Autorin: Elisabeth Zeilinger
Der Dachstein und seine Gletscher wurden durch den Naturforscher und Reiseschriftsteller Joseph August Schultes einem breiten Publikum bekannt. Er lenkte mit einem Bericht über seine Exkursion auf den Hallstätter Gletscher im September 1804 das Augenmerk einer bergaffinen Leserschaft auf diese Region.1
Um 1800 war die Erschließung der alpinen Bergwelt in vollem Gang: 1762 wurde der Ankogel als erster vergletscherter Dreitausender in den Alpen bestiegen, es folgten 1786 der Mont Blanc, 1800 der Großglockner und 1804 der Ortler.
Die erste (überlieferte) Überquerung des Dachstein-Massivs gelang Erzherzog Johann mit einigen Begleitern am 27. und 28. August 1810. Sie wanderten von Winkel (Obertraun) auf die Gjaidalm, wo übernachtet wurde, querten das Plateau im Bereich des Moderecks und stiegen dann über die Feisterscharte beim heutigen Guttenberghaus in die Ramsau ab.2 Erzherzog Johann notierte in seinem Tagebuch: „die Uebersicht ist ausserordentlich; könnte der Dachstein erstiegen werden, so wäre dieses Bild vielleicht eines der schönsten.“3
Zwei Jahre später versuchte Erzherzog Karl, der um zehn Jahre ältere Bruder Erzherzog Johanns, den Hohen Dachstein zu besteigen. Die Gruppe scheiterte am Eis des Hallstätter Gletschers und musste umkehren. Aus diesem Grund wurde der Gletscher im 19. Jahrhundert als „Karls Eisfeld“ bezeichnet.
1812 probierten zwei Offiziere, Oberleutnant Alexander von Radischits und Hauptmann Duhamel de Querlonde mehrmals, über die Gjaidalm und den Hallstätter Gletscher an den Fuß des Hohen Dachsteins zu gelangen. Eine genaue Karte des Massivs und ein ausführlicher Bericht sind das Resultat ihrer Exkursionen.4
Die Karte im Maßstab 1:28.800, gezeichnet von Alexander von Radischits, beruht auf seinen Kartierungen im Rahmen der zweiten Landesaufnahme. Duhamel5, der diese Aufnahme in der Umgebung von Hallstatt leitete, verfasste die schriftlichen Erläuterungen über die Möglichkeiten einer Besteigung des Dachsteins.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Feststellung, dass der Weg zum Gipfel des Dachsteins über Gjaidalm und Hallstätter Gletscher aus drei Gründen unmöglich sei: 1. wegen der Schluchten und Risse (Gletscherspalten), 2. wegen der großen Entfernung (er rechnet mit 18 Stunden für Hin- und Retourweg, die bei Tageslicht nicht zu bewältigen sind) und es wäre aus Gründen der Gesundheit nicht ratsam, in der Höhe umgeben von Eis und Schnee zu übernachten (selbst in einer Hütte nicht): „wenn ich 3tens auch voraussetze, daß die nöthigen Bäume […] mit vielem Aufwand und großer Gefahr heraufgeschafft worden wären, um sowohl über die Schluchten und Riße, die nöthigen Steege zu erbauen, als auch ohnweit des Dachsteins eine Hütte aufzustellen […]“6.
Versuche, einen anderen Weg von Hallstatt durch das Echerntal, den Ochsenkogel und das Hohe Kreuz zu nehmen, waren an der Steilheit des Geländes gescheitert. Somit bliebe als einzige Möglichkeit der Weg über das Gosautal.
Duhamel führt die Tour dann weiter aus: bis zum Vorderen Gosausee könnte gefahren werden, Überfuhr per Schiff, guter Fußweg zum Hinteren Gosausee und Übernachtung in einer Almhütte. Am nächsten Tag Aufstieg und Querung des Gosauer Gletschers (hier wäre nicht mit Rissen und Spalten zu rechnen). Das Eis müsse nur etwas „aufgehauen und mit Reisig belegt werden“ – viel aufwändiger wäre jedoch das Anlegen eines Steiges „vom Fuß des Felsens bis auf den Gipfel des Dachsteins“. Da die Felswände nicht zu bewältigen wären, müssten „in den Felsen Stuffen, theils eingehauen, theils eingesprengt“ und Eisenringe in der Felswand verankert werden, um ein Seil zum Anhalten durchziehen zu können.7 In längstens fünf Stunden sollte der Gipfel ausgehend vom Hinteren Gosausee erreichbar sein, vorausgesetzt, all diese Vorarbeiten wurden bereits durchgeführt. Es handelt sich bei diesem Vorschlag also um ein groß angelegtes Unternehmen, mit vielen Hilfskräften – eigentlich schon eine Expedition.
