Begegnungen von Text und Bild in der ersten Sonderausstellung des Literaturmuseums
Autorin: Katharina Manojlovic
Für die Sonderausstellung des Literaturmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek (Bleistift, Heft & Laptop. 10 Positionen aktuellen Schreibens, noch zu sehen bis 12. Februar 2017) wurden zehn AutorInnen um die „Vor- und Darstellung ihrer schriftstellerischen Arbeit, ihrer Zugänge zum Schreiben“ gebeten (Reitzer und Straub 2016: 9). Die gezeigten Positionen zeichnen medienübergreifende Arbeitspraxen und ein vielfältiges Aufeinandertreffen von Texten und Bildern aus. Sie zeugen nicht zuletzt von der Lust am Bild(haften), auf das im Folgenden anhand ausgewählter Ausstellungsbeiträge eingegangen werden soll.
Keiner der Beiträge in der ersten Sonderausstellung des Literaturmuseums beschränkt sich auf das Zeigen von Text oder den Einsatz textueller Strategien. Alle operieren auch mit anderen Medien, teilweise unter beinahe vollständigem Verzicht auf textliche Elemente. Ein Umstand, der keineswegs nur der Reaktion auf das Medium Ausstellung geschuldet ist; intermediale Bezüge sind oftmals bereits im Werk selbst angelegt. Neben Ausschnitten aus Filmen, Theateraufführungen und Hörspielen, Tonaufnahmen und Objektinstallationen prägen im Besonderen Werke der bildenden Kunst – Zeichnungen, Grafiken, Malereien, Collagen und Fotografien – die Ausstellung.
Der Auftrag, ein literarisches Werk in das Format einer Ausstellung einzupassen, zieht die Frage nach seiner Aus- und Darstellbarkeit im Museumsraum nach sich, vor allem dann, wenn es nicht von vornherein multimedial operiert (oder für Rezeptionsformen jenseits klassischer Lektüre konzipiert ist). „Das, was ‚meine Literatur‘ ausmacht, wie soll ich es außerhalb ‚meiner Literatur‘ darstellen können?“, fragt Thomas Stangl (2016: 13) in seinem Katalogbeitrag. Er spricht damit das an, was am literarischen Text unersetzbar ist und unersetzlich bleibt. Die Ausstellung führt BesucherInnen mithin zum „danach – oder davor, darum herum“ seines Schreibens; sie führt uns zu Lektüren und Recherchen, zu den „endlose[n] Verästelungen“ eines Netzwerkes, das dem Schreiben vorgelagert ist und es speist (ebd.: 15). Die für Stangls Werk zentralen Räume, dessen topologische Strukturen, werden in der Ausstellung u.a. durch reichhaltiges Kartenmaterial angedeutet: historische Stadtpläne und Reiserouten etwa, Ausschnitte aus Atlanten und Verkehrsplänen. Sie verweisen auf Orte, die im Text imaginiert werden, genauso wie auf dessen reale Bezugspunkte.
Texte rekurrieren seit jeher auf Bilder (vgl. Kroll 2015: 11-13). Bild und Text stehen nebeneinander, erscheinen ineinander, ebenso wie Bilder Texten zur Entstehung verhelfen (und umgekehrt), ohne dabei selbst in Erscheinung treten zu müssen. Oftmals werden die spezifischen Qualitäten des einen Mediums erst in der Reibung an einem anderen deutlich. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Ekphrasis, die literarische Beschreibung eines Werkes der Bildenden Kunst. Sie lässt das Kunstwerk ausschließlich in Sprache sichtbar werden (vgl. Mitchell 2007: 402). Der Ausstellungsbeitrag von Clemens J. Setz und der Malerin Katharina Weiß kehrt dieses Konzept gleich doppelt um. Nicht der literarische Text nähert sich dem Bild beschreibend (und sucht dabei dessen Betrachtung obsolet zu machen); stattdessen reagieren Bilder auf literarische Textzitate. Beide, Zitate wie Bilder, sind in der Ausstellung zu sehen. Weiß’ Malereien, deren Sujets wie aus surrealistischen Assemblagen herausgebrochen wirken, untersuchen „Ähnlichkeiten in Strukturen […], die man Realitätsreime nennen könnte“ (Weiß 2016). In ihrer exzentrischen Verstiegenheit verweigern sie sich allerdings Zugeständnissen an eine objektivierbare Außen- (oder Kunst-) welt. Vielleicht greifen sie auch ein Diktum Clemens J. Setz’ auf, mit dem er sich im Gespräch über seinen Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre (2015) auf synästhetische Wahrnehmungserfahrungen bezog: „Es ist eine reine Gehirnfarbe“ (Setz 2015).
