Ein antikes Zirkusprogramm

Forschung

15.06.2020
Das besondere Objekt
Stück Papyrus mit großer Schrift, türkis eingefärbt, im Eck steht "Das besondere Objekt"
Ein Papyrusfragment aus dem 6. Jh. n. Chr. gibt Aufschlüsse über die antiken Zirkusspiele. Ein virtueller Expertenvortrag zum aktuellen "besonderen Objekt“.

Autor: Bernhard Palme

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Brot und Spiele

Der Dichter Juvenal (ca. 60–130 n. Chr.) spottete, das römische Volk sei nur für panem et circenses – kostenlose Brotversorgung und Zirkusspiele – zu begeistern (Satiren 10,81), und der griechische Redner Dion von Prusa (ca. 60–120 n. Chr.) warf den AlexandrinerInnen eine ähnliche Einstellung vor (Rede an die Alexandriner 31). In der Kaiserzeit erfreuten sich Gladiatorenspiele und Tierkämpfe, Wagenrennen und Naumachien (‘Seeschlachten’ auf gefluteten Anlagen) in den Städten des Römischen Reiches großer Beliebtheit bei allen Schichten der Bevölkerung. Von Nordafrika bis in die Provinzen an Rhein und Donau bauten sogar Kleinstädte und Militärgarnisonen ein Amphitheater für die Kämpfe der Gladiatoren auf Leben und Tod. Größere Städte errichteten zudem einen kostspieligen circus, eine Bahn von etwa 500 Metern Länge für die Pferde- und Wagenrennen, eingefasst von Tribünen für die Zuschauer und Boxen für den Start. In der Mittellinie sorgte eine spina, eine massive Trennmauer entlang der Längsachse, dafür, dass die Rennen über mehrere Runden in der vorgesehenen Bahn liefen. Zugleich stellten die beiden Nadelöhr-Kurven an den Enden der spina höchste Anforderungen an Wagenlenker und Gespann, denn vor allem an diesen 180-Grad-Wendepunkten bot sich Gelegenheit, einem Konkurrenten den Weg abzuschneiden oder durch waghalsige Überholmanöver zu punkten. Karambolagen und Unfälle – nicht selten mit letalem Ausgang – waren an der Tagesordnung und sorgten für knisternde Spannung. Hollywood hat den Schauwert von Gladiatorenkämpfen und Wagenrennen rasch erkannt. Filmklassiker wie Ben Hur (1959) oder Gladiator (2000) versuchen, die Atmosphäre solcher ‘Spiele’ einzufangen, prägen dabei aber auch unsere eigene Vorstellung von deren Ablauf – freilich nicht immer nahe an den antiken Überlieferungen.

Können wir ein authentischeres Bild dieser publikumswirksamen Veranstaltungen rekonstruieren? Die Zirkusspiele werden von vielen antiken Autoren erwähnt und Darstellungen auf Mosaiken, Wandmalereien oder Graffiti zeigen, welch wichtigen Platz diese Spektakel im Leben der großstädtischen Bevölkerung einnahmen. Wir sehen die kleinen und extrem wendigen Wagen, die wesentlich leichter waren als alle Rekonstruktionen in den modernen Filmen. Neben Zweigespannen (bigae) gab es als Königsdisziplin die Viergespanne (quadrigae). Es braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, wie gefährlich diese schnellen Gefährte für den Wagenlenker (auriga) waren, zumal die Zügel nicht nur um die Unterarme, sondern um den Torso gebunden sein mussten, wollte man die vier Rennpferde einigermaßen lenken und zügeln. Jeder Wagenlenker hatte deshalb ein kleines, scharfes Messer bei sich, um die Zügel bei einem Unfall durchschneiden zu können, damit die rasenden Pferde ihn nicht zu Tode schleiften. Die erfolgreichen Wagenlenker waren gefeierte Helden der Arena, ähnlich populär wie heute Formel-1-Piloten.

