Ein Jesuit am Marterpfahl

Forschung

27.06.2019
Das besondere Objekt, Karten
Darstellung eines Jesuiten am Marterpfahl mit einer Menschenmenge rundherum. Button "Das besondere Objekt"
Von der Karte „Novae Franciae Accurata Delineatio“ gibt es weltweit nur zwei komplette Exemplare. Sie ist eine wichtige Quelle für die Geschichte Kanadas. Besonders eindrucksvoll sind die in die Karte eingefügten Bilder zum Alltagsleben der Indigenen sowie die Darstellung der Marter der Jesuiten Jean de Brébeuf und Gabriel Lalement 1649.

Autorin: Elisabeth Zeilinger

Die Karte „Novae Franciae Accurata Delineatio 1657“ war eine der ersten Erwerbungen der 1906 gegründeten Geographischen Sammlung der Wiener Hofbibliothek, heute Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Bis zur Amerika-Ausstellung 1992 wurde sie weder präsentiert noch veröffentlicht. Somit war bis dahin bloß ein einziges komplettes Exemplar bekannt, jenes in der Bibliothèque nationale, Paris. Es handelt sich um einen Kupferstich von zwei Platten, das bedeutet, dass theoretisch etwa 300 gute Abzüge möglich wären.

Dargestellt auf der um 1655 entstandenen Karte sind die Region der großen Seen im heutigen Grenzbereich zwischen Kanada und den USA (Oberer See/Lacus Superior, Michigansee/Lacus Ozolarum, Huronsee/Mare Dulce) bis zur Mündung des St. Lorenz Stromes sowie die amerikanische Ostküste von Neufundland bis zur Chesapeake Bai. Das Gebiet des Huronsees ist so detailliert wie auf keiner anderen zeitgenössischen Karte wiedergegeben. Hier spiegelt sich die Kenntnis des Autors wider, gewonnen aus eigener Anschauung vor Ort.


Abb.1: Gesamtansicht der Karte „Novae Franciae Accurata Delineatio 1657“

Entdeckt durch den Seefahrer Jacques Cartier wurde das Gebiet 1534 als Nouvelle France für den französischen König Franz I. in Besitz genommen und von Frankreich als Kolonie beansprucht. Die systematische Erkundung und Kolonisierung erfolgte erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch Samuel de Champlain, der Québec, Trois-Rivières und Montreal gründete.

Mit Vertretern der indigenen Völker der Montagnais und Algonkin vereinbarte Champlain eine Allianz. Als Gegenleistung wurde von ihnen Unterstützung im Kampf gegen die weiter südlich lebenden Irokesen gefordert. Das Problem, das alle Europäer in Kanada hatten, war, dass mit welcher indianischen Nation sie sich auch immer verbündeten, sie damit auch deren Feinde und die Verteidigung ihrer Alliierten übernehmen mussten. Im Gebiet südlich des St. Lorenz-Stromes lebten die mit den Holländern verbündeten Irokesen und Mohawks, während nördlich des Flusses das Gebiet der mit Frankreich alliierten Montagnais, Algonkin und Huronen lag.

Frankreich hatte neben dem Kabeljaufang vor den Küsten vor allem am Pelzhandel großes Interesse. Parallel zur Besiedelung und wirtschaftlichen Erschließung wurde die Missionierung in Angriff genommen. Ab 1625 begannen die Jesuiten tätig zu werden: ihre ersten Schritte waren immer der Spracherwerb und die Teilnahme am täglichen Leben der Indigenen. Die Jesuiten waren sehr gut ausgebildet und besaßen umfangreiche Kenntnisse in Naturwissenschaften, Mathematik und Astronomie, sie konnten Positionen bestimmen und Karten zeichnen.

Es gab zwei Missionsschwerpunkte: die Region Quebec und die von Jean de Brébeuf begründete Huronenmission im Westen, in der Region der Großen Seen. Die Missionierung war jedoch bedeutend schwieriger als erwartet – einerseits wegen grassierender epidemischer Krankheiten und andererseits, weil die Jesuiten in starke Konflikte mit den spirituellen Führern der Huronen gerieten.

