Frauenwahlrecht – und weiter?

Forschung

14.11.2018
Frau und Gender, Quellen zur Österreichischen Geschichte

Frauenbewegung(en) und politische Partizipation in Österreich nach 1918 (Teil 2)

Autorin: Lydia Jammernegg 

Aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Einführung des Frauenwahlrechts in Österreich 2018 zeigtAriadne  in einer Online-Ausstellung anhand von Texten und Objekten die historische Entwicklung des Frauenwahlrechts im österreichischen Teil der Habsburgermonarchie. 

Nach dem Ende der Habsburgermonarchie wurde am 12. November 1918 die Republik Deutschösterreich ausgerufen, die Provisorische Nationalversammlung beschloss gleichzeitig die Zuerkennung des aktiven und passiven Wahlrechts an alle volljährigen StaatsbürgerInnen ohne Unterschied des Geschlechts. Die Zuerkennung des allgemeinen Wahlrechts als zentrales Instrument politischer Mitbestimmung war ein wichtiger Schritt im Demokratisierungsprozess Österreichs und Grundlage für die politische Teilhabe von Frauen. Der hundertste Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts in Österreich ist Anlass, die politische Partizipation von Frauen nach 1918 im Kontext der Frauenbewegung(en) zu betrachten. Was bedeutete die Erringung des Frauenstimmrechts für die Frauenbewegung(en)?

Ab 1917 gab es eine breite gesellschaftliche Unterstützung für das Frauenwahlrecht, die über Frauenstimmrechtsbewegung und Sozialdemokratinnen hinausging und etwa auch von den organisierten Katholikinnen mitgetragen wurde. Frauenstimmrechtsaktivistinnen hatten jahrzehntelang agitiert, bis sie das Recht auf politische Mitbestimmung im November 1918 erhielten. Für die bürgerlich-liberale Frauenbewegung bedeutete die Erfüllung einer ihrer zentralen Forderungen zwar einen entscheidenden Erfolg, doch rief sie zugleich eine gewisse Orientierungslosigkeit hervor. Marianne Hainisch meinte in „Der Bund“, dem Vereinsorgan des Bundes Österreichischer Frauenvereine, „[wir] ermangeln der Fähigkeit zur Freude!“ über „unsere große Errungenschaft“[1] Bürgerlich-liberale Frauen schienen überrumpelt von der plötzlichen Teilhabe an politischen Rechten, während Sozialdemokratinnen die Befreiung der Frauen von ihrer Rechtlosigkeit freudig begrüßten.[2]

In der Zeitspanne zwischen der Zuerkennung des Wahlrechts am 12. November 1918 und der Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 setzte sich die bürgerlich-liberale Frauenbewegung vehement für eine Wahlbeteiligung der Frauen ein. Für diese erste Wahl, an der Frauen teilnehmen konnten, sahen die Frauenorganisationen ihre erklärte Aufgabe und auch Pflicht[3] darin, durch Broschüren, Versammlungen, Vorträge und Zeitungsartikel politische Aufklärungsarbeit für Frauen zu leisten. Gleichzeitig kam es aber auch zu Beginn der neuen Republik, 1918 und 1919, zur Auflösung einer Reihe von Frauenvereinen, vor allem bürgerlich-liberaler, u.a. des in der Frauenstimmrechtsbewegung sehr bedeutenden Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins.

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Abb. 1 u. 2: Frauen, übt euer Wahlrecht aus! Flugblatt des Deutschösterreichischen Vereins für Frauenstimmrecht, 1919, S. 1 u. 2
Abb. 1 u. 2: Frauen, übt euer Wahlrecht aus! Flugblatt des Deutschösterreichischen Vereins für Frauenstimmrecht, 1919, S. 1 u. 2

Die Zäsur des Ersten Weltkriegs brachte auch eine Konsolidierung der Zeitschriftenlandschaft mit sich. Wichtige Periodika der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung vor 1918, wie Neues Frauenleben, Zeitschrift für Frauenstimmrecht und Der Bund, waren in der Ersten Republik nicht mehr existent. Kurzfristig gab es neue Frauenzeitungen, die aber bald – teilweise schon nach der Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung 1919 – wieder eingestellt wurden. Zeitungsgründungen, wie die bürgerliche „Die Frau“ und die sozialdemokratische Die Wählerin, existierten nur über einen sehr begrenzten Zeitraum. Die Einstellung wichtiger bürgerlicher Publikationsorgane erschwert u.a. bis heute die Forschung über die weitere Entwicklung der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung.