Mosaik aus Lyon; Foto: Lugdunum – musée et théâtres romains

Antike Unterhaltungsindustrie

In der Kaiserzeit entstand um die vom Herrscher, von reichen Senatoren oder den Städten finanzierten Zirkusspiele eine regelrechte Unterhaltungsindustrie, die professionell und profitorientiert das Management dieser Events übernahm. Wettgeschäfte blühten, das Publikum verfolgte den Aufstieg oder Fall seiner Lieblinge, und insbesondere in den Residenzstädten Rom und (ab 330 n. Chr.) Konstantinopel hatten die ludi circenses (Zirkusspiele) stets auch eine brisante politische Komponente. Der circus maximus in Rom lag unmittelbar neben dem kaiserlichen Palast am Palatin, der sich in einer Tribüne zur Rennbahn öffnete, und das Hippodrom in Konstantinopel folgte diesem baulichen Arrangement. Die Kaiser zeigten sich bei den Spielen, und abgesehen von dem kleinen Kreis hochrangiger Persönlichkeiten, die zu einer Audienz vorgelassen wurden, war der Zirkus die einzige Möglichkeit, wo die einfache Bevölkerung den Kaiser, seine Familie und Ratgeber zu Gesicht bekam. So boten Zirkus und Zirkusspiele zugleich die Bühne für die öffentlichen Auftritte des Kaisers; hier empfingen die Herrscher Akklamationen und Huldigungen, hier konnte sich aber auch der Zorn des Volkes lautstark entladen. Der Zirkus diente zudem als Rahmen für die Inszenierung des Kaisers als obersten Richter und Garant von Recht und Ordnung. Der Zirkus war auch Schauplatz grausamer Bestrafungen und Hinrichtungen, wie wir sie vor allem  aus der Zeit der  Christenverfolgungen  kennen.

In der Spätantike hat sich die Bedeutung des Zirkus und der Zirkusspiele eher noch gesteigert. Nachdem Konstantin (306–337 n. Chr.) unter dem Einfluss des Christentums die blutigen Kämpfe der Gladiatoren (die zumeist im Amphitheater stattfanden) untersagt hatte, richtete sich alle Aufmerksamkeit auf die Wagenrennen im Zirkus. Da im 4. Jh. auch die gymnischen und musischen Agone – wie etwa die Olympischen Spiele, deren Tradition bis in das archaische Griechenland zurückreichte – zusehends an Bedeutung verloren, wurde der Zirkus zum wichtigsten Sektor der öffentlichen Belustigung. Wollte ein Kaiser eine Stadt wegen Unbotmäßigkeit bestrafen, verbot er die Zirkusspiele. Die professionell organisierten Rennställe, die nach Farben benannt waren, entwickelten sich zu regelrechten Zirkusparteien, die über die Unterhaltungsbranche hinaus auch politischen Einfluss gewannen. Insbesondere im 5. und 6. Jh. n. Chr. hören wir vielfach von den ‘Grünen’ und den ‘Blauen’ Zirkusparteien, die eingeschworene Fangemeinden (ähnlich den modernen Fußballclubs) mobilisieren und manipulieren konnten, um sie für politische Agenda einzusetzen. Anscheinend verfügten die Zirkusparteien über weit gespannte Netzwerke, denn wir hören von den ‘Grünen’ und ‘Blauen’ nicht nur in Konstantinopel, sondern auch in anderen antiken Großstädten wie zum Beispiel Alexandria. 

Nur wenige Zirkusprogramme erhalten

Da der Zirkus ein höchst sensibler politischer Raum war, wo die Stimmung der Zuschauer gewissermaßen ‘das Volk’ repräsentierte, wollte man nichts dem Zufall überlassen, sondern plante die Spiele bin ins Detail. Trotz der häufigen Erwähnung von Zirkusspielen in der römischen und spätantiken Literatur bleiben manche Einzelheiten über ihren Ablauf im Dunkeln, denn die antiken Autoren setzten dieses Wissen als gegeben voraus und geben uns kaum Erläuterungen. Willkommene neue Informationen über den Ablauf der Spiele kamen jedoch in einigen Papyri ans Licht, die originale Zirkusprogramme überliefern. Bislang konnten nur sieben dieser kulturgeschichtlich so bedeutenden Texte identifiziert werden; eines davon bewahrt die Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek auf.      

Papyrusfragment mit einem antiken Zirkusprogramm, 6. Jh. n. Chr.