Das Zentrum der Huronenmission war Sainte Marie in der Georgsbucht des Huronsees (=mer douce), einige Kilometer von der heutigen Stadt Midland in Ontario entfernt. Die Reise in das Land der Huronen begann in Montreal und war sehr schwierig und gefährlich: bis zu 30 Tage mussten Kanus aus Rinde über verschiedene Flusssysteme gepaddelt und über unwegsames Terrain getragen werden. Wasserfälle (auf der Karte sind entlang der Route 30 eingezeichnet), gefährliche Stromschnellen, Klippen, Inseln wurden durchquert oder umgangen und das Territorium der feindlichen Irokesen musste gemieden werden. Eine Insert Karte zeigt das Gebiet deutlicher.

Der Autor der Karte, Francesco Giuseppe Bressani, wurde 1612 in Rom geboren. Mit 14 Jahren trat er in den Jesuitenorden ein und studierte am Collegio Romano. Um als Missionar in Kanada wirken zu können, ging Bressani nach Paris, Französisch zu lernen und sich am Collège de Clermont vorzubereiten. 1642 landete er in Kanada, wo er zwei Jahre in Quebec und Trois Rivières blieb, um sich mit dem Land, den Menschen und ihren Sprachen vertraut zu machen.

Von Trois Rivières brach Bressani im Frühjahr 1644 auf, um in das Gebiet der Huronen zu gelangen. Bereits am 3. Tag der Reise, unweit von Fort Richelieu, wurden sie von Mohawks überfallen, gefangen genommen, in das Gebiet der Irokesen gebracht und dort dann gemartert und verstümmelt. Bressani wurde schließlich gegen Lösegeld den Holländern übergeben und konnte nach Frankreich zurückkehren. Nicht einmal ein Jahr später war er wieder in Kanada und erlebte das tragische Ende der Mission als Zeitzeuge.

1650 verließ Bressani die neue Welt für immer und wirkte in Italien bis zu seinem Tod 1672 als Prediger der die Massen anzog, wobei neben seinen mitreißenden Worten auch seine verstümmelten Hände eine große Anziehungskraft besaßen. Er hatte nur noch einen einzigen Finger an der rechten Hand. Bressani veröffentlichte einen Bericht über seine Zeit in Neufrankreich mit dem Titel „Breve Relatione“, worin er die Indigenen sehr positiv beschrieb. Dem Werk sollte zum besseren Verständnis diese Karte beigegeben werden. Sie erschien, da sie nicht rechtzeitig fertig wurde, erst 1657 als separate Publikation.


Abb. 2: Detailansicht von Frauen, die Kinder tragen

Auf der Karte gibt es kleine bildliche Darstellungen, die das Alltagsleben illustrieren: ein Langhaus, Frauen, die Kinder tragen (in einer Kleidung aus Häuten und mit Schneeschuhen), eine Jagdszene mit Pfeil und Bogen, Alltagsarbeit, ein Kanu, ein „Concilium“, eine Tanzszene, ein als „Armatus“ bezeichneter, mit einem Gewehr bewaffneten Indianer, der eine Rüstung aus Zweigen trägt und eine kleine Marterszene. Auch eine Reihe von Tieren gibt es zu entdecken: Elch, Bär, Hirsch, Biber, Skunk, im Meer Wal und Seehund. Es sind authentische Darstellungen, von denen es aus dieser Zeit sehr wenige gibt. Zusammen mit den schriftlichen Berichten der Jesuiten sind sie heute von unschätzbarem Wert.


Abb. 3: Detailansicht von zwei Menschen im Kanu

Wie auch alle anderen, hatten die Irokesen ihre Gebiete überjagt und waren gezwungen, die gefragten Pelze per Handel oder Krieg bzw. Raubzug zu erlangen. Dies führte angesichts schwindender Ressourcen Mitte des 17. Jahrhunderts zum Konflikt mit den Huronen und deren Verbündeten. Die Irokesen, zahlenmäßig unterlegen, aber durch ihre von den Europäern eingehandelten Waffen von großer militärischer Schlagkraft, konzentrierten ihre Attacken ab 1640 gegen die Huronen, und isolierten sie von den Algonkin. Traditionelle Gründe für kriegerische Auseinandersetzungen waren bisher hauptsächlich Blutrache und sogenannte Trauerkriege, deren Ziel es war, die getöteten eigenen Leute durch adoptierte Gefangene zu ersetzen.

