Kronprinz Ferdinand besaß wie sein Vater Kaiser Franz I. eine eigene Kunstsammlung, die in seinen Privatgemächern untergebracht war. Sie bestand aus Landschaftsdarstellungen, historischen Ansichten, Porträts und Genreszenen herausragender österreichischer Künstler. Um 1833 beauftragte er den Maler Jakob Alt mit der Anfertigung von Landschaftsaquarellen für einen Guckkasten. Der Großteil der Aquarelle gelangte 1921 in die grafische Sammlung der Albertina. 24 Blätter werden in der Fideikommissbibliothek der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt.
Autorin: Maria Luise Sternath-Schuppanz
Es waren die maßgebenden Aquarellisten seiner Zeit, die Erzherzog Ferdinand (ab 1835 Kaiser Ferdinand I. von Österreich) beauftragte, ein „Bilderbuch“ der schönsten Gegenden und wichtigsten Plätze der österreichischen Monarchie und der angrenzenden Länder zu liefern. Die ersten Aufträge ergingen vermutlich 1830 an Eduard Gurk (1801–1841) und gleich danach auch an Jakob Alt (1789–1872), der für diese Serie besonders eng mit seinem Sohn Rudolf (1812–1905) zusammenarbeitete. Später kam noch der Historienmaler Leander Russ (1809–1864) hinzu. Die letzten Aquarelle entstanden 1849, ein Jahr nach der Abdankung Ferdinands im Revolutionsjahr 1848. Von den über 300 großformatigen Werken verwahrt die Albertina 227. Weitere 24 befinden sich im Bildarchiv und der Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, 40 auf Schloss Konopiště circa 40 km südlich von Prag. Inhaltlich ist eine große Bandbreite gegeben: Zu sehen sind bedeutende Monumente und Plätze, Gesamtansichten von Städten, landschaftliche Schönheiten, aber auch Schilderungen des urbanen und ländlichen Lebens. Ereignisse wie Prozessionen oder ein Kaiserbesuch sind in ein friedvolles Ambiente eingebettet, wobei die Szenerie fast immer von einem ruhigen und gleichmäßigen Sonnenlicht beleuchtet wird (Jakob Alt, Ansicht von Perchtoldsdorf, 1838, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Pk 3.037,1). Zeitgenössische Geschehnisse, etwa das Wiener Hochwasser von 1830 (Eduard Gurk, Albertina, Inv. 22610), stehen am Anfang der Serie, vorweltliche Fantasielandschaften (Leander Russ, 1842, Albertina, Inv. 22764) gehören zu den späten Arbeiten.
Die Erwähnung eines Guckkastens, in dem die großformatigen Werke laut Rudolf von Alts Biografen Ludwig Hevesi betrachtet werden konnten, ließ sie als „Guckkastenblätter“ in die Literatur eingehen. Neuere Forschungen haben ergeben, dass für die in Wien verwahrten Aquarelle – im Gegensatz zu jenen in Konopiště – wohl keine Betrachtung in einem mit Kerzenlicht beleuchteten „optischen Apparat“ angenommen werden kann: Zu perfekt sind ihr Erhaltungszustand und die Leuchtkraft der Farben.
Obwohl von unterschiedlichen Künstlern geschaffen, zeigen die Guckkastenblätter ein relativ einheitliches Erscheinungsbild. Sie sind vollflächig bildhaft ausgeführt. In den Rechnungsbüchern des Hofes ist dann auch von der Bezahlung von „Aquarell-Gemälden“ die Rede. Umso überraschender ist daher die Technik, die die Künstler angewandt haben. Es handelt sich in der Regel um das „reine“ Aquarell mit großflächigen transparenten Partien und mit sorgfältig und fein mit Pinsel eingezeichneten Details. Nur selten wurde zur stärkeren Akzentuierung Deckfarbe eingesetzt (Jakob Alt, Panoramaansicht von Venedig, um 1835, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Pk 502,23).
Eduard Gurk arbeitete am Beginn seiner Karriere gemeinsam mit seinem Vater Joseph Ignaz Gurk an umfangreichen Ansichtenreihen. Über Vermittlung des Hof- und Kammermalers Johann Baptist Hoechle und dessen Sohn Johann Nepomuk erhielt er Zugang zu den allerhöchsten Kreisen und wurde in der Folge zum Reisebegleiter und Chronisten des Kronprinzen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Aquarelle, die Eduard Gurk für die Guckkastenserie geschaffen hat, im Zusammenhang mit zeitgenössischen Ereignissen stehen, bei denen Mitglieder des Kaiserhauses zugegen waren. Andere präsentieren Orte und Gegenden, die von diesen besonders gerne aufgesucht wurden. Der Hauptplatz der Kurstadt Baden mit dem Ferdinandsbrunnen und dem von Kaiser Franz erworbenen „Kaiserhaus“ (1833, Albertina, Inv. 22617) wird daher ebenso bedeutsam ins Bild gerückt, wie der vom Kaiser veranlasste Durchbruch durch den Urtelstein, der noch dazu den Blick auf die von Erzherzog Carl erbaute Weilburg freigibt (1833, Albertina, Inv. 22608). Schloss Laxenburg bei Wien war seit Kaiserin Maria Theresia eine bevorzugte Sommerresidenz der Habsburger (um 1838, Albertina, Inv. 22623). Eduard Gurk zeigt die von Kaiser Franz konzipierte und im Jahr 1802 fertiggestellte Franzensburg, ein bedeutendes Bauwerk der romantischen Gotik in Österreich. Mariazell von der Bürgeralpe (um 1833, Albertina, Inv. 22630) gehört zu einer Gruppe von Aquarellen, die an die Wallfahrt erinnern sollen, die der Kronprinz im Jahr 1833 zum Gnadenbild der Magna Mater Austriae unternahm. Als Vorlagen für diese Guckkastenblätter dienten einige ausgewählte Werke aus der 40 Blätter umfassenden Serie von Aquarellen mit dem Titel Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell in Steyermark, die Eduard Gurk ebenfalls im Auftrag des Thronfolgers angefertigt hatte.