Zusammengesetzt aus fünf kleinen Bruchstücken

Die Entdeckungsgeschichte dieses Zirkusprogramms ist an sich bemerkenswert. Zunächst war in den späten 1980er Jahren Hermann Harrauer, damals Direktor der Papyrussammlung, auf ein Fragment mit ungewöhnlich großer Schrift und seltenen Wörtern aufmerksam geworden. Über zehn Jahre später hat Federico Morelli bei einer systematischen Sichtung der unpublizierten Bestände ein zweites Fragment finden können und schließlich drei weitere Bruchstücke – tausende Inventarnummern entfernt – identifiziert. So wurde unser Zirkusprogramm aus bislang fünf kleinen Bruchstücken zusammengesetzt, die erst durch ihre Zusammenfügung klar zu erkennen geben, was der außergewöhnliche Inhalt ist. Dennoch ist das Dokument noch nicht vollständig: Auf der Höhe von Zeile 8 fehlt ein Stück Papyrus vom linken Rand, unten ist das fragile Blatt abgebrochen. Es ist durchaus möglich, dass weitere kleine Fragmente noch in den ca. 50.000 unpublizierten Papyri des griechischen Bestandes versteckt sind, aber eine systematische Suche ist angesichts der enormen Stückzahl praktisch unmöglich.

Zum Zeitpunkt seiner Entdeckung war unser Zirkusprogramm, mittlerweile von Morelli meisterhaft ediert (P.Harrauer 56), erst das dritte Dokument seiner Art, das überhaupt bekannt wurde. Ein erstes, vollständiges Dokument dieses Typus war als P.Oxy. XXXIV 2707 publiziert worden; ein zweites, sehr fragmentarisches als P.Bingen 128. Erst vor wenigen Jahren hat man schließlich vier weitere Zirkusprogramme veröffentlicht, die jedoch recht fragmentarisch sind (P.Oxy. LXXIX 5215–5218). Die kleine Gruppe lädt ein zum Vergleich, doch zuerst soll hier das Zirkusprogramm der Papyrussammlung vorgestellt werden.

Der Text ist in großen, deutlichen Buchstaben übersichtlich auf einem Blatt platziert, das auch in seinem heutigen, unvollständigen Zustand noch 7,8 cm breit und 19 cm hoch ist. Die paläographisch bemerkenswerte Schrift entspricht der stilisierten Kanzleischrift, die römische und spätrömische Büros für offizielle Schriftstücke verwendet haben. Anhand der Schrift kann das Dokument in das 6. Jh. n. Chr. datiert werden. Damit fügt es sich bestens in die beschriebene Gruppe von Zirkusprogrammen, die alle dem späten 5. oder dem 6. Jh. n. Chr. angehören. Aus welcher Stadt Mittelägyptens das Blatt stammt, lässt sich nicht feststellen. Der Text, bei dem jeder Eintrag in einer neuen Zeile geschrieben ist, lautet:

 

† Zum Guten Glück!

Sieg

Prozession

Stelzenläufer

Mimus

Tänzer auf dünnen Seilen

Stelzengeher

[ - - Text verloren - - ]

Seiltänzer

[ - - Text stark beschädigt - - ]

–  –  –  –  –  –  –  –

Zum guten Glück!

Am Beginn steht, wie bei vielen Texten der christlichen Spätantike, ein Kreuz. Danach folgt die alte – und eigentlich pagane – Anrufung der Göttin Tyche als Personifizierung des Guten Glücks: ἀγαθῇ τύχῃ. Tyche war wechselhaft wie das Glück, deshalb beschwor man die „Gute Tyche“. Während Anrufungen der Tyche in früheren Jahrhunderten sehr häufig waren, begegnen sie ab dem 5. Jh. nur noch in den genannten Zirkusprogrammen. Dass altgläubige und christliche Elemente hier unmittelbar neben einander stehen können, gibt zu erkennen, wie man bei „Tyche“ im 6. Jh. nicht mehr an die göttliche Glücksbringerin dachte, sondern die Anrufung eher auf die Gefahren der Spiele bezog, für die man Glück benötigte. Alle vier Programme, bei denen der Anfang erhalten ist, beginnen mit dieser Anrufung, die vielleicht in Sprechchören akklamiert wurde: Sie gehörte zu dem traditionellen Ritual, mit dem die Spiele eröffnet wurden. 