Abb. 3: Die Wählerin, 12. Dezember 1918, Nr. 2, S. 1

Nach 1918 und der Einführung des Frauenwahlrechts wurde das Parlament zu einem zentralen Ort der Verhandlung sozialdemokratischer Politik. Sozialdemokratische Frauen verzichteten ab 1918 auf eine unabhängige Frauenorganisation und waren künftig Parteitag und Parteivorstand unterstellt. Ab 1919 waren sozialdemokratische Parlamentarierinnen im Nationalrat zu wichtigen frauenpolitischen Themen engagiert – wie etwa gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Gleichstellung der Frauen im Familienrecht und Forderung nach einer Fristenlösung. Wenige kritische Stimmen – unter anderem Gabriele Proft – beklagten, dass die Fraueninteressen der allgemeinen Politik untergeordnet würden und damit die Organisierung von Frauen sowie von Frauenzeitungen behindert würde.

In der Ersten Republik von 1918 bis 1933 verlagerte sich also die Auseinandersetzung um Frauenpolitik auf die Ebene der Gesetzgebung. Damit waren parteiunabhängige liberale Frauen und Frauenvereine gegenüber parteipolitisch verankerten Frauen, die dort auch ihre Forderungen und Anliegen einbringen konnten, benachteiligt. Die unabhängige Frauenbewegung, vor allem die bürgerlich-liberale, verlor an Bedeutung. In den ersten Jahren der Republik waren Frauen des Bürgertums bemüht, sich in bürgerliche-liberale Parteien einzubringen und kandidierten für Parteimandate. Keiner einzigen bürgerlich-liberalen Frau gelang es jedoch, u.a. aufgrund der starken Aufsplitterung der bürgerlich-liberalen Lager, ins Parlament zu gelangen.

Abb.4: Demokratisch?? in: Der Floh, Sonderheft, 12. Jänner 1919, S. 6

Die bürgerlich-liberalen Parteien hatten die Hoffnungen und Erwartungen der Frauen nicht erfüllt und ihnen weder zu politischen Mandaten verholfen noch Frauenforderungen, wie z.B. eine berufliche Besserstellung, realisiert. 1927 wurde keine einzige Frau mehr an aussichtsreicher Stelle für die Nationalratswahlen aufgestellt, sodass es schließlich zur Gründung einer eigenen Österreichischen Frauenpartei (ÖFP) im Dezember 1929 mit Marianne Hainisch, damals bereits neunzigjährig, als Präsidentin, kam.[4] Bei den Nationalratswahlen 1930 kandidierte die Frauenpartei nicht eigenständig, sondern unterstützte die Wahlformation "Nationaler Wirtschaftsblock und Landbund" unter dem Polizeipräsidenten Schober. Ein Parlamentssitz des „Schoberblocks“ ging an eine Frau, die Großdeutsche Maria Schneider. Damit ging eine enge Zusammenarbeit mit PolitikerInnen, die – wie Maria Schneider – offen antisemitisch waren, einher und eine zunehmende Distanzierung zu demokratisch gesinnten Frauen. In Innsbruck kandidierte die ÖFP 1931 einmalig bei den Gemeinderatswahlen, wobei sie kein Mandat erreichte. Im Juli 1933 erklärte die ÖFP den geschlossenen Beitritt zur Vaterländischen Front und 1934 wurde sie als Partei wieder aufgelöst.

Abb. 5: Der Parteitag der Österreichischen Frauenpartei, in: Das Wort der Frau, 12. Juni 1932, Nr. 24, S. 1

In den 1920er-Jahren wurde in verschiedenen Zeitschriften u.a. Die Österreicherin debattiert, ob die Frauenbewegung in einer „Krise“[5], stecke oder gescheitert sei. Andere Stimmen konstatierten, die Krisenhaftigkeit der Frauenbewegung mache eine Neubestimmung notwendig. Wohin die Wende gehen sollte, darüber gab es widersprüchliche Ansichten.[6] Die legistische Ausschließung von Frauen auf Grund ihres Geschlechts – die bestehende Differenzen zwischen den Frauenaktivistinnen in ideologischer, religiöser, ethnischer und sozialer Hinsicht teilweise bis dahin überdeckt hatte –  fand 1918 ein Ende. In der Ersten Republik traten die Differenzierungen, welche Anliegen und Politiken die verschiedenen Frauenorganisationen verfolgten, zunehmend hervor. Und auch ‚völkische‘ und nationale Frauen(organisationen) beanspruchten im Laufe der Ersten Republik zunehmend die Nachfolge der ‚Frauenbewegung’.

Die Einführung des Frauenwahlrechts vor hundert Jahren war zentral für die politische Partizipation von Frauen und machte diese zu Staatsbürgerinnen der neuen Republik. Die politische Gleichberechtigung spiegelt sich jedoch bis heute nicht in der politischen Vertretung wider. In der Zwischenkriegszeit veränderten sich die politischen Ausrichtungen der Frauenbewegung teilweise. Bürgerlich-liberale Frauen gingen Verbindungen zu Deutschnationalen und zum autoritären Regime der Vaterländischen Front ein und beteiligten sich damit auch „an der Entdemokratisierung Österreichs“, wie Birgitta Bader-Zaar meinte.[7] Ein Teil der Frauen – Sozialdemokratinnen und Christlichsoziale – bewegte sich in die Parteien und verfolgte von dort aus frauenpolitischen Ziele. Insofern kann festgehalten werden, Frauenbewegung(en) existierten weiterhin, waren aber nach der Implementierung des Frauenwahlrechts und dem Verlust eines – wenn auch nur kurzfristig – einigenden Zieles gegen Ende der 1920er-Jahre wieder stark aufgesplittert.

Alle diese Veränderungen standen auch im Kontext von Wirtschaftskrise, Polarisierung der politischen Lager und Abbau demokratischer Rechte, welche ihren Schlusspunkt 1933/34 in der Umwandlung in ein autoritäres Regime und dem Ende der Ersten Republik fanden.

Siehe dazu auch:
Teil 1: Heraus das Frauenwahlrecht. Frauenstimmrechtsbewegung im österreichischen Teil der Habsburgermonarchie

Teil 3: Frauen als Wählerinnen und Politikerinnen in Österreich 1918/1919

Über die Autorin: Mag. Lydia Jammernegg ist Historikerin und wissenschaftliche Bibliothekarin in der Ariadne – frauen/genderspezifische Information und Dokumentation an der Österreichischen Nationalbibliothek. 

[1] Diese Aussage ist auch im Kontext der immensen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs zu betrachten. Hainisch, Marianne: An unsere Leser! in: Der Bund, Dezember 1918, H. 10, S. 2.

[2] Vgl. Die Revolution befreit die Frauen, in: Arbeiterinnen-Zeitung, Jg. 27, 19. November 1918, Nr. 23 S. 2; Melzer, Franziska: Das Wahlrecht, in: Arbeiterinnen-Zeitung, Jg. 27, 3. Dezember 1918, Nr. 24 S. 2–3.

[3] Vgl. E. v. P.: Wahlrecht und Wahlpflicht, in: Der Bund, Dezember 1918, H. 10, S. 7–8.

[4] Schon seit dem Beginn der 1920erJahre gab es Debatten zur Notwendigkeit einer Frauenpartei in der Tagespresse. Vgl. Urban, Gisela: Brauchen wir eine Frauenpartei? in: Neues Wiener Abendblatt (Abendausgabe des Neuen Wiener Tagblattes), 17. Februar 1923, Nr. 45, S. 5.

[5] Vgl. u.a. J. W.: Krise der Frauenbewegung, in: Reichspost, Jg. 35, 6. Jänner 1928, Nr. 6, S. 1–2; Krise der Frauenbewegung, in: Innsbrucker Nachrichten, Jg. 75, 14. Jänner 1928, Nr. 11, S. 4–5; Fürth, Ernestine: Krise der Frauenbewegung, in: Die Österreicherin, Jg. 1, 1. Februar 1928, Nr. 2, S. 6.

[6] Vgl. u.a. Fürth, Ernestine: Der Sinn der Frauenbewegung, in: Die Österreicherin, Jg. 1, Nr. 6, S. 1–2; Rudel-Zeynek, Olga: Weg und Ziel der Frauenberufsbewegung, in: Die Österreicherin, Jg. 2, 1. April 1929, Nr. 4, S. 10; Hoheisel, Marie: Neue Aufgaben der Frauenbewegung, in: Neue Freie Presse, 24. Februar 1935, Nr. 25307, S. 3.

[7] Bader-Zaar 2015: 112.

Literatur:

Bader-Zaar, Birgitta (2015): Die politische Partizipation der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung in Österreich 1918–1934, in: Frauen – Politik – Transformation. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, Jg. 26, Nr. 2, S. 93–117.

Hauch, Gabriella (1995): Vom Frauenstandpunkt aus. Frauen im Parlament 1919-1933, Wien: Verlag für Gesellschaftskritik.

Pint, Jutta (1988): Die Österreichische Frauenpartei 1929–1934. Ein Versuch bürgerlich-liberaler Frauen gesellschaftspolitischen Einfluß zu nehmen, Wien: unveröff. Univ., Dipl.-Arb.

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