Autorin: Lydia Jammernegg
Am 12. November 1918 wurde nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie die Republik Deutschösterreich ausgerufen. Die Provisorische Nationalversammlung beschloss die Zuerkennung des aktiven und passiven Wahlrechts an alle volljährigen Staatsbürger*innen ohne Unterschied des Geschlechts. Die Einführung des Frauenwahlrechts war eine Folge des politischen Umbruchs in Österreich. Der Ausschluss der Frauen aus den politischen Institutionen war damit beendet. Die Arbeiterinnen-Zeitung schreibt dazu: „Es ist eine große Sache, die da vollzogen wurde. …. Die Frauen sind Wählerinnen geworden, das verändert mit einem Schlag ihren Wert.“1 Erste Möglichkeiten der politischen Partizipation eröffneten sich für Frauen. In weiterer Folge konnten sie als Politikerinnen im Nationalrat, im Landtag und in den Gemeinderäten selbst das Wort ergreifen.
Mit Ausrufung der Republik erhielten Frauen auch das Vereins- und Versammlungsrecht. Im Oktober 1918 wurde der §30 des Vereinsgesetzes aus 1867 – das Beitrittsverbot von Frauen zu politischen Vereinen – abgeschafft. Dies war Voraussetzung für ihre formalrechtliche Gleichstellung.
Bei der Ausarbeitung der Wahlordnung kam es zu Debatten. Bisherige Gegner des Frauenstimmrechts – Christlichsoziale und Deutschnationale – befürchteten, dass „ihre" Frauen der Wahl fernbleiben würden und forderten daher, die Wahlpflicht2 einzuführen. Der Grund hierfür war die Annahme, dass sie die ihnen nahestehenden Frauen weniger gut mobilisieren könnten, als die Sozialdemokrat*innen. Die Sozialdemokrat*innen traten allerdings gegen die Wahlpflicht auf. Als Kompromisslösung wurde die Einführung der Wahlpflicht der Landesgesetzgebung überlassen und in Tirol und Vorarlberg umgesetzt.
Sozialdemokrat*innen und Deutschnationale brachten in die Wahlrechtsdiskussion ein, dass Frauen und Männer mit farblich unterschiedlichen Kuverts abstimmen sollten. Bei der Nationalratswahl im Oktober 1920 wurden schließlich verschiedenfarbige Kuverts für Männer und Frauen eingeführt. Politische Präferenzen je nach Geschlecht wurden dadurch sichtbar gemacht.
Als eine Folge des Ersten Weltkrieges stellten Frauen beträchtlich mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten, „ein Übergewicht des weiblichen Geschlechtes um eine Viertelmillion Menschen“3. Dies blieb die gesamte Erste Republik so. Frauen waren so ein entscheidender aber noch unbekannter Faktor in der Politik. Durch ihr Stimmrecht verfügten sie nun über politische Macht. Die Parteien konnten ihr Wahlverhalten noch nicht einschätzen und waren über die Zulassung einer so großen unbekannten Wählerinnengruppe beunruhigt. Das Abstimmungsverhalten der Frauen wurde von den Parteien analysiert.
Am 18. Dezember 1918 wurde die genaue Wahlordnung beschlossen. Das Wahlalter wurde auf 20 Jahre festgelegt, das passive Wahlrecht erlangte frau/man mit 29 Jahren. Ausgenommen vom Wahlrecht waren bis 1923 jedoch die ‚Prostituierten‘.
Nun ging es in allen Parteien darum sich um Wählerinnen und auch um weibliche Kandidierende für politische Ämter zu bemühen. Dies war bisher kein Thema der Frauenbewegungen oder Parteien gewesen. Spezielle Wahlwerbungen für Frauen wurden geschaltet und auch die Frauenbewegung betrieb Aufklärungsarbeit für die Wahl.
Abb. 1: Stimmabgabe in einem Wahllokal in Wien, in: Wiener Bilder, 23. Februar 1919, Nr. 8, S. 8
Am 16. Februar 1919 fand die Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung statt. Es war die erste Wahl nach dem Verhältniswahlrecht und die erste, bei der Frauen das aktive und passive Wahlrecht ausüben konnten. Entgegen den Erwartungen vieler war die Wahlbeteiligung der Frauen nur wenig geringer als die der Männer. 82,10% der Frauen und 86,97% der wahlberechtigten Männer nahmen ihr Wahlrecht wahr.
Die Befürchtungen der Christlichsozialen, dass ihnen das Frauenwahlrecht schaden würde, erwiesen sich als unbegründet. Ein überproportionaler Anteil der Frauen stimmte für die Christlichsoziale Partei. Frauen wählten also mehrheitlich konservativ – ein Trend, der sich bei den folgenden Wahlen fortsetzen sollte, wobei es starke regionale Unterschiede gab. Nur in Wien und Kärnten wählten Frauen mehrheitlich sozialdemokratisch.4
Abb. 2: Helene Granitsch, Kandidatin für die Nationalversammlung, in: Wiener Bilder, 16. Februar 1919, Nr. 7, S. 6
Insgesamt 115 Frauen kandidierten5 für den Einzug in die Konstituierende Nationalversammlung, allerdings meist an aussichtsloser Stelle – quer durch alle Parteien und in allen Bundesländern außer Vorarlberg. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei erreichte bei dieser Wahl mit 72 Mandaten die relative Mehrheit. Mit der Christlichsozialen Partei, die 69 Mandate erhielt, bildete sie bis 1920 eine Regierungskoalition. Das Ergebnis für die bürgerlichen Parteien war enttäuschend. Sie konnten u.a. auf Grund ihrer Aufsplitterung nur ein Mandat erringen. Für bürgerliche Parteien hatten einige prominente Vertreterinnen der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung – wie Helene Granitsch, Marianne Hainisch, Maria Klausberger, » Olga Misar – kandidiert. Keine dieser Frauen bekam jedoch ein Mandat. Dieses Ergebnis war ernüchternd für die bürgerlich-liberale Frauenbewegung.6 Die Stimmrechts-Aktivistinnen der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung blieben die gesamte Erste Republik erfolglos. In den Bundesländern wandten sich Mitglieder der Frauenbewegung auch deutschnationalen Parteien zu, die mit 26 Mandaten in der Konstituierenden Nationalversammlung vertreten waren.
