SEX SELLS: Erotische Fotografie um 1900

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20.05.2022
Geschichte in Geschichten
Frau posiert nackt wie eine griechische Göttin auf einem Sofa

Moral und Schamgefühl zur Zeit des Fin de Siècle und in der beginnenden Belle Époque standen in einem äußerst ambivalenten Verhältnis. Sexualität wurde zwar einerseits immer stärker thematisiert und wissenschaftlich untersucht, Nacktheit hatte andererseits aber in der Öffentlichkeit nichts zu suchen. Diese Ambivalenz erwies sich als idealer Nährboden für die zunehmende Verbreitung von erotischer Fotografie – wie die zahlreichen einschlägigen Bildquellen in den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek belegen.

Autor*innen: Martin Forster, Daniel Skina

Moral und Schamgefühl zur Zeit des Fin de Siècle und in der beginnenden Belle Époque standen in einem äußerst ambivalenten Verhältnis. Die Gesetzgebung pflegte noch einen sehr strengen Umgang mit den Themen der Sittlichkeit – das Lebensgefühl der Dekadenz aber, dass durch die großen technischen und politischen Umbrüche aufkam, durchsetzte bereits große Schichten der Gesellschaft. Die Sexualität wurde zwar einerseits immer stärker thematisiert und wissenschaftlich untersucht, Nacktheit hatte andererseits aber in der Öffentlichkeit nichts zu suchen und war mit einem Verlust von Ansehen belegt. Diese Ambivalenz erwies sich als idealer Nährboden für die zunehmende Verbreitung von erotischer Fotografie – wie die zahlreichen einschlägigen Bildquellen in den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek belegen.

Schaulust und Technik

Nun ist die Darstellung nackter Menschen auch zu jener Zeit nichts Neues, ganz im Gegenteil: es gibt in der europäischen Kunst eine lange Tradition des „Aktstudiums“. Das um die Jahrhundertwende noch relativ neue Medium Fotografie eröffnete jedoch gänzlich neue Möglichkeiten der realistischen Abbildung – und die technische Vervielfältigung sorgte für schnellere Verbreitung der Bilder.

Die Fotografie gilt als eine der größten Errungenschaften des 19. Jahrhunderts – und launig ausgedrückt könnte man sagen: der Beginn der Fotografie war auch der Beginn der erotischen Fotografie.

Kunst und Kommerz

Zunächst orientierten sich die frühen erotischen Fotografien – sogenannte „Akademien“ – oft noch an den Kompositionen der Malerei und waren klassische Studiofotos. Zumindest offiziell sollten sie bildenden Künstler*innen zu Studienzwecken dienen.

Viele der fotografischen Pioniere waren auch selbst Maler, und bis etwa 1870 findet man daher hauptsächlich solche künstlerischen Akt-Fotografien. Aber auch neue Sujets waren nun gefragt: unter anderem bedingt durch das Aufkommen der Freikörperkultur, welche die „Akademien“ in die freie Natur übertrug.

Es dauerte nicht lange, bis der künstlerische Aspekt der Aktfotografie vom Kommerziellen eingeholt wurde. Aufgrund der Gesetzeslage durften die Bilder aber nur unter dem Ladentisch verkauft werden – sofern überhaupt ein Ladentisch im Spiel war: nicht selten waren die fotografierten Modelle Prostituierte, die die Bilder selbst auch als Andenken an das Schäferstündchen an ihre Freier verkauften.

Anonymität und Kunstfaktor als Schutz vor Verfolgung

Die Gesetzeslage zu dieser Zeit war aber noch recht unnachgiebig und so blieben Modelle und Hersteller der Bilder im Schutze der Großstadt zumeist anonym. Strafbar machte sich demnach,

„(w)er durch bildliche Darstellungen oder durch unzüchtige Handlungen die Sittlichkeit oder Schamhaftigkeit gröblich und auf eine öffentliches Ärgernis erregende Art verletzt(e)“ (§ 516)

Diese Straftat wurde mit strengem Arrest bis zu sechs Monaten, bei Druckschriften sogar bis zu einem Jahr, bestraft. Diese Bestimmungen richteten sich explizit gegen die sogenannten „Bildelkrämer“, also jene Personen, die einschlägige Illustrationen oder unsittliche Druckschriften verbreiteten.

Man findet demnach auf den Abzügen in der Regel keine Atelierstempel oder andere Hinweise auf den Ursprung der Bilder.

Otto Schmidt und der Wiener Akt

Eine Ausnahme stellen die Fotos von Otto Schmidt dar, der seit den 1870er Jahren im sechsten Wiener Gemeindebezirk ein Fotostudio betrieb. Schmidt war eigentlich ein ausgebildeter Maler, erlangte jedoch als Fotograf mit seinem Fotoband zu den „Wiener Typen“ Bekanntheit, den er anlässlich der Weltausstellung in Wien publizierte.

Später widmete sich Schmidt der Aktfotografie, um die oft beschriebene – z.B. in Schnitzler’s „Liebelei“ – Schönheit und vermeintliche sexuelle Willigkeit des prototypischen „süßen Wiener Mädel’s“ mit seiner Kamera einzufangen. Seine Akte genossen bald internationalen Ruhm. Deren weite Verbreitung ist auch dem „Carte-de-visite“-Format zu verdanken, das die Fotografien erschwinglich und leicht verstaubar machte und sich somit gerade für Aktfotos vorzüglich eