AutorInnen: Katharina Kaska, Maria Theisen
Die Bibliotheca Corviniana entstand unter dem ungarischen König » Matthias Corvinus als eine der ersten königlichen Bibliothek nördlich der Alpen und zählt zu den bedeutendsten Büchersammlungen ihrer Zeit. Seit 2005 ist sie Teil des » UNESCO-Weltdokumentenerbes.
Das wachsende Interesse an antiker Literatur hatte in den Städten Italiens – allen voran in Florenz, Mailand, Rom und Neapel – im 15. Jahrhundert zu einer wahren Hochkonjunktur für handgefertigte Codices geführt. Kopisten, Buchmaler und Buchbinder wurden von Buchhändlern wie » Vespasiano da Bisticci organisiert. Er beauftragte sie in jeweils unterschiedlich zusammengesetzten Teams mit der Ausführung spezieller Kundenwünsche oder ließ – insbesondere die häufiger nachgefragten Texte – in nicht-personalisierten Kleinserien (mit später einzufügenden Besitzerwappen) vorab anfertigen. Die Wiener „Corvinen“ decken die gesamte Bandbreite von eigens für den König geschaffenen Prachtausgaben bis hin zu vorproduzierten und antiquarisch erworbenen Handschriften ab. Ab ca. 1480 kamen Schreiber, Illuminatoren und Buchbinder aus Italien auch an den Hof in Buda, um repräsentative Prachtcodices zu vollenden.
Abb. 1: Cod. 930: Titelsseite; der heiligen Hieronymus (Mitte), Matthias Corvinus (links), Christus (rechts), die vier Evangelisten (in den Ecken), Wappen des Matthias Corvinus (unten)
Als Illuminatoren wirkten namhafte Künstler wie » Attavante degli Attavanti aus Florenz oder » Francesco da Castello aus Mailand; – weniger bekannt sind sogenannte „Kleinmeister“, die überwiegend mit der ornamentalen Ausstattung der Codices betraut waren. Die Bücher des Königs erlangten nicht zuletzt auch aufgrund ihrer prachtvollen Buchmalereien und kunstvoll verzierten Einbände, deren Renaissance-Stil schlichtweg zum ästhetischen Ausdruck humanistischer Bildung geworden war, besondere Berühmtheit.
Abb. 2: Cod. 92: Einband; Für Matthias Corvinus in Ofen angefertigter Einband mit seinem Wappen.
Auch inhaltlich spiegelt sich die Ausrichtung auf den Humanismus in der Sammlung wider. Neben berühmten Kirchenvätern wie Hieronymus oder Augustinus, sind es Werke der antiken Klassiker, die ihren Weg in die Bibliothek fanden. Herausragend ist die Sammlung griechischer Handschriften mit Texten aus der Antike und dem byzantinischen Reich, die die erste ihrer Art nördlich der Alpen war.
Nach Matthias‘ Tod bestand die Bibliothek noch einige Jahrzehnte weiter, bevor sie im Zuge der Osmaneninvasion im 16. Jahrhundert größtenteils zerstört und zerstreut wurde. Schon zuvor waren einzelne Handschriften jedoch in die Hände humanistischer Gelehrter gelangt und so der Vernichtung entgangen. Heute lassen sich weltweit noch etwa 220 „Corvinen“ nachweisen, davon etwa 40 in der Österreichischen Nationalbibliothek.
In einem Langzeitprojekt widmet sich die Ungarische Nationalbibliothek (Országos Széchényi Könyvtár) der virtuellen Rekonstruktion der Bibliotheca Corviniana und der Erforschung ihres Bestandes an Handschriften und Drucken (» corvina.hu). Innerhalb der nächsten zwei Jahre werden die „Corvinen“ in Österreich von einem länderübergreifenden, interdisziplinären Team bearbeitet. Neben neuen philologischen und kunsthistorischen Handschriftenbeschreibungen werden auch die Wege der Bände in die heutige ÖNB neu bewertet. Als erster Schritt wurden alle Handschriften aus der Bibliotheca Corviniana und ihrem Umfeld in der ÖNB digitalisiert und über den Onlinekatalog öffentlich zugänglich gemacht.
Für 2021 ist ein internationales Symposium geplant, das sich den neuen Erkenntnissen zu Entstehung und Provenienzgeschichte der österreichischen „Corvinen“ sowie der Katalogisierungs- und Präsentationsstrategie widmen wird.
Das zweijährige Kooperationsprojekt (2020–2022) zwischen der Österreichischen Nationalbibliothek, der Széchényi-Nationalbibliothek und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wird durch die Projektpartner getragen.
Liste der Lateinischen Handschriften an der Österreichischen Nationalbibliothek
Abb. 3: Cod. 22: Titelseite; Wappen des Matthias Corvinus (unten)
Abb. 4: Cod. 2139: Titelseite; Autorenporträt und Wappen des Matthias Corvinus
» Cod. 22
Livius, Historiae romanae decas I
Florenz, späte 1460-1470er
» Cod. 23
Plutarch, Vitae parallelae
Florenz, um 1470
» Cod. 24
Ptolemaeus, Magna compositio
Ofen, 1467
» Cod. 44
Regiomontanus, Epitome almagesti
Ofen/Buda oder Esztergom um 1470 und Ofen/Buda, 1478/79-1481
» Cod. 92
Vergil, Werke
Florenz, 3. Viertel 15. Jh.