Der zweite Eintrag lautet lakonisch „Sieg“, νίκη. Damit wird zunächst der Sieg in den kommenden Wettkämpfen angesprochen, doch da die Sieghaftigkeit ein wichtiger Aspekt der kaiserlichen Amtsgewalt war, schwingt diese propagandistische Konnotation auch beim Sieg in der Arena mit: der Sieg eines Wagenlenkers wird  – in einer logisch nicht völlig konzisen Projektion – zum Symbol für den allzeit siegreichen Kaiser. Vielleicht hat man die Sieghaftigkeit wieder durch laute Akklamationen gefeiert, wahrscheinlicher ist es jedoch, dass eine Statue der Göttin des Sieges, Nike (= Victoria), durch die Laufbahn getragen und dem Publikum präsentiert wurde, wie es schon der Dichter Ovid (43 v. Chr. – 17 n. Chr.) für die augusteische Epoche beschreibt (Amores 3,2,45). 

Als dritter Programmpunkt kommt eine Prozession (πομπή), in welcher unschwer die in literarischen Quellen beschriebene pompa circensis zu erkennen ist. Bevor die Rennen beginnen, umrunden die teilnehmenden Wagen in einem feierlichen Umzug die Rennbahn. Wagenlenker und Pferde werden dem Publikum vorgeführt, zugleich wirkungsvoll die Spannung gesteigert. Wiederum zeigen die vier Programme mit erhaltenem Anfang diese drei Programmpunkte übereinstimmend (wenn auch in abweichender Reihenfolge) zur Eröffnung der Veranstaltung. Offenbar hat diese Zeremonie über Jahrhunderte nahezu unverändert die Spiele eingeleitet, wie aus dem Vergleich mit literarischen Erwähnungen sichtbar wird.

Bei dem einzigen vollständig erhaltenen Programm (P.Oxy. XXXIV 2707) folgen dann die Wagenrennen in sechs Durchgängen, zwischen denen andere Schaustellungen gewissermaßen als Pausenfüller geboten werden. Diese hatten offenbar die Aufgabe, das Publikum zu unterhalten, bis die Rennbahn gesäubert und für den nächsten Durchgang vorbereitet war. Unserem Programm aus der Papyrussammlung verzeichnet sieben solche Programmpunkte, jedoch (noch) kein Renndurchgang. Ähnlich ist es bei den fragmentarischen Programmen P.Oxy. LXXIX 5215, 5217 und 5218. Für diese Auffälligkeit gibt es drei mögliche Erklärungen: Zum einen könnten die Rennen noch in den verlorenen unteren Teilen dieser Papyrusblätter gekommen sein. Das würde bedeuten, dass zumindest unser Programm ein außergewöhnlich umfangreiches Rahmenprogramm vor den Wagenrennen geboten hätte. Zum anderen wäre es denkbar, dass diese Veranstaltungen eben nur verschiedene artistische Vorführungen boten und gar kein Rennen folgte. Dagegen ließe sich aber einwenden, dass die Eröffnungszeremonie mit einer Präsentation der Victoria und der pompa circensis nur Sinn ergab, wenn danach ein Wettrennen stattfand. Drittens wäre es möglich, dass die Programme ohne Angabe der Rennen nur die bei jeder Veranstaltung unterschiedlich gestalteten Einlagen des Rahmenprogramms festhielten, nicht aber die als selbstverständlich erachteten Rennläufe.

