2018 jährt sich zum 550. Mal der Todestag von Johannes Gutenberg, der als Erfinder des Satzes und Druckes mit beweglichen Einzellettern in die Welt-Mediengeschichte eingegangen ist. Die Gutenberg-Bibel ist Objekt des Monats Juni im Rahmen des Jubiläumsjahres 650 Jahre Österreichische Nationalbibliothek.
Autor: Stephan Füssel
Als erstes gedrucktes Buch aus der Werkstatt, die er zusammen mit dem Geldgeber Johannes Fust und dem Typografen Peter Schöffer in Mainz betrieb, hat die lateinische Bibel, die Vulgata von 1454 eine ganz herausragende Bedeutung: Sie ist mehr als ein bloßer Prototyp der Erfindung, sondern sie bietet mit ihren 1.286 Seiten sogleich das Meisterstück dieser Werkstatt, da es die Satztechnik, die Typografie und den Druck in einer Qualitätsstufe präsentiert, die auf viele Jahre des Experimentierens und des kreativen Verbesserns schließen lässt. Nicht selten wird dieses erste in der westlichen Welt gedruckte Buch als das typografisch gelungenste bis in unsere Zeit bezeichnet.
Gleichzeitig veränderte der Buchdruck den Zugang zur Hauptschrift des Christentums, da 180 identische Exemplare in nur zwei Jahren hergestellt wurden, in einer Zeitspanne, in der vorher ein Schreiber im mittelalterlichen Kloster gerade einmal ein Exemplar abschreiben konnte.
49 Exemplare (darunter 22 vollständige) und einige Groß-Fragmente haben sich von der Gutenberg-Bibel erhalten. Ein vollständiges auf Pergament gedrucktes Exemplar (aus der SUB Göttingen), das nach einem ebenfalls erhaltenen „Musterbuch“ rubriziert und illuminiert wurde, wurde im Jahr 2001 in die Liste des UNESCO-Weltdokumentenerbes aufgenommen; es steht – wie viele andere Gutenberg-Bibeln – als qualitativ hochwertiges Digitalisat im Netz (gutenbergdigital.de).
Die Bibel selbst enthält kein Impressum, so dass die Namen der beteiligten Personen aus anderen Quellen erschlossen werden müssen: bei der Bibel aus der Urkunde des Notars Ulrich Helmersperger von 1455, die sich ebenfalls in der SUB Göttingen befindet (das sog. Helmerspergersche Notariatsinstrument, vgl. Füssel 2018, S. 55-62). In einer rechtshistorischen Untersuchung konnte nachgewiesen werden (Empell 2008), dass sich Gutenberg und Fust nach ihrem abgeschlossenen Projekt des „Werks der Bücher“ Gewinn und Verlust aufteilten. Darin wird dokumentiert, dass Gutenberg mit der Gesamtorganisation, dem Führen des Rechnungsbuches und der Leitung der Werkstatt eine herausragende Rolle innehatte. Durch diese rechtsverbindliche Vereinbarung gab es keinen „Gewinner“ oder „Verlierer“, sondern in der Nachfolgezeit arbeitete Fust mit Schöffer in Mainz weiter (die dann durch ein eigenes Druckersignet und Kolophone ihre Druckwerke kennzeichneten) und Gutenberg bis zu seinem Tod 1468 in einer anderen Druckerei, bevorzugt mit der sog. DK-Type, deren Name von den „Brotartikeln“ der Donate und der Kalender herrührt.
Von der Kurzgrammatik des Aelius Donatus aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert lassen sich etwa 38 Auflagen zu Gutenbergs Lebzeiten nachweisen, die offensichtlich eine hohe Nachfrage im Schul- und Universitätsbetrieb befriedigten. Gutenberg publizierte 1454 den sog. „Türkenkalender“, mit dem Kalendarium des Jahres 1455, die deutsche Übersetzung einer lateinischen Kreuzzugspredigt von Giovanni Capistrano, die dieser im Oktober 1454 in Frankfurt gehalten hatte.
