. 1756 kamen die Bestände der Alten Universität in die Hofbibliothek, darunter ein Gros der Bibliothek des Wiener Erzbischofs Johann Fabri (1478–1541), des Humanisten und Juristen Johannes Brassicanus (1500–1539) (s. Abb. 1) wie auch des Arztes und Humanisten Johannes Cuspinian (1473–1529) (Simader 2012). Auch im 20. Jahrhundert sammelte man weiter für die Aldinen-Kollektion der Hofbibliothek. Die zwei jüngsten Erwerbungen kamen mit der Sammlung Loibl ins Haus (Loger 2015).
2009 wurden im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit dem Institut für Neogräzistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die Aldinen in griechischer Schrift erschlossen und digitalisiert (Panteghini 2009). Seit 2017 werden nun sämtliche Ausgaben der Aldinen-Offizinen in der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek systematisch erfasst und für den Katalog (OPAC) detailliert beschrieben.
Ein genauer Abgleich der Dubletten erfolgt damit genauso, wie die Einarbeitung von bibliographischen Referenzen. Jeder Band wird in seiner exemplarspezifischen Individualität, d.h. mit seinem Einband, seinen Lesespuren, seinen (eruierbaren) Vorbesitzern und nicht zuletzt seinen oftmals unscheinbaren Druckvarianten präsentiert. Diese und sorgfältig ermittelte Verlagskorrekturen (sei es handschriftlich oder durch Überklebungen – sogenannten Tekturen; s. Abb. 3) können nicht zuletzt Hinweise für die Mechanismen der Drucklegung in den Aldinen-Offizinen geben. Galten – wie dargelegt – die Produkte dieser Pressen schon früh als Sammelobjekte, so bildete sich spätestens seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Forschungs-Gemeinschaft um diese besonderen Erzeugnisse der typographischen Kultur. Dass im Zuge des Projektes Austrian Books Online ein Gros der Bände digitalisiert wurde und die Digitalisate öffentlich frei abrufbar sind, sichert wesentlich eine breite Zugänglichkeit des Bestandes und die Aufmerksamkeit der Forschungs-Gemeinschaft. Erst mit dem Abschluss der Arbeiten an der Tiefenkatalogisierung und damit auch an der Revision des Teilbestandes wird die genaue Zahl der Bände und die genaue Zahl der Ausgaben bestimmbar sein, geschätzt werden kann sie vorläufig auf ca. 700.[5]
Erschlossen wurden die Aldinen als wertvoller und einer Auszeichnung würdiger Teilbestand der Hofbibliothek bereits in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts. So berichtete in der Geschichte der Hofbibliothek von 1835 Ignaz Freiherr von Mosel (1835: 282) unter den Arbeiten der jüngeren Vergangenheit, dass ein Katalog der „Aldiner“ abgeschlossen worden sei. Bereits im Rechenschaftsbericht des Präfekten Moritz Graf von Dietrichstein hieß es, dass „die auf Pergament gedruckten Bücher und die wertvollen Aldinischen Bände, an welchen die Hofbibliothek reich ist, in mehreren der neuen Kästen zusammengestellt wurden.“ (ÖNB-Archiv Akt Nr. 87/1831). Damit waren wohl die 64 Kästen gemeint, welche – um der akuten Platznot zumindest etwas entgegen wirken zu können – im Mittelteil des Prunksaales aufgestellt worden waren. 1835 wurde dann an das Oberhofmeisteramt berichtet, dass die Dubletten in den jüngst erworbenen Augustinerlesesaal transferiert werden würden und ein Abgleich „200 Aldiner Ausgabe von gleicher Art“ ergeben habe.
Der Katalog der Aldiner, welchen Mosel erwähnte und welcher Grundlage für die Separation des Teilbestandes und dessen Dubletten war, konnte tatsächlich aufgefunden werden. Es handelt sich um zwei Katalogkapseln in der Manier des Josefinischen Zettelkataloges mit dem Etikett „Editiones Aldinae“[6]. Die Zettel wurden wohl nach der Aufnahme im Josefinischen Katalog erstellt und mit den entsprechenden Signaturen für die neuen Regale „Armaria Nova“ versehen (s. Abb. 4).
