AutorInnen: Anna Haberl, Daniela Köck
Abb. 1: » Glasperlenkettenerzeugung in Heimarbeit, 1952
Auf unserer historischen Spurensuche begegnen uns verschiedene Begrifflichkeiten, die es gilt auseinanderzuhalten:
„Homeoffice“ (engl. für: „Heimbüro“) gilt als eine Form der Telearbeit. Die Telearbeit wiederum wurde als dezentrale Arbeitsform schon in den 1970er-Jahren durch Jack M. Nilles und JALA, eine internationale Consultinggruppe in Kalifornien, bekannt. Wesentlich ist bei der Telearbeit, dass die Arbeit überwiegend in der eigenen Wohnung oder an einem anderen Ort unter Nutzung der modernen Kommunikationstechnologien stattfindet. (Vgl. » Auszug aus Munzinger Online/Duden; Anm.: für die Online-Einsicht in viele Lexika benötigen Sie eine gültige Jahreskarte)
Abb. 2: Stickerin holt sich Material für Heimarbeit, 1951
Eine frühe Form des Homeoffice und der Telearbeit, wenn auch unter gänzlich anderer Motivation und anderen Rahmenbedingungen, ist die Heimarbeit.
Heimarbeit bezeichnet eine „erwerbsorientierte Arbeit, die in der eigenen Wohnung oder in einer selbst gewählten Betriebsstätte im Auftrag eines Gewerbetreibenden allein oder mit Familienmitgliedern geleistet wird.“ (» Brockhaus Enzyklopädie Online)
Historisch betrachtet betraf die Heimarbeit vor allem Berufe, in denen Produkte hergestellt wurden. Zu den typischen Tätigkeiten, die in Heimarbeit verrichtet wurden, zählten die Erzeugung bzw. (Weiter-)Verarbeitung von Kleidung, Schmuck und Spielzeug, aber auch Papier-, Leder- und Metallwaren wurden häufig im eigenen Heim hergestellt.
Abb. 3: » Illustrierte Kronen Zeitung, 9. Oktober 1927
Wie die oben abgebildete Stellenausschreibung aus dem Jahr 1927 impliziert, war Heimarbeit traditionellerweise hauptsächlich Frauenarbeit. Zwar wurden in Untersuchungen bestimmte Berufszweige aufgezeigt, in denen mehr Männer tätig waren – u.a. bei der Herstellung von Herrenbekleidung und Schuhen (vgl. » Leichter, Käthe: Wie leben die Wiener Heimarbeiter?, S. 9f.) – der Großteil der als Heimarbeit vergebenen Tätigkeiten wurde jedoch von Frauen übernommen.
Eine Frage der Organisation
Die meist sozial prekäre Beschäftigungsform Heimarbeit sah sich stets heftiger Kritik ausgesetzt, immer wieder wurde ihre Abschaffung gefordert. Als Hauptproblem stand dabei die Unkontrollierbarkeit der Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt: die scheinbar willkürlich gewählten – und vor allem extrem niedrigen – Löhne, die unregelmäßigen Arbeitszeiten sowie die hygienischen Gegebenheiten am Arbeitsort lagen außerhalb jeglicher Überprüfbarkeit:
Abb. 4: » Arbeiterinnenzeitung, 6. November 1902
Eine bessere Vernetzung der in Heimarbeit beschäftigten Personen erschien außerdem nur schwer möglich: im Gegensatz zu den täglich zur gemeinsamen Arbeit zusammenkommenden FabriksarbeiterInnen gingen die HeimarbeiterInnen ihrer Beschäftigung in den eigenen vier Wänden relativ isoliert nach; die einzelnen Personen waren schwierig zu erreichen, über Löhne und Arbeitsbedingungen fand kaum Austausch statt. Immer wieder wurden Versuche unternommen, die HeimarbeiterInnen zu versammeln und zu organisieren; so rief beispielsweise das » Vereinsblatt – Organ des Vereins der Heim- und Hausarbeiterinnen seine Leserinnen dazu auf, der Organisation beizutreten, um gemeinsam eine Verbesserung der Zustände zu erreichen.
Abb. 5: » Vereinsblatt, 15. Dezember 1916
Zahlreiche Akteurinnen der Arbeiterinnen-Frauenbewegung, darunter » Käthe Leichter, » Martha Tausk, » Wilhelmine Moik, » Maria Leopoldine Klausberger und » Marianne Hainisch, machten auf die prekären Verhältnisse aufmerksam und verlangten eine Verbesserung der ökonomischen sowie arbeitsrechtlichen Situation der Heimarbeiterinnen.
So forderte beispielsweise » Camilla Theimer auf dem Allgemeinen Österreichischen Katholischen Frauentag 1910, „dass[ß] die in der Heimarbeit herrschenden, jeder Gesittung hohnsprechenden Zustände endlich beseitigt werden.“ (Vgl. » Theimer, Camilla: Bericht über den I. allgemeinen österreichischen katholischen Frauentag 1910, S. 74)
Dass die Thematik der Heimarbeit eng verknüpft ist mit der Frage der Frauenarbeit, zeigen zahlreiche Beiträge der Akteurinnen der Arbeiterinnen- und Frauenbewegung, die man auf der Plattform » Frauen in Bewegung 1848 – 1938, dem frauen- und genderspezifischen Wissensportal der Österreichischen Nationalbibliothek, einsehen kann. So schrieb unter anderem Wilhelmine Moik in ihrem Beitrag, dass Frauenarbeit zumeist schlecht entlohnt und angelernte Arbeit sei. (Vgl. » Moik, Wilhelmine: Soll die Frau Heimarbeiterin werden?)