Literatur bedient sich zwar textueller Strategien, kann deshalb aber noch lange nicht auf diese reduziert werden. Der Grund dafür liegt in ihrer Tendenz, sich widerspenstig gegen das Schreiben selbst zu richten, wie Dieter Mersch festhält (vgl. Mersch 2012: 90). Erst die Überschreitung des Textuellen würde das Literarische mit „seinem Anderen“ konfrontieren und ihm ermöglichen, Widerstand gegen das Stereotype der Sprache zu leisten (ebd.: 92). In der Tradition einer Literatur, die Sprache und Bilder als Material begreift und sich durch das Nachdenken über ihre Funktionsweisen charakterisieren lässt, stehen die Arbeiten Brigitta Falkners. Ein künstlerischer Überschuss, ein Erkenntnisgewinn, ergibt sich hier im Zusammenwirken der verschiedenen Elemente; er entsteht im rezipierenden Oszillieren zwischen Bild und Text. Falkners grafische Arbeiten greifen nicht zuletzt Bildsprachen der Wissenschaft auf, der Mikroskopie etwa, und versinnlichen sie (vgl. Hennig 2005: 111-129). Neben künstlerischen Bildtraditionen wie Comics und Storyboards begegnen uns Baupläne, Diagramme und Skizzen. Kontextuelle Verschiebungen lassen sie, mit Bruno Latour (vgl. Latour 1996: 183) gesprochen, als Teil von Repräsentationsketten sichtbar werden, die prägen (und zeigen), wie wir überhaupt zu Erkenntnissen gelangen.
Auch in den Collagen Hanno Millesis treffen Bilder, dem Journalismus und der Werbung entnommene Fotografien, und Text aufeinander. Bild- und Textelemente werden ihrer ursprünglichen Funktion enthoben und neu zusammenmontiert, Bild- und Sprechkonventionen so außer Kraft gesetzt. Die dadurch entstehenden Diskrepanzen lassen neue, poetische Bilder und Textlandschaften entstehen.
Richard Obermayrs Beitrag bedient sich des Mediums der Fotografie, indem er eine seiner grundlegenden Eigenschaften, dessen Indexikalität, virulent werden lässt: das Noema „Es-ist-so-gewesen“ (Barthes 1989: 87). Als Beweis für Geschehenes reist sie durch die Zeiten, als indexikalisches Zeichen, als Leerstelle für Unsagbares, als Imaginationsraum auch. Fotografien erhalten hier eine poetologische Funktion, indem sie die Genese eines Textes kommentieren.
Wie finden nun Bilder und Texte zueinander? Und: „Was hat Schreiben mit Zeichnen zu tun?“ So lautet der Titel von Teresa Präauers Ausstellungsinstallation, die den medialen Umgang mit künstlerischen Rollenbildern thematisiert. Ein Besuch in der Ausstellung der Literaturmuseums erlaubt vielfältige Annäherungen an diese Fragen.
Barthes, Roland (1989): Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, Frankfurt am Main: Suhrkamp [La Chambre claire: Note sur la photographie, Paris: Gallimard et al., 1980].
Hennig, Jochen (2005): Die Versinnlichung des Unzugänglichen – Oberflächendarstellungen in der zeitgenössischen Mikroskopie, in: Martina Heßler (Hrsg.): Konstruierte Sichtbarkeiten. Wissenschafts- und Technikbilder seit der frühen Neuzeit, München: Fink, S. 111-129.
Kroll, Renate (2015): Text-Bild-Beziehungen. Methodische Vorüberlegungen zu einem historischen Streifzug durch die europäische Literatur und Malerei, in: Renate Kroll, Susanne Gramatzki und Sebastian Karnatz (Hrsg.): Wie Texte und Bilder zusammenfinden. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Berlin: Reimer, S. 11-13.
Latour, Bruno (1996): Arbeit mit Bildern oder: Die Umverteilung der wissenschaftlichen Intelligenz, in: Ders.: Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin: Akademie Verlag, S. 159-190.
Mersch, Dieter (2012): Transmediale Strategien im Ästhetischen. Das Literarische und sein Anderes, in: David Bathrick, Heinz-Peter Preußer (Hrsg.): Literatur inter- und transmedial. Inter- und Transmedial Literature, Amsterdam, New York: Rodopi, S. 89-111.
Mitchell, W. J. T. (2007): There Are No Visual Media, in: Oliver Grau (Hrsg.): MediaArtHistories, Cambridge, Mass.: MIT Press, S. 395-408.
Reitzer, Angelika und Wolfgang Straub [AusstellungskuratorInnen] (2016): Das Momentum des Schreibens. Zu Ausstellung und Katalog, in: Dies. (Hrsg.): Bleistift, Heft & Laptop. 10 Positionen aktuellen Schreibens, Salzburg: Jung und Jung, S. 9-11.
Setz, Clemens (2015), in: Ijoma Mangold: Die Freaks sind zurück, in: Zeit Online, 10. 9. 2015, [online] www.zeit.de/2015/35/clemens-setz-tandem-graz [26.08.2016].
Stangl, Thomas (2016): Spinnennetze, in: Angelika Reitzer, Wolfgang Straub (Hrsg.): Bleistift, Heft & Laptop. 10 Positionen aktuellen Schreibens, Salzburg: Jung und Jung, S. 12-16.
Weiß, Katharina (2016), in: kunstnet, [online] www.kunstnet.de/KatharinaWeiss/album/12448-bilder-nach-zitaten-von-clemens-setz [26.08.2016].
Aufgrund einer gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsversammlung öffnen alle Benützungseinrichtungen der Österreichischen Nationalbibliothek (Lesesäle am Heldenplatz und Sammlungen) am Donnerstag, 21. November 2024, erst um 11.30 Uhr.
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