Naturdarstellungen des Osmanischen Reichs in Reiseberichten zwischen 1501 und 1850

Forschung

30.09.2024
Bestände, Bilder und Grafiken
Bild einer Landschaft mit Menschen die auf Pferden sitzen.

Autor: Jacopo M. A. Jandl

Vielfältige Naturdarstellungen des Osmanischen Reichs

Sey wie die Palmen fruchtbar, oder sey
Wenigst wie Cypressen hoch und frey

Mit diesem Zitat von Saadi (13. Jhd.)1 erläutert Joseph von Hammer-Purgstall den Leser*innen die Bedeutung von zwei Bäumen, die häufig in Istanbul zu sehen waren und er am schönsten fand: die Zypresse, „der Baum der Freiheit”, und die Palme, „der Baum des Glücks und des Segens, in den Morgenländern“.2 3 Im Buch „Constantinopolis und der Bosporos, örtlich und geschichtlich beschrieben“ (Pesth, 1822) skizziert der österreichische Orientalist und erste Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Konstantinopel und seine Umgebung während einer seiner Forschungsreisen. Am Anfang des dritten Hauptstückes „Naturerzeugnisse“ im selben Buch hebt Hammer-Purgstall hervor: „Alle drey Reiche der Natur haben in der Umgebung Constantinopels ihr Füllhorn auf diese Hochgesegnete und beglückte Stadt geleeret; Land und Meer wetteifern in dem Bestreben, mit ihrem Reichthume den Lebensgenuss der Bewohner zu erhöhen“.4

Die von vielen Seiten gerühmte Üppigkeit und Vielfalt der Natur des Osmanischen Reichs zog zahllose Händler, Reisende und Forschende aus Europa und darüber hinaus an. In Reiseberichten des 16. Jahrhunderts sind teilweise sogar fantastische Wesen zu finden. Ludovico de Varthema, ein Ritter aus Bologna, der zwischen dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert von Venedig aus in den Orient reiste, beschrieb etwa in einen Käfig eingesperrte Einhörner, die er mit eigenen Augen gesehen habe, während er die Stadt Mekka besuchte.5 Die Sichtung war wohl nicht frei erfunden, es handelte sich vermutlich aber um Gazellen, die ein Horn verloren hatten.6  

Abb. 1: Einhörner, Z186388101, Bild 45.

Andere prächtige Tierbeschreibungen und -zeichnungen sind in den Reiseberichten von Pierre Belon, einem französischen Naturforscher, der mit einer französischen Gesandtschaft in die Levante reiste, zu finden. Neben zahlreichen Pflanzen und Tieren aus Ägypten und Arabien enthält „Portraits d’oyseaux, animaux, serpens, herbes, arbres, hommes et femmes d’Arabie et d’Égypte“ auch fantastische Wesen, wie einen Phönix oder eine „beflügelte Schlange“.7

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Abb. 2: Phönix, Z197995700, Bild 73.
Abb. 3: Beflügelte Schlange, Z197995700, Bild 243.

Derartige Darstellungen fantastischer Wesen blieben aber eher Ausnahmen. Vorwiegend wurden in Reiseberichten reale Tiere und Pflanzen beschrieben. Wenn wir heute einen Kaffee trinken, könnten wir etwa an Prospero Alpino denken. Der venezianische Botaniker begleitete Ende des 16. Jahrhunderts ein Diplomaten-Corps nach Ägypten, um die nordafrikanische Flora zu untersuchen. Er beschrieb und lobte unter anderem die heilende Wirkung eines ägyptischen Getränkes, das als „chaova“ bekannt sei8, und brachte die Kaffeepflanze nach Venedig. Bald darauf verbreitete sich der Kaffeekonsum in ganz Europa.9 Alpino war aber keineswegs der erste Europäer, der von Kaffee berichtete: der Augsburger Leonard Rauwolf beschrieb ihn bereits Mitte des 16. Jahrhunderts als: „[…] ein güt getränck, welliches sie hoch halten, Chaube von jnen genen[n]t […]“.10 

Abb. 4: Kaffeebaum, Z197995700, Bild 66.