Spannendes Rahmenprogramm

Die Darbietungen des Rahmenprogramms sind freilich auch für sich genommen bemerkenswert: Den Auftakt gestaltet ein kalopaiktes (καλοπαίκτης), ein äußerst selten in den griechischen Quellen genannter Schausteller, den Morelli nach penibler Recherche als „Stelzenläufer“ identifizieren konnte. Es folgt der Programmpunkt „Mimus“ (μῖμος), was im Griechischen sowohl einen komödiantischen Schauspieler als auch ein parodistisches Stück bezeichnen konnte. Es wird also nicht deutlich, ob das Programm „einen Sketch“ (vielleicht mit mehreren Schauspielern) oder einen einzelnen Mimen (Komödianten) ankündigte. In jedem Fall ist das dramaturgische Konzept bemerkenswert, das nach spannenden, akrobatischen Nummern durch eine kabarettistische Einlage vergnügliche Abwechslung und Entspannung bot. Im Grunde folgen heutige Zirkusprogramme mit dem berühmten Zirkusclown noch derselben Linie. Nach dem Mimus tritt ein Seiltänzer (νευροβάτης) auf, wobei das griechische Wort für „Seil“ zu erkennen gibt, dass es um sehr dünne Schnüre geht, die vielleicht ab einer gewissen Distanz kaum noch sichtbar waren und somit zusätzlich für Nervenkitzel sorgten. Der nächste Programmpunkt ist wiederum ein Stelzengeher, doch diesmal wird ein Begriff verwendet, der geringfügige von dem in Zeile 4 abweicht. Es bleibt für uns unklar, welcher genaue Sinn sich hinter dieser Differenzierung verbirgt. Eine ähnliche Variation bietet auch der nächste (und letzte erhaltene) Eintrag, der einen weiteren Seiltänzer ankündigt, aber gleichfalls einen anderen Terminus (σχοινοβάτης) gebraucht als für den Seiltänzer in Zeile 6. Diesmal steht für „Seil“ ein Begriff, der an ein dickes Seil denken lässt. Vermutlich unterschied sich also die Darbietung dieses Akrobaten im Stil von jener des ersten Seiltänzers. Insgesamt kommen demnach ganz unterschiedliche Artisten zum Einsatz, um die Wartezeit zwischen den Wagenrennen kurzweilig zu gestalten. Das Repertoire scheint generell abwechslungsreich gewesen zu sein, denn in anderen Zirkusprogrammen treffen wir noch auf Athleten, vokalistische Aufführungen und eine venatio (einen Tierkampf) mit Hunden und Gazellen.            

Noch einige Rätsel  zu lösen

Unser Zirkusprogramm hat auch im Verbund mit den anderen Dokumenten dieses Genres noch nicht all seine Geheimnisse preisgegeben. So ist beispielsweise nicht einwandfrei zu verstehen, was genau der Zweck dieser Programme war. Einerseits weist die große Kanzleischrift auf einen öffentlichen, vielleicht offiziellen Kontext hin. Keines der Papyrusblätter weist jedoch Löcher auf, die auf eine Befestigung an einer Wand oder Tafel deuten würden. Plausibel erscheint, dass solche Programme vor den Spielen an das Publikum verteilt wurden, um herumgereicht zu werden. Jene beiden Exemplare (P.Oxy. XXXIV 2702 und LXXIX 5215), deren unterer Rand erhalten ist, tragen eine von anderer Hand geschriebene Grußformel (διευτύχει), die nach antiker Sitte auch als Unterschrift gedient haben kann. Es wäre möglich, dass dies die Gegenzeichnung eines städtischen Amtsträgers ist, der für die Organisation der Spiele verantwortlich war und das jeweilige Programm durch seine Unterschrift approbiert hat. Ebenso gut wäre es denkbar, dass diese Programme wie Einladungen mit persönlicher Unterschrift versendet wurden, um Freunde zum Zirkus einzuladen. Zirkusspiele waren – auch im spätantiken Ägypten – ein wichtiger Teil des öffentlichen und sozialen Lebens, zugleich eine staatlich finanzierte und organisierte Freizeitgestaltung. Für die jungen Männer bot die ausgelassene Atmosphäre der Spiele zudem reichlich Gelegenheit, Kontakte mit Mädchen zu knüpfen – wie Ovid humorvoll in seiner Ars amatoria 1,133–170 beschreibt.      


Univ.-Prof. Dr. Bernhard Palme ist Direktor der Papyrussammlung und des Papyrusmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek sowie Professor für Alte Geschichte und Papyrologie an der Universität Wien.


Corona-bedingt kann der Expertenvortrag „Ein antikes Zirkusprogramm“ im Rahmen der Reihe „Das besondere Objekt“ nur als Online-Version erscheinen. Das Papyrusfragment ist noch bis 12. Juli 2020 im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek zu sehen. 

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