Ein noch ausstehender Abgleich kann mitunter erweisen, welche Bände im Laufe des 19. Jahrhunderts als Dubletten veräußert wurden. Um die betreffenden Zettel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezielt aus dem Josefinischen Katalog angeln zu können, war noch ein bibliographisches Hilfsmittel nötig. Erstellt hatte es der französische Bibliophile Antoine Auguste Renouard erstmals 1815 unter dem Titel Annales de l’imprimerie des Alde und legte damit den Grundstein für eine systematische Erfassung der Aldinen in den großen Bibliotheken und für die Aldinen-Forschung. Wie ein Brief an Renouard aus dem Jahr 1824 bezeugt, in welchem der Skriptor beklagte, dass die Aldinen der Hofbibliothek verstreut wären (ÖNB-Archiv Akt Nr. 2145/1824), wurde ein Exemplar der zweiten Auflage erworben und als Arbeitsinstrument genutzt.[7] Die vorhandenen Aldinen wurden darin handschriftlich gekennzeichnet. In genanntem Brief wurde Renouard, der wohl noch an der Revision seines Opus magnum arbeitete, mitgeteilt, dass es äußerst schwer wäre, ihm anzugeben, aus welchen Quellen in welcher Zahl die Ausgaben an die Hofbibliothek gekommen wären („Il Seroit amplis fort difficile de vous indiquer, quant au plus gran nombre, de quelle bibliotheque ils nous sont parvenues“). Mit Abschluss der laufenden Erschließung wird der OPAC Auskunft darüber erteilen.
Austin, Gabriel (1971): The library of Jean Grolier. A preliminary catalogue. New York: Grolier Club.
Bibliotheca Eugeniana (1986): Die Sammlungen des Prinzen Eugen von Savoyen. Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek und der Graphischen Sammlung Albertina. Wien: Österreichische Nationalbibliothek.
Fletcher, H. George (1988): New Aldine Studies. Documentary Essays on the life an work of Aldus Manutius. San Francisco: Bernard M. Rosenthal, Inc.
Fletcher, H. George (1995): In Praise of Aldus Manutius. A Quincentenary Exhibition. New York: Pierpont Morgan Library.
Krajewski, Markus (2002): Zettelwirtschaft. Die Geburt der Kartei aus dem Geist der Bibliothek. Berlin: Kadmos.
Loger, Gertraude (2015): Die Drucke des 16. Jahrhunderts der Sammlung Loibl. Codices Manuscripti, 36, H. 101/102.
Lowry, Martin C. (1979): The World of Aldus Manutius. Oxford: Cornell Univ. Press.
Mosel, Ignaz von (1835): Geschichte der kaiserl. königl. Hofbibliothek zu Wien. Wien: Beck.
Panteghini, Sebastiano (2009): Projektbericht Inkunabeln und alte Drucke: Die griechischen Aldinen der Österreichischen Nationalbibliothek. In: Biblos, 58, S. 111ff.
Renouard, Antoine Auguste (1834): Annales de l’imprimerie des Alde, ou histoire des trois Manuce et de leurs éditions. 3. ed. Paris: Jules Renouard.
Simader, Friedrich (2012): Materialien zur Bibliothek des Wiener Erzbischofs Johannes Fabri. In: Christian Gastgeber, Elisabeth Klecker (Hrsg.): Iohannes Cuspinianus (1473–1529). Ein Wiener Humanist und sein Werk im Kontext. Wien: Präsens, S. 267–285.
Stummvoll, Josef (Hrsg.) (1986): Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek. Erster Teil: Die Hofbibliothek (1368–1922). Wien: Georg Prachner.
Unterkircher, Franz (1959): Die Grolier-Einbände der Österreichischen Nationalbibliothek. In: Gutenberg-Jahrbuch, S. 249–258.