Vom Oktober 1454 hat sich auch ein außergewöhnliches Zeugnis der ersten Probebogen der Bibel erhalten. Niemand Geringerer als der Gesandte des Kaisers Friedrichs III., Enea Silvio Piccolomini (der spätere Papst Pius II. (1458– 64)) berichtet, dass ihm ein vir mirabilis, eventuell Gutenberg selbst, auf der Messe die ersten Lagen dieses ersten gedruckten Buches angeboten habe, die erstaunlicherweise alle gleichmäßig und harmonisch gesetzt waren und die sein Briefempfänger, der spanische Kardinal Juan de Carvajal, auch „ohne Brille hätte lesen können“. Enea Silvio verstand sofort, welche wichtige Rolle und Bedeutung diese neue Technik für die Kirche besaß, da nun die Verbreitung von identischen Messtexten für die weltweit agierende Kirche möglich wurde. Es ist kein Wunder, dass die Kurie daraufhin bereits 1465 im Kloster Santa Scholastica in Subiaco eine Druckerwerkstatt bei den Benediktinern einrichten ließ, die von zwei Druckern aus der Diözese Mainz, Konrad Sweynheim und Arnold Pannartz, geführt wurde, die ab 1467 in Rom weiterdruckten.
Einem theologischen Berater von Johannes Gutenberg, mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Pfarrer von St. Christoph in Mainz, Johann Günther, ist es zu verdanken, dass eine textphilologisch wertvolle Ausgabe aus Mainzer Klosterbesitz als Vorlage für den Druck gewählt wurde, eine in Paris überarbeitete Vulgata-Version aus dem späten 13. Jahrhundert. Durch die 180 Exemplare, die nun in sehr vielen Universitäten, Klöstern und Diözesen zur Verfügung standen, hat diese eine Textausgabe eine ungeahnte Verbreitung nach sich gezogen: Fast alle Nachfolgedrucke im 15. Jahrhundert gehen exakt auf dieses erste Mainzer Exemplar zurück, und in der Editionsgeschichte der Vulgata findet sich auch noch heute die Ausgabe „Mainz 1454“ als Referenztext.
Auch die Typografie ist meisterhaft, sie arbeitete nicht nur mit den 23 lateinischen Buchstaben, sondern mit über 290 Zeichen, wie etwa Anschlussbuchstaben, den zahlreichen Abkürzungen im Lateinischen, den Abbreviaturen und Ligaturen, bei denen Buchstabenkombinationen wie ss, ff, fl, st zu einem Zeichen verschmolzen wurden und damit Platz einsparten. Auf die Weise gelang der Randausgleich der zwei Kolumnen perfekt, und die Textura (die gewebeartige Schrift) schuf ein sehr gleichförmiges und harmonisches Satzbild, das schon dem ersten prominenten Leser, Piccolomini, ins Auge gefallen war.
Gutenberg experimentierte auch mit Rotdruck, sodass zunächst die Arbeit der Rubricatoren, der Rotmaler, entfiel, indem die Anfangsbuchstaben der Sätze, die Anfangs- und Endverse von Kapiteln und Büchern, in Rot mitgedruckt wurden (vgl. Abb. 2). Allerdings war dieses offensichtlich für die frühe Druckpraxis doch zu kompliziert, sodass es Gutenberg nach mehreren Bogen aufgab und die Bibeln dann doch von Rubrikatoren von Hand nach einer Tabula rubricarum ausgestaltet wurden (vgl. Abb. 3).
Das Wiener Exemplar (Ink 3.B.14) ist auf Papier gedruckt und der Text ist vollständig; es wurde von zwei Händen wohl bereits Mitte der 1450er-Jahre in Wien illuminiert und 1783 nach dem Übergang in die Wiener Hofbibliothek in zwei Bänden neu gebunden. Es enthält die seltene Tabula rubricarum (4 Bll., im Bd. 1 vorgebunden) mit den genauen Angaben für die Rubrikatoren zum Einfügen der Kapitelüberschriften etc. (das zweite erhaltene Exemplar der Tabula liegt in der Bayerischen Staatsbibliothek in München). Die Bogen 129-158 des ersten Bandes entstammen dem Neusatz mit 42 Zeilen.