Die zahlreichen, je nach Perspektive einander verdeckenden Erhebungen des Dachstein-Plateaus führten zu Missverständnissen und falschen Zuordnungen der Bezeichnungen. Über den Hohen Dachstein verläuft die Grenze zwischen Oberösterreich und der Steiermark. Der zweithöchste Berg des Massivs, der Torstein, markiert das Dreiländereck zwischen Salzburg, Oberösterreich und der Steiermark. Diese beiden Spitzen wurden oft verwechselt.
Alexander von Radischits zeichnete auf seiner Karte lagerichtig folgende Gipfel ein: Dirndl, Hoher Dachstein (aber falsch als Schnittpunkt der Dreiländer-Grenze) und Schneebergkogel (= Mitterspitz). Der Torstein wurde zwar dargestellt, aber nicht benannt.
Radischits gibt auf seiner Karte nur den oberösterreichischen Anteil am Dachstein-Massiv wieder. Dies entspricht den Kartierungsarbeiten der Landesaufnahme, die nach den Kronländern organisiert waren. Auch Duhamel blendet bei seinen Erläuterungen den Weg von der Ramsau oder Filzmoos völlig aus.
Die Erstbesteigung des zweithöchsten Gipfels des Dachstein-Massivs erfolgte durch den kaiserlichen Jäger in Schladming, Jakob Buchsteiner (* um 1768 – 1834)8 im Alleingang. Er bestieg im Auftrag von Erzherzog Johann im August 1819 den Torstein (2948 m) ausgehend von der Ramsau.
1823 versprach Leutnant Mikitsch vom Peterwardeiner Grenzregiment für das Aufstellen einer Stange auf dem Torstein einen Dukaten als Belohnung.9 Die 6 Fuß lange Stange wurde für die Katastralvermessung als Vermessungspunkt benötigt. Jakob Buchsteiner und Georg Kalkschmied führten den Auftrag am 5. August 1823 aus. Mikitsch postierte sich mit einem Fernrohr auf einer Anhöhe südlich von Schladming und beobachtete das Unternehmen. Ausgerüstet waren sie mit Seil, „Fußeisen“, Hacke, Krampen und Stangen. Erst um 6 Uhr abends konnten sie am Gipfel die Stange aufstellen – Eis und tiefe Spalten machten die Tour äußerst gefährlich.10 Beim Rückweg „kamen sie an eine Stelle, über die Jäger Buchsteiner mit einem gewagten Sprung aufs Glatteis bey 10 Schuh tief glücklich kam, an der aber Kalkschmied, da seine Fußeisen schon ganz krumm, und die Zacken derselben sehr stumpf waren, seine Unvermögenheit zum Weitergehen“11 nur durch Buchsteiners Hilfe überwinden konnte. Da es schon so spät war, mussten sie biwakieren. Aus Angst vor dem Erfrieren verbrachten sie die Nacht mit Rauchen und Gesprächen.
Der Gipfel des Hohen Dachsteins (2995 m) wurde schließlich erstmals im Jahre 1832 erreicht. Ohne jegliche „Vorarbeiten“ zur Herstellung eines Weges bestieg Peter Gappmayr (1789 – 1868) aus Filzmoos den Dachstein im Alleingang über den Gosau-Gletscher. Die Route über den Gosau-Gletscher hatten Duhamel und Radischits 1812 vorgeschlagen, aber mit dem Ausgangspunkt im Gosautal. Zwei Jahre später brachten die Brüder Peter und Adam Gappmayr den bekannten Alpinisten und Geistlichen Peter Carl Thurwieser (1789 – 1865) als ersten Touristen auf den Dachstein. Thurwieser wollte eigentlich den Torstein besteigen – eine Tour, die er schon bei einem Aufenthalt in Filzmoos zwei Jahre zuvor geplant hatte und wegen Neuschnees nicht umsetzen konnte. Sein Interesse wurde durch die Gappmayrs auf den Hohen Dachstein gelenkt: „Dieser Dachstein ist unter den Hauptgipfeln des Hallstädter Eisgebirges, welche zusammen man die 3 Dachsteinspitzen nennt, der höchste […]“12. Sie stiegen von Filzmoos auf die Sulzenalm, wo sie übernachteten. Am nächsten Tag, den 18. Juli 1834, ging es über die Windlegerscharte und den Gosau-Gletscher auf den Gipfel. Hier wurde ein hölzernes Kreuz aufgestellt.