Zum Autor: Mag. Martin Krickl war bis Juli 2018 Mitarbeiter der Sammlung von Handschriften und alten Drucken und ist seit August 2018 Data Librarian der Abteilung Forschung und Entwicklung im FWF-Forschungsprojekt „Travelogues“.
[1] Aus der Fülle der Literatur zu Aldo Manuzio (latinisiert Aldus Manutius) und den Produkten seiner Offizinen sei hier nur auf zwei lesenswerte Publikationen verwiesen. H. George Fletcher: In Praise of Aldus Manutius. A Quincentenary Exhibition. New York: The Pierpoint Morgan Library 1995 und Martin C. Lowry: The World of Aldus Manutius. Oxford: Cornell Univ. Press 1979. In letzterem kann nachgelesen werden, wie das Netzwerk um Aldus und seinem Partner Andrea Torresani funktionierte, wie die Druckproduktion und der Absatz organisiert wurde. Es muss richtig von Druckerwerkstätten gesprochen werden, da Aldo selbst nachweislich zweimal den Standort wechselte und die Produktion nach seinem Ableben von den Torresani weiter betrieben wurde. Nach langen Rechtsstreitigkeiten zwischen diesen und dem Erben Paolo Manuzio teilte sich die Produktion. Paolo druckte in den 1550er-Jahren fünf Jahre lange unter dem Protektorat der Kurie in Rom, sein Bruder in Venedig. Auch in Bologna wurde im Zeichen des Ankers gedruckt und die Torresani fabrizierten in den 1540er-Jahren zudem für den französischen Markt in Paris unter diesem Label.
[2] Zu Bestand und Geschichte der Erwerbung: Im Zeichen von Anker und Delphin. Die Aldinen-Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin, hrsg. von der Staatsbibliothek zu Berlin-Preußischer Kulturbesitz. Leipzig: Faber & Faber 2005.
[3] Der Auktionskatalog erschien unter dem Titel Bibliotheca Hohendorfiana Ou Catalogue De La Bibliotheque De feu Monsieur George Guillaume Baron De Hohendorf: Dans son vivant, Colonel des Cuirassiers au service de Sa Majesté Impériale & Catholique. La Haye: De Hondt 1720 (digital abrufbar)
[4] Zu den Aldinen der Sammlung Grolier vgl. Austin (1971) und Unterkircher (1959). Die Sammlung Emery Bigots, die sich durch spezifische Maroquin-Einbände kennzeichnet, wurde 1706 von dessen Erben in Paris versteigert. Ein Exemplar des Auktionskataloges Bibliotheca Bigotiana, Seu Catalogus Librorum, quos ... congessere ... uterque Joannes, Nicolaus, & Lud. Emericus Bigotii besaß nachweislich Georg Wilhelm von Hohendorf (heute ÖNB 56.679-A). Es ist davon auszugehen, dass Hohendorf zahlreiche Bände aus der Auktion für sich erwarb, darunter auch Grolier-Bände.
[5] Mit dem Suchstring „ONBALDINE“ können bereits ca. 600 fertig bearbeitete Datensätze abgerufen werden, zudem über die Referenz auf bibliographische Standardwerke wie etwa Renouard (3. ed.).
[6] Der sogenannte Josefinische Zettelkatalog wurde unter der Präfektur Gottfried van Swietens zwischen 1780 und 1787, ursprünglich als interimistisches Instrument für einen systematischen Bandkatalog intendiert, erstellt (vgl. Stummvoll 1986: 293). Die Beschreibung auf losen Zetteln, die in 205 Kästchen geordnet noch heute im Magazin der Sammlung von Handschriften und alten Drucken verwahrt werden, war damals durchweg ungewöhnlich, sodass berechtigt von einem Vorläufer moderner Zettelkataloge gesprochen werden kann (Krajewski 2002: 35-64).
[7] Antoine Auguste Renouard: Annales de l’imprimerie des Aldes. 2. ed. Paris: Renouard 1825. Das Exemplar in drei Bänden ist heute im Augustinerlesesaal mit der Signatur 397.238-B aufgestellt.
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