Bis auf den Erstbesitzer ist die Provenienz-Geschichte der Wiener Gutenberg-Bibel gut belegt. Bisher nicht entschlüsselt ist der erste Besitzer mit dem Monogramm BE auf Fol. 1 recto des 1. Teils in den Ranken des unteren Randes.
Da man nach der Neu-Einschätzung der Illuminatoren der Wiener Gutenberg-Bibel davon ausgeht, dass die Bibel direkt nach dem Druck in Mainz den Weg nach Wien gefunden hat und damit in der Mitte des 15. Jahrhunderts hier illuminiert wurde, lassen sich einige ratsfähige Wiener Bürger mit den Initialen B bzw. P und E ermitteln, deren Zuschreibung jedoch bisher reine Spekulation ist.
Zweiter Besitzer war nachweislich Benedikt Wegmacher (†1490), seit 1453 Pfarrer von Dorf Tirol bei Meran und oberster Amtmann und Kammermeister Erzherzogs Sigmunds des Münzreichen von Tirol. White spekulierte jüngst, ob er nicht schon der erste Besitzer gewesen sein könnte (White 2017, S. 144).
Von ihm erbte die Bibel Achatius Rynner, Pfarrer von Besenello bei Rovereto; dessen Monogramm AR ist auf dem Goldschnitt von Bd. 1 erhalten. Ebenfalls im Bd. 1 auf Fol. 192 verso und im Bd. 2, Fol. 189 findet sich ein Schenkungsvermerk des Achatius Rinner, der 1530 die Bibel an Gräfin Katharina Trapp gab, die Tochter des Erbhofmeisters von Tirol, Karl von Trapp, die als Dominikanerin im Kloster Maria Steinach bei Meran lebte; zwei Besitzvermerke des Klosters bezeugen dies (vgl. Abb. 3). Nach der Aufhebung des Klosters durch Kaiser Joseph II. 1782 kam die Bibel am 10. Dezember nach Innsbruck; 1783 wurden einzelne Werke an die Hofbibliothek in Wien weitergegeben (vgl. Hubay, 1979, Nr. 27, S. 145.).
Offensichtlich direkt nach der Ankunft der Bibel in Wien wurde das Werk neu gebunden: Der Rokoko-Einband ist aus rotem Maroquin über Pappe mit Golddruck, vermutlich 1783. Beide Deckel sind vergleichbar verziert, an den Rändern dreifache Goldlinien, in den vier Ecken jeweils ein naturalistischer Kelchblütenstempel; die übrige Deckelfläche ist leer. Im Rücken sind sechs Bünde zu erkennen, in den Rückenfeldern schwarzblaue Etiketten mit der Angabe Biblia sac. Latina Moguntiae Fust c. 1455. Im Rückenfeld gekrönter Doppeladler mit Bindenschild als Brustschild; in den Ecken frei schwingende Blattformen (Akanthus) und vereinzelte Stern- bzw. Punzenstempel. Der Abschluss an Kopf bzw. Schwanz durch Streifenfries und Blütenranken; Goldschnitt; Spiegel und Vorsatz aus Blütenpapier (vgl. Mazal, Die Bucheinbände, S. 168).
In der älteren Literatur wird der Buchschmuck der Wiener Gutenberg-Bibel zum Teil noch nach Mainz lokalisiert bzw. wegen der frühen Tiroler Provenienz mehrfach nach Brixen; so steht noch im Inkunabelkatalog der Österreichischen Nationalbibliothek 2004: „Mainz oder süddeutsch-österreichischer Raum“.