Auch die dritte Besteigung des Hohen Dachsteins durch Alexander Pudiwitter (auch Budiwitter) 1836 erfolgte über den Gosau-Gletscher ausgehend von Filzmoos und geführt von den Brüdern Gappmayr.
Der Geograph und Alpenforscher Friedrich Simony (1813 – 1896) kam 1840 zum ersten Mal nach Hallstatt. Zusammen mit dem Bergführer Johann Wallner (1802 – 1878) erreichte er den Hohen Gjaidstein (2794 m), einen Aussichtspunkt östlich des Hallstätter Gletschers. 1842 unternahm er seine zweite Reise in das Salzkammergut. Am 8. September diesen Jahres bestieg er zum ersten Mal den Hohen Dachstein – über den Hallstätter Gletscher. „Obgleich nun von allen Ortskundigen jede Möglichkeit, denselben von der Hallstätter Seite zu erklimmen, bis zu diesem Augenblicke entschieden abgesprochen worden war, da bereits vielfältige Versuche von Steyerischen und Oesterreichischen Jägern, auf diesen Weg zur höchsten Spitze zu gelangen, mißglückt hatten, so beschloß ich dennoch das Wagstück nochmahls zu versuchen.“13 Zunächst erkundete Simony vom Hohen Gjaidstein aus den Weg über den Gletscher mit einem Fernrohr.
Simony und Wallner brachen dann von der Wiesalpe (knapp 1700 m) am 8. September 1842 frühmorgens auf. Über das zerklüftete Karstplateau, hier sieht Simony neue Eisfelder entstehen, gelangen sie zum Gletscher. Sie sinken in knietiefen Neuschnee und laufen Gefahr in verdeckte Spalten zu stürzen. Ausführlich beschreibt Simony in seinem sehr anschaulichen Artikel für die „Wiener Zeitung“ die herausfordernde Kletterpartie zum Gipfel. Sie verwenden Seil und Steigeisen, müssen aber alles Gepäck und ihre Alpenstöcke zurücklassen. Nur Thermometer und Kompass sowie seine Zeichenutensilien nimmt Simony mit. Das Panorama, vor allem die uneingeschränkte Rundsicht, begeistern ihn über alle Maßen. Den einstündigen Aufenthalt nützt Simony für Messungen und das Zeichnen einer kleinen Karte.
Simony erklärte in seinem Artikel auch, dass sie nicht die Ersten waren, die den Hohen Dachstein über den Hallstätter Gletscher bestiegen hatten: „Im vorigen Jahre wagten es der Zimmerknecht, Johann Ramsauer, und der Pfannknecht [Salinenarbeiter] Franz Linortner, aus Kaltenbach nächst Ischl, zwey der kühnsten Bergsteiger, ihn vom Carls-Eisfeld aus zu erklimmen.“14 Es war ihnen jedoch nicht geglaubt worden, weil man es für unmöglich gehalten hatte.
Dieser ersten Besteigung sollten noch unzählige weitere folgen: Winterbegehungen der Gletscher, Übernachtungen – so übernachtet Simony ganz allein im September 1843 direkt auf dem Gipfel – und es gelingt ihm auch die erste Winterbesteigung des Hohen Dachsteins. Simony lässt Wege und Hütten anlegen, um den Dachstein auch für andere zugänglich zu machen. 1885, im Alter von 72 Jahren, steht er zum letzten Mal auf dem Hohen Dachstein.
Auch Simonys Söhne folgten dem Beispiel ihres Vaters: so bestieg Oscar Simony 1872 als Erster den Mitterspitz, den dritthöchsten Gipfel des Dachsteinhauptkamms und der jüngere Sohn Arthur 1873 als Erster den Koppenkarstein oberhalb des Schladminger Gletschers.