Zu den Krönungsreisen Kaiser Ferdinands I. nach Prag und Mailand finden sich in der Guckkastenserie nur drei Darstellungen der Krönung zum König von Böhmen 1836. Erst seit Kurzem kennen wir zu diesem Themenkreis allerdings weitere elf großformatige Aquarelle, die 2012 von der Südtiroler Landesregierung aus Privatbesitz angekauft wurden. Die Vorführung der feierlichen Zeremonie im Veitsdom reiht sich in die Tradition maria-theresianischer Krönungsbilder ein (um 1838, Albertina, Inv. 22643). Im Kontrast dazu steht die Ansicht des Hradschiner Platzes (um 1838, Albertina, Inv. 22644), die auch einen Blick in den im vollen Licht liegenden ersten Burghof eröffnet. Mit dieser Darstellung des Hradschin hat Eduard Gurk die lange Geschichte der Vedutenmalerei zu einem Höhepunkt geführt.
Jakob und Rudolf von Alt schufen in quantitativer und – trotz der großartigen Leistungen von Eduard Gurk – wohl auch in qualitativer Hinsicht den wichtigsten Beitrag zur Guckkastenserie. Während der Großteil der Motive bei Eduard Gurk sich aus der Nähe des Künstlers zum Auftraggeber ableiten lässt, verhält sich dies bei den Alts beinahe umgekehrt. Ihre Sujets sind unabhängig von den Ereignissen aus dem Leben des Kronprinzen und späteren Kaisers und spiegeln in der Regel die Reisetätigkeit der beiden Künstler wider.
Jakob Alt und Rudolf von Alt schufen für die Guckkastenserie in 15 Jahren insgesamt 170 Werke. Diese Aufträge bildeten für die Malerfamilie Alt eine gesicherte Lebensgrundlage. Die Motive für die in „Teamwork“ gefertigten Blätter lieferten Aquarellstudien, die Vater und Sohn Alt auf ihren zahlreichen Reisen für ihr „Portfolio“ aufgenommen hatten. Diese dienten als Vorlagen für später ausgeführte Gemälde und sorgfältig ausgearbeitete Aquarelle. Die Guckkastenblätter der Alts zeigen einen bildhaften, malerisch geschlossenen Charakter (Rudolf von Alt, Tivoli, 1836, Albertina, Inv. 22562a). Die Pinselführung ist meist gleichmäßig und ausgewogen. In jedem einzelnen Blatt ist das Zusammenspiel von Farbe und Licht (Rudolf von Alt, Der Dachstein im Salzkammergut, 1840, Albertina, Inv. 22584), von Natur und Architektur (Rudolf von Alt, Der Domplatz in Cattaro, 1841, Albertina, Inv. 22570) gegeben. Reiht man die Guckkastenblätter aneinander, entsteht ein Panorama pittoresker Plätze und Landschaften, wobei jedes einzelne Werk einen individuellen Stimmungscharakter vermittelt. Gerade bei den Aquarellen für den Guckkasten des Kaisers ist die Zuschreibung an Vater oder Sohn Alt oft schwierig. Ein Protokoll von 1892, in dem Rudolf von Alt die Autorschaft bei vielen mit „J. Alt“ signierten Werken für sich reklamiert, hat eine fundiertere Zuschreibung ermöglicht. Erstellt wurde das Protokoll in der kaiserlichen Familien-Fideikommisbibliothek in der Hofburg, heute Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
Bei vielen dieser Arbeiten wird auch evident, dass Rudolf in den vollendeten Werken, wie auch schon in den Vorstudien (Rudolf von Alt, Der Dachstein im Salzkammergut, Albertina, DL 211) zu deutlich lebendigeren Lösungen gefunden hat. Für Rudolf von Alt war die Mitarbeit an der Guckkastenserie ein wichtiger Schritt in die Selbstständigkeit. Für seinen Vater Jakob hingegen markierte der Beitrag an dieser Unternehmung den Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere. Der Blick aus dem Atelier des Künstlers (1836, Albertina, Inv. 28336) ist wohl sein bedeutendstes und bekanntestes Werk. Motivisch stellt dieses Aquarell als Verbindung von Atelier- und Fensterbild eine bemerkenswerte Ausnahme im „Bilderbuch“ für den Kaiser dar.
Leander Russ kam als letzter in den Kreis der für den Guckkasten des Kaisers arbeitenden Künstler. Er enstammte einer Wiener Künstlerdynastie. Sein Großvater war Porzellanmaler an der Wiener Porzellanmanufaktur, sein Vater Karl war Historienmaler und Kammermaler von Erzherzog Johann und ab 1821 Erster Kustos der kaiserlichen Gemäldegalerie im Belvedere. Die Nähe zum Kaiserhaus war also von Jugend an gegeben.
Über die Autorin: Dr. Maria Luise Sternath-Schuppanz, Chefkuratorin der Albertina, i.R
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