» Cod. 133
Apian, Römische Geschichte
Florenz, um 1467
» Cod. 138
Historische Sammelhandschrift
Florenz, 1471 und Ofen/Buda, Ende der 1480er
» Cod. 140
Statius, Silvae
Florenz, um 1470 und Ofen/Buda, Ende der 1480er
» Cod. 170
Lukrez, De natura rerum
Florenz, um 1460
» Cod. 218
Georg von Trapezunt, In perversionem problematum Aristotelis…
Rom, 3. Viertel 15. Jh.
» Cod. 224
Poetische Sammelhandschrift
Florenz, späte 1460-1470er
» Cod. 259
Aeneas von Gaza, Theophrastus und Lactanz, Epitome divinarum insitutionum
Ferrara(?), 1451
» Cod. 292
Bartholomeus Fontius, Werke
Florenz (?), um 1480
» Cod. 438
Xenophon, Cyropaedia
Florenz, 3. Viertel 15. Jh.
» Cod. 644
Hieronymus, Briefe und Werke
Neapel (?), um 1470
» Cod. 653
Augustinus, Briefe
Florenz, um 1490
» Cod. 654
Hieronymus, Ezechielkommentar
Florenz, 1480er
» Cod. 656
Theophylactus de Achrida, Kommentar zu den Paulusbriefen
Florenz, 1488/490
» Cod. 799
Theologische Sammelhandschrift
Florenz, um 1470
» Cod. 826
Salvianus, De gubernatione Dei
Florenz, um 1470
» Cod. 930
Theologische Sammelhandschrift
Florenz, 1488/89
» Cod. 977
Johannes Chrysostomos, Dialogi de dignitate sacerdotii
Florenz, 1465
» Cod. 1037
Bonjohannes von Messina (Ps. Cyrillus), Speculum sapientiae
Lombardei, 1443
» Cod. 1391
Thomas von Aquin, Catena aurea in Lucam
Bologna, 1468
» Cod. 2139
Martin von Troppau, Margarita decreti
Mailand (?), 2. Hälfte 15. Jh.
» Cod. 2271
Ptolemeus, Quadripartitum mit Kommentar von Haly Abenrudian
Prag, um 1400
» Cod. 2384
Plato, Werke
Florenz, 1460er
» Cod. 2458
Thomas von Aquin und Tolomeo da Lucca, De regimine principum
Neapel (?), 1470-1490
» Cod. 2485
Georg von Trapezunt, Isagoge dialectia
Florenz (?), 1460-1480
» Cod. 10573
Epistola de institutione pueri regii
Anfang 16. Jh.
» Cod. Ser. n. 12758
Livius, Historiae romanae decas IV
Florenz, späte 1460er-1470er
Liste der Griechischen Handschriften an der Österreichischen Nationalbibliothek
Abb. 5: Cod. hist. gr. 8: Zierbalken mit Halbfigur des Kaisers Konstantin (fol. 158r)
Abb. 6: Cod. suppl. gr. 51: Titelseite
» Cod. hist. gr. 1
Ptolemaeus, Geographia
Florenz, 1454
» Cod. hist. gr. 8
Nikephoros Kallistu Xanthopulos, Historia ecclesiastica
um 1320
» Cod. hist. gr. 16
Johannes Zonaras, Annales
um 1350
» Cod. phil. gr. 289
Philologische Sammelhandschrift
Ende 15. Jh.
» Cod .theol. gr. 1
Johannes Chrysostomos, Homilien zum Matthäusevangelium
um 1500
» Cod. suppl. gr. 4
Johannes Chrysostomos, Homilien zum Matthäusevangelium
11. Jh.
» Cod. suppl. gr. 30
Diodor, Bibliotheca historica Buch 16-20
Florenz, 1442
» Cod. suppl. gr. 45
Vocabularia
Mitte 15. Jh.
» Cod. suppl. gr. 51
Xenophon, Cyropaedia
Mitte 15. Jh.
» Cod. suppl. gr. 177
Gregor von Nazianz, Werke
2. Hälfte 10. Jh.
Projekttitel | Erschließung der Handschriften aus der Bibliothek des Matthias Corvinus in Österreich. |
Finanzierung | Getragen durch die Projektpartner |
Laufzeit | 2020–2022 |
Projektleitung | Andreas Fingernagel |
Projektpartner außerhalb der ÖNB | Österreichische Akademie der Wissenschaften, Széchényi-Nationalbibliothek |
Projektteam | Andreas Fingernagel (ÖNB) Ivana Dobcheva (ÖNB) Christian Gastgeber (ÖAW) Katharina Kaska (ÖNB) Roszondai Marianne Friedrich Simader (ÖNB) Maria Theisen (ÖAW) Zsupán Edina (Országos Széchényi Könyvtár) |
Über die AutorInnen: Dr. Katharina Kaska ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek. Dr. Maria Theisen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Aufgrund einer gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsversammlung öffnen alle Benützungseinrichtungen der Österreichischen Nationalbibliothek (Lesesäle am Heldenplatz und Sammlungen) am Donnerstag, 21. November 2024, erst um 11.30 Uhr.
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