Nicht nur Männer verfassten Reiseberichte. Berühmt sind etwa die Briefe von Lady Mary Wortley Montagu, Frau eines britischen Diplomaten an der Hohen Pforte in Istanbul.11 Im 18. Jahrhundert nutzte sie die Möglichkeit, in engen Kontakt mit der Istanbuler Gesellschaft zu treten. Auch die Weltreisende Ida Pfeiffer besuchte von Wien aus Palästina und Ägypten im 19. Jahrhundert.12 Bemerkenswert ist zudem die Geschichte von Maria Theresa Asmar, einer chaldäischen Christin aus einer wohlhabenden Bagdader Familie. Im frühen 19. Jahrhundert hatte sie in ihrer Heimatstadt eine Mädchenschule gegründet13, aufgrund der dortigen Christenverfolgungen musste sie jedoch das Land verlassen. Sie besuchte zunächst Mesopotamien, Arabien, Syrien und Palästina und fand schließlich Schutz im Libanon unter dem Emir Beschir.14 Dort beschrieb sie unter anderem den miserablen Zustand der ausgerodeten Zedernwälder: „[…] In about a quarter of an hour, we reached the Cedars, seven in number, all that now remain of those glorious forests which were once the pride of Lebanon. What a tumult of varied emotions filled my breast when I saw before my eyes these hoary giants of antiquity, and thought that their fellows were hewn down, perchance to furnish beams for the holy temple which Solomon built to the Most High. […] How many nations have these trees seen blotted out from the face of the earth? […]“.15 1832 verließ sie jedoch den Libanon16; nach Aufenthalten in Italien und Frankreich ließ sie sich schließlich 1841 in Großbritannien nieder.17

Abb. 5: Maria-Theresa Asmar, Z203964007, Bild 8.

Ebenfalls im Jahr 1840 staunte Cesare Vimercati, ein italienischer Seeoffizier der K.K. Marine im Dienst auf der Fregatte „La Guerriera“ während eines Einsatzes in der Levante über die Schönheit der Landschaft Akkons: „[…] Welche Empfindung erweckte in mir die Betrachtung jenes Lichtmeeres und der Hügelkette vor mir, mit dem üppigsten Grün und mit blendenweißen Flächen abwechsel[n]d, bald sanft niedersteigend, bald kühn zum Himmel emporragend! Aber ich fühle zu deutlich, wie ungenügend alle meine Anstrengungen sind, diese empfangenen Eindrücke wiederzugeben; ich kann nur noch versichern, daß hier in der Natur ein anderes Leben als in Europa herrscht […]“.18

„Ottoman Nature in Travelogues”

Diese und etwa 1500 weitere Reiseberichte werden derzeit im Zuge des vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanzierten19, interdisziplinären Projekts „Ottoman Nature in Travelogues: A Digital Analysis, 1501–1850“ ob ihrer Darstellungen von Natur untersucht.20 Neben der Österreichischen Nationalbibliothek sind an diesem Digital Humanities Projekt die Österreichische Akademie der Wissenschaften21 (Projektleitung) und das Austrian Institute of Technology (AIT) beteiligt. Im Rahmen des Projekts (2022–2025) wird ein mehrsprachiges Corpus aus Reiseberichten, die zwischen 1501 und 1850 veröffentlicht wurden und sich im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek befinden, erstellt, kuratiert und erforscht. Das Projektteam entwickelt zudem Algorithmen für die Bild- und Textanalyse.