Nun lag die Ursache der Kriege jedoch eindeutig im Pelzhandel mit den Europäern. Ab 1642 kam es immer wieder zu heftigen kriegerischen Zusammenstößen zwischen den Huronen und den Irokesen. Die Lage wurde äußerst prekär, auch für die Jesuiten. Sie ließen sich aber nicht abhalten, weiter zu missionieren und es stellten sich gerade in dieser Zeit erste Erfolge ein. In der linken oberen Ecke der Karte wird eine betende indianische Familie dargestellt.

Jean de Brébeuf war aufgrund seines großen Sprachtalents zu den Huronen geschickt worden, um die Mission aufzubauen. Er erlernte die Sprache, übersetzte Bibeltexte und stellte ein Wörterbuch und eine Grammatik zusammen. Seine detaillierten Beschreibungen der Huronen wurden veröffentlicht und stellen eine ganz bedeutende Quelle dar.

Am 16. März 1649 wurden die Missionsstationen Saint Ignace und Saint Louis völlig überraschend von über 1000 Irokesen, die im hohen Schnee 200 Meilen unbemerkt zurückgelegt hatten, angegriffen und dem Erdboden gleichgemacht. Die wenigen Überlebenden wurden verschleppt, während die beiden Jesuiten Jean de Brébeuf und Gabriel Lalement auf grauenhafte Weise zu Tode gefoltert wurden. Die Missionsstation Sainte Marie konnten die Irokesen nicht einnehmen, sie wurde aber im Sommer von den Jesuiten aufgegeben und niedergebrannt.


Abb. 4: Detailansicht von Jesuiten am Marterpfahl

Das Martyrium wird in der rechten unteren Ecke detailliert wiedergegeben. Es ist die erste bildliche Darstellung, auf der spätere Stiche und Gemälde beruhen. Brébeuf und Lalement wurden 1930 heiliggesprochen und sind in Kanada auch heute noch sehr präsent. Neben der großen Szene wird in Bildchen weiterer Jesuiten gedacht, die zwischen 1642 und 1656 umkamen.

Auch die Huronen überlebten nicht als Volk: drei Pocken-bzw. Grippe-Epidemien, die Umstellung der Lebensgewohnheiten, Störungen des ökologischen Gleichgewichts und die verhängnisvollen Auseinandersetzungen mit den Irokesen trugen zum Untergang der huronischen Nation bei. Die Überlebenden der besiegten Huronenstämme wurde von den Irokesen adoptiert und nahmen deren Sprache an.

Bemerkenswert ist die Darstellung der Irokesen in der Marterszene: sie werden wirklichkeitsnah, so wie sie Bressani auch in seinen Texten beschrieben hat, wiedergegeben. Trotz der brutalen Handlungen, die sie setzen, sind die Abbildungen nicht rassistisch verzerrt, ganz im Gegenteil, die Irokesen treten uns als „edle Wilde“ entgegen.

Im Rahmen der Reihe  » Das besondere Objekt ist die „Novae Franciae Accurata Delineatio“ noch bis 28. Juli im Prunksaal zu sehen!

Zur Autorin: Mag. Elisabeth Zeilinger ist Mitarbeiterin der Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.

Literatur:

  • Louis Cardinal: Record of an ideal: Father Franceso Giuseppe Bressani’s 1657 map of New France. In: Portulan 61, 2004, p. 13-28
  • Klaus-Dieter Ertler (Ed).: Von Schwarzröcken und Hexenmeistern. Jesuitenberichte aus Neu-Frankreich (1616-1649). Berlin 1997.
  • Conrad E. Heidenreich, Ed Dahl: The French Mapping of North America in the seventeenth century. In: The Map Collector, 13, 1980, p. 2-11
  • Richard Nebel: Die Huronenmission in Kanada nach den ‚Relations des Jésuites de la Nouvelle-France (1632-1673)‘. Bamberg 1991 (=Kleine Beiträge zur Überseegeschichte Heft 12)
  • Jean-François Palomino: Cartographier la terre des païens: la géographie des misssionaires jésuites en Nouvelle-France au XVIIe siècle. In: Revue de Bibliothèque et Archives nationales du Québec, 4, 2012, p. 6-19
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