Abb. 6: Beitrag von Wilhelmine Moik und Käthe Leichter in der » Arbeiter Zeitung, 16. März 1931
Ein wesentlicher Grund für die ungeregelten Verhältnisse in der Heimarbeit lag darin, dass lange Zeit keine gesetzliche Grundlage vorhanden war, die die Arbeitsbedingungen in der Heimarbeit regelte. Verschiedene arbeitsrechtliche Aspekte der Heimarbeit, wie beispielsweise die häufig fehlende Krankenversicherung der ArbeiterInnen, waren ständig präsenter Diskussionsgegenstand (vgl. u.a. » Vereinsblatt, 15. September 1916, S. 1f.).
Besondere Schwierigkeiten bereiteten die extrem niedrigen Löhne in der Heimarbeit, wie zahlreiche Fallbeispiele darlegen. Aus Angst vor Arbeitslosigkeit wurden jedoch auch diese äußerst geringen Löhne, von denen auch noch Licht, Heizung und teilweise Arbeitsmaterialien und Werkzeug gezahlt werden mussten, akzeptiert.
Neben ArbeiterInnen, für die die Heimarbeit den Hauptberuf darstellte, gab es auch zahlreiche Personen, die Heimarbeiten als Nebenverdienst übernahmen und nicht ausschließlich auf diese Einnahmequelle angewiesen waren. Dadurch wurden die Löhne jedoch auch für jene ArbeiterInnen, die die Heimarbeit als Existenzgrundlage benötigten, gedrückt.
Abb. 7: » Vereinsblatt, 15. Jänner 1917
Mit dem ersten Heimarbeitergesetz wurden 1918 zwar wesentliche arbeitsrechtliche Aspekte, darunter auch die Definition der Mindestlöhne, festgelegt, die Einhaltung dieser Vorgaben war jedoch nach wie vor wenig kontrollierbar.
Abb. 8: » Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich (27. Dezember 1918). Gesetz vom 19. Dezember 1918 über die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit
Abb. 9: » Wiener Zeitung, 15. März 1918
Die Wohnung als Werkstätte
Auf den ersten Blick mag die Vorstellung der Berufsausübung im eigenen Zuhause vielleicht eine gewisse Flexibilität versprechen, tatsächlich ist es aber genau jene „Freiheit“, die die Heimarbeit so ausufern lassen kann und damit jeder Kontrolle entzieht. Denn in den eigenen vier Wänden konnte tatsächlich rund um die Uhr gearbeitet werden.
Aufgrund der schlechten Bezahlung waren HeimarbeiterInnen gezwungen, schnell und vor allem sehr lange zu arbeiten (häufig bis in die Nacht). Das Abholen des Arbeitsmaterials sowie das Liefern der fertigen Ware bedeutete den Verlust von Arbeitszeit und verursachte häufig noch zusätzliche Kosten für den Transport. Neben der Heimarbeit musste auch der Haushalt geführt, die Kinder und ggf. pflegebedürftige Angehörige betreut oder – auf dem Land – bei landwirtschaftlichen Arbeiten unterstützt werden.
Abb. 10: » Zur Heimarbeit werden Stofftiere aus der Fabrik von Steiff nach Hause transportiert
In den kleinen Wohnungen der HeimarbeiterInnen diente meist ein Zimmer als Arbeits-, Schlaf- und Wohnraum zugleich, dementsprechend befanden sich oft mehrere Personen auf engem Raum. In diesen Wohnungen wurde häufig unter gesundheitsschädlichen Bedingungen gearbeitet (und gegessen, geschlafen, …), die Arbeit mit bestimmten Materialien verursachte Gerüche und Schmutz.
Heimarbeit war oft, vor allem in ländlichen Regionen, dadurch gekennzeichnet, dass sie die ganze Familie beschäftigte, so dass teilweise Generationen, von den Kindern bis zu deren Großeltern, mitarbeiteten. Dies führte nicht selten dazu, dass die Kinder ihre Ausbildung vernachlässigen mussten und für sie somit kaum Hoffnung auf eine bessere berufliche Zukunft bestand:
Abb. 11: » Neue Freie Presse, 21. September 1901
Heimarbeit versus Homeoffice
Lange Zeit war die Heimarbeit durch prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse gekennzeichnet. Maßgeblich für die Verbesserung der Situation der HeimarbeiterInnen waren die Errungenschaften der Sozialpartnerschaft und der ArbeiterInnenbewegung. Ausgehend davon entwickelte sich für das 21. Jahrhundert das neue Arbeitsmodell „Homeoffice“.
Auch wir haben die Vor- und Nachteile des Homeoffice durch mehrere Wochen hindurch kennengelernt. Nun sind wir alle wieder glücklich zurück in unseren Büros und schließen mit dieser Recherche die Serie der Blogs zum Themenkreis „Corona“ ab – um Sie an dieser Stelle weiterhin laufend mit spannenden, meist jubiläumsaktuellen Stories und Recherchen aus unseren vielfältigen Beständen zu versorgen!
Zum Nachlesen, unsere „Corona-Blogs“:
» Lieber Herrgott, schenke mir eine Rolle Klopapier!
» Konservenkult und Gurkengefahr
» #WIR BLEIBEN ZUHAUSE – Postkarte genügt!
» Sie meinen, gute Nachrichten sind rar? Wir haben sie für Sie gefunden!
Weiterführende Literatur zum Thema:
» Krammer, Hermann: Die Heimarbeit in Österreich. Innsbruck: Univ. Diss. 1958.
Zum Thema digital:
Über die AutorInnen: Anna Haberl, BA und Mag. Daniela Köck sind MitarbeiterInnen der Abteilung Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement in der Hauptabteilung Benützung und Information.
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