Als die Konstituierende Nationalversammlung am 4. März 1919 zu ihrer ersten Sitzung zusammentrat, zogen auch die ersten weiblichen Abgeordneten ins Parlament ein. Unter den 170 Abgeordneten waren acht Frauen – sieben Sozialdemokratinnen und eine Christliche-Soziale: Anna Boschek, Emmy Freundlich, Adelheid Popp, Gabriele Proft, Therese Schlesinger, Amalie Seidel und Maria Tusch für die Sozialdemokratische Partei sowie Hildegard Burjan für die Christlichsoziale Partei. Im Gegensatz dazu hatten die bürgerlich-liberalen Frauen keine weiblichen Abgeordneten, die sie im Parlament repräsentierten.
Abb. 3: Die weiblichen Abgeordneten der SDAPÖ in der Nationalversammlung im Parlament am 4. März 1919 (von li. 1. Reihe: Adelheid Popp, Anna Boschek 2. Reihe: Gabriele Proft, Therese Schlesinger 3. Reihe: Marie Tusch, Amalie Seidel)
Mehrheitlich gehörten die weiblichen Abgeordneten also der Sozialdemokratischen Partei an. Alle diese Frauen waren schon länger politisch engagiert – die meisten im Rahmen der sozialdemokratischen Frauenbewegung oder Gewerkschaftsorganisationen. Fünf stammten aus einfachsten Verhältnissen und waren ehemalige Arbeiterinnen oder Hausgehilfinnen. Ein akademisches Studium hatte nur die Christlichsoziale Hildegard Burjan absolviert. Maria Tusch, wurde als einzige Frau aus einem der Bundesländer, Kärnten, in die Nationalversammlung entsandt.
Mit der Steirerin Olga Rudel-Zeynek wurde 1927 erstmals eine Frau Präsidentin des Bundesrates. Erst in der Zweiten Republik war die Kommunistin Hella Postranecky die erste Frau in Österreich in einer Regierung. Sie übernahm in der Provisorischen Regierung Renner von April bis Dezember 1945 das Amt einer Unterstaatssekretärin für Volksernährung.
Die politische Gleichberechtigung der Frauen im Wahlrecht spiegelte sich damals nicht in der politischen Vertretung wider - dies ist bis heute so geblieben. Nur 4,7 Prozent der Abgeordneten waren im März 1919 weiblich. Insgesamt sollte sich der Anteil an Frauen im Nationalrat in der Ersten Republik nur wenig erhöhen.
Siehe dazu auch:
Über die Autorin: Mag. Lydia Jammernegg ist Historikerin und wissenschaftliche Bibliothekarin in der Ariadne – frauen/genderspezifische Information und Dokumentation an der Österreichischen Nationalbibliothek.
Literatur
Bader-Zaar, Birgitta (2018): Die Demokratisierung des Wahlrechts, in: Robert Kriechbaumer, Michalea Maier, Maria Mesner, Helmut Wohnout (Hg.): Die junge Republik. Österreich 1918/19, Wien: Böhlau, S. 101–112.
Bader-Zaar, Birgitta (1996): Teilhabe an Macht? Das Frauenwahlrecht und die politische Repräsentation, in: Austriaca, S. 63–80.
Messner, Elena, Eva Schörkhuber, Petra Sturm (Hg.) (2018): Warum feiern. Beiträge zu 100 Jahren Frauenwahlrecht, Wien: Edition Atelier.
1 Das Wahlrecht zur konstituierenden Nationalversammlung, in: Arbeiterinnen-Zeitung, Jg. 27, 17. Dezember 1918, Nr. 25, S.1.
2 Vgl. u.a. Das Wahlrecht zur konstituierenden Nationalversammlung, in: Arbeiterinnen-Zeitung, Jg. 27, 17. Dezember 1918, Nr. 25, S. 2; Was ist Wahlpflicht? in: Die Wählerin, 12. Dezember 1918, Nr. 2, S. 2; Warum Wahlpflicht, in: Salzburger Chronik, Jg. 54, 11. Dezember 1918, Nr. 285, S. 1; Um die Wahlpflicht, in: Reichspost, Jg. 25, 5. Dezember 1918, Nr. 561, S. 1.
3 Wahlzwang für die Frauen, in: Arbeiter-Zeitung, Jg. 30, 8. Dezember 1918, Nr. 335, S. 1.
4 Vgl. u.a. Pauli, Bertha: Die Schwarzwählerinnen, in: Arbeiter-Zeitung, Jg. 32, 25. Oktober 1920, Nr. 295, S. 1; Sonnleitner, S.: Das Frauenwahlrecht und die unaufgeklärten Frauen, in: Arbeiterinnen-Zeitung, Jg. 27, 17. Dezember 1918, Nr. 25, S. 4–5.
5 KanditatInnenliste vgl. Neue Freie Presse, 14. Februar 1914, S. 5–11; Neue Freie Presse, 15. Februar, S. 5-8.
6 Vgl. Klausberger, Maria L.: Vor neuen Wahlen, in: Der Bund, Jg. 14, März 1919, H. 2, S. 4–6.
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