Jüngst hat Karl-Georg Pfändtner 2007 mit reichem farbigen Belegmaterial nachgewiesen, dass beide Bände von jeweils einem eigenen Illuminator ausgestattet wurden und der Miniator des ersten Bandes, mit dem Notnamen „Meister der Wiener Gutenberg-Bibel“, lässt sich inzwischen in weiteren 12 Handschriften des Wiener Raumes nachweisen, von denen sich allein in der Österreichischen Nationalbibliothek drei Kodizes befinden: Cod. 4163 und 4238, ein Nikolaus von Lyra-Kommentar aus der Hand von Sigismundus Puchberger aus dem Jahr 1454, der 1756 in die Hofbibliothek gelangte, sowie Cod. 4802, eine reich illuminierte handgeschriebene Bibel mit spätmittelalterlichem Wiener Einband (ca. 1450-1480).
Der Stil spricht für die Wiener Herkunft des Illuminators: Sowohl die Farbigkeit (rosa, violett und Lapislazuli-blau), die Form der Akanthus-Blätter mit aufgelegten Tropfen und die auffälligen, dünnen, schnur-artig sich verschlingenden Stiele des Blattwerks finden sich bei den frühen „Lehrbuchmeistern“ zwischen 1450-69. Neben der Art der Ranken, den Fantasieblumen und Drôlerien zeichnen ihn die Übernahme aus der Druckgrafik des sog. Spielkartenmeister aus (Lehmann-Haupt 1962).
Der Illuminator des zweiten Bandes lässt sich ebenfalls in den 1455er Jahren bereits in Wien nachweisen, so im Abecedarium Maximilians I. (Cod. 2368 der ÖNB), folglich mit dem Notnamen „Meister der Lehrbuch-Musteralphabete“ versehen. Er fertigte u. a. das 1456 datierte Missale des Ulrich von Sonnenberg (Cod. 8/14 des Landesarchivs in Klagenfurt), ein Brevier (Cod. Ser.N.2585 der Österreichischen Nationalbibliothek) oder einen Institutiones-Kommentar (Cod. 5036 der Österreichischen Nationalbibliothek) aus. Neben den Blattformen findet sich auch Akanthus-Laub, das eindeutig von seiner Hand stammt. Auch das Fleuronnée mit seinen weit ausgreifenden Schlaufenfäden, die in Fibrillen enden, lassen sich in diesem Jahrzehnt in Wien nachweisen.
Vollständigkeit, Illuminierung und Besitzgeschichte machen das Wiener Exemplar zu einem der bedeutenden Belege des frühen Buchdrucks.
Zum Autor: Dr. Stephan Füssel ist Univ.-Professor am Gutenberg-Institut für Weltliteratur und schriftorientierte Medien / Abtlg. Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
EMPELL, HANS-MICHAEL (2008): Gutenberg vor Gericht. Der Mainzer Prozess um die erste gedruckte Bibel. Frankfurt a.M. (=Rechtshistorische Reihe 372).
FÜSSEL, STEPHAN (2018) : Die Gutenberg-Bibel von 1454. Kommentar zu Leben und Werk von Johannes Gutenberg, zum Bibeldruck, den Besonderheiten des Göttinger Exemplars, dem „Göttinger Musterbuch“ und dem „Helmaspergerschen Notariatsinstrument“. Beiband zum Reprint der Göttinger Gutenberg-Bibel. Köln, Madrid, Paris, Los Angeles: Taschen
HUBAY, ILONA (1979): Die bekannten Exemplare der 42-zeiligen Bibel und ihre Besitzer. In: Kommentarband zur Faksimile-Ausgabe nach dem Exemplar der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin. München , S. 127-155).
LEHMANN-HAUPT, HELLMUT (1962): Gutenberg und der Meister der Spielkarten. In: Guten-berg-Jahrbuch, S. 360-379.
MAZAL, OTTO: Die Bucheinbände […] der 42-zeiligen Bibel. In: Kommentarband (s.o. Hubay), S. 157-176.
PFÄNDTNER, KARL-GEORG (2007) : Die Illuminatoren der Wiener Gutenbergbibel. In: Guten-berg-Jahrbuch, S. 33-67.
WHITE, ERIC MARSHALL (2017) : Editio Princeps. A History of the Gutenberg Bible. Turn-hout, Brepols, S. 142-144.
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