Die oben zitierten Texte und Bilder sind im Corpus des Projekts zu finden. Die Metadaten zu den einzelnen Reiseberichten wurden kuratiert, direkt im Bibliothekssystem angereichert und sind im Katalog Quicksearch aufrufbar, indem man nach dem lokalen Marker „projectONiT*“ sucht. Mehr Details dazu finden Sie hier.22

Über den Autor: Herr Jacopo Maria Achille Jandl BA MA ist als Data Librarian im Projekt Ottoman Nature in Travelogues (ONiT) tätig.

Titelbild: Journal Of A Tour In The Levant, By Wiliam Turner vl 1, Z221012807

Fußnoten:

1 Aus Saadi: Rosengarten; siehe: Rosengarten des Scheikh Muslih-eddin Sa'di aus Schiras Berlin, 1864, Seite 291, http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ229258809.

2 Hammer-Purgstall, Joseph <<von>>: Constantinopolis und der Bosporos, örtlich und geschichtlich beschrieben; 1822, Seite 48, http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ175701002.

3 Morgenland ist ein historischer Begriff, der auch “Osten”, “Orient” bedeutet. Etymologisch bedeutet Morgenland ‘im Osten gelegenes Land, Orient’, zu Morgen ‘Osten’ gebildet (16. Jh.), zuerst bei Luther als Übersetzung von griech. anatolḗ (ἀνατολή) ‘Aufgang (der Sonne), Osten’; siehe: „Morgenland“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Morgenland>, abgerufen am 24.09.2024.

4 Ibidem, Seite 45, http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ175701002.

5 Ibidem, Blatt D 4 recto, https://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_+Z186388101 Bild 45.

6 Varthema, Lodovico de, and George Percy Badger. The Travels of Ludovico Di Varthema in Egypt, Syria, Arabia Deserta and Arabia Felix, in Persia, India, and Ethiopia, A. D. 1503 to 1508 Repr. of the Ed. London 1853., Inst. for the History of Arabic-Islamic Science, 1994. Seite 46 ff.

7 Belon, Pierre: Portraits D'Oyseavx, Animavx, Serpens, Herbes, Arbres, Hommes Et femmes, d'Arabie & Egypte, 1557, Blatt 24r und 109r, http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ197995700.

8 Prospero, Alpino: De medicina Aegyptorum, 1645, Blatt 122 verso f., digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces; De plantis Aegypti liber, 1592, Blatt 26 a-b, http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ170611801.

9 Britannica, The Editors of Encyclopaedia. "Prospero Alpini". Encyclopedia Britannica, 12 Feb. 2024, www.britannica.com/biography/Prospero-Alpini. Accessed 27 August 2024.

10 Rauwolf, Leonhard: Aigentliche Beschreibung der Raiss inn die Morgenländer, 1582,
Blatt N 3 verso, http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ156771000.

11 Wortley Montagu, Mary: Letters Of Lady Mary Wortley Montague, Written During Her Travels In Europe, Asia And Africa; To Which Are Added Poems By The Same Author, 1817, digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces.

12 Pfeiffer, Ida: Reise einer Wienerin in das Heilige Land, 1844, Band 1 +Z202736908, Band 2 +Z202736805.

13 Asmar, Maria Theresa: Memoirs of a Babylonian Princess, 1844, Band 1, Seite 148,  http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ203964007.

14viaf.org/viaf/288642090/, abgerufen am 24.09.2024.

15 Asmar, Maria Theresa: Memoirs of a Babylonian Princess, 1844, Band 2, Seite 42f., http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ20396410X.

16 Ibidem, Seite 246.

17 Ibidem, Seite 304 ff.

18 Vimercati, Cesare: Die kaiserlich-königlich österreichische Marine im Oriente, 1845, Seite 43, http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ223970007.

19 FWF: P 35245.

20https://onit.oeaw.ac.at/, abgerufen am 24.09.2024.

21https://www.oeaw.ac.at/ihb/home, abgerufen am 24.09.2024.

22 https://onit.oeaw.ac.at/?p=1261, abgerufen am 24.09.2024.

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