Über die Autorin: Frau Mag. Elisabeth Zeilinger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
1 Joseph August Schultes: Reisen durch Oberösterreich in den Jahren 1794,1795, 1802, 1803, 1804 und 1808. Tübingen 1809, p. 107-121.
2 Heute der Wanderweg 616.
3 Aus Erzherzog Johanns Tagebuch. Eine Reise in die Obersteiermark im Jahre 1810. Hg. Franz Ilwof. Graz 1882. Nachdruck 2009 (Veröffentlichungen der Steiermärkischen Landesbibliothek, 33), p. 46 f.
4 Plan zur Uibersicht der von Sr. Kaiserlichen Hoheit den Erz Herzog Carl gemachten Fuss Reise von Haalstatt zum Schneeberg Dachstein bis auf das Carlseisfeld am 27ten August 1812. Aufgenohmen und gezeichnet durch Oberlieutenant Radischits […]. [Sowie 4 handschriftliche Seiten Beilage:] Erläuterung über die mögliche Besteigung des höchsten Spitz des Schneebergs Dachstein. [datiert und unterschrieben] Enns am 6ten Jänner 1813 Duhamel de Querlonde Hauptmann im General QMstr. [Quartiermeister] Staab. – Karte und Bericht kamen in den Besitz von Erzherzog Karl, Adoptivsohn von Albert von Sachsen-Teschen und seiner Gemahlin Marie Christine. Heute befinden sie sich im Albertina-Bestand der Kartensammlung, Signatur ALB Port 188,11.
5 Vgl. Carl Schmutz: Die erste Besteigung des Dach- oder Thorsteins am 5. August 1823. In: Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst. Nr. 12, 28. 1. 1825, Fortsetzungen: Nr. 14, 2. 2. 1825 und Nr. 16, 7. 2. 1825. Zu Duhamel: 28. 1. 1825, Nr. 12, p. 62, Fußnote. – Zahlreiche alpinistische Besteigungen erfolgten durch Militärkartographen im Rahmen der zweiten Landesaufnahme.
6 Erläuterung über die mögliche Besteigung des höchsten Spitz des Schneebergs Dachstein, p. 1 f.
7 Erläuterung über die mögliche Besteigung des höchsten Spitz des Schneebergs Dachstein, p. 3.
8 Das Geburtsjahr ist errechnet: 1823 soll Buchsteiner 55 Jahre alt gewesen sein. Vgl. Carl Schmutz: Die erste Besteigung des Dach- oder Thorsteins am 5. August 1823. In: Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst. Nr. 14, 2. 2. 1825, p. 74. – Im Spätsommer 1834 konnte Jakob Buchsteiner nicht mehr als Führer engagiert werden, da er vor kurzem verstorben war. Alexander Pudiwitter: Die Ersteigung des Thorsteines und Steines. In: Steiermärkische Zeitschrift, Neue Folge, 2. Jg., 2. Heft. Graz 1835, p. 8-19, 8.
9 Carl Schmutz: Die erste Besteigung des Dach- oder Thorsteins am 5. August 1823. In: Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst. Nr. 14, 2. 2. 1825, p. 74. Zu Buchsteiners Erstbesteigung 1819 vgl. August von Böhm: Die Dachstein Gruppe. In: Die Erschließung der Ostalpen. Hg. Eduard Richter. Berlin 1893, p. 324-356, 328 ff.
10 Die erste Besteigung des Dach- oder Thorsteins am 5. August 1823. In: Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst. Nr. 16, 7. 2. 1825, p. 84.
11 Die erste Besteigung des Dach- oder Thorsteins am 5. August 1823. In: Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst. Nr. 16, 7. 2. 1825, p. 84.
12 Alexander Pudiwitter: Die Ersteigung des Thorsteines und Steines. In: Steiermärkische Zeitschrift, Neue Folge, 2. Jg., 2. Heft. Graz 1835, p. 8-19, 11. Pudiwitter gibt hier den Augenzeugenbericht des Pfarrers von Filzmoos wieder, der die Besteigung mit dem Fernrohr verfolgt hat.
13 Friedrich Simony: Ersteigung des hohen Dachsteins vom Carl-Eisfeld aus. In: Wiener Zeitung, 28. 9. 1842, p. 1982-1984, 1983.
14 Friedrich Simony: Ersteigung des hohen Dachsteins vom Carl-Eisfeld aus. In: Wiener Zeitung, 28. 9. 1842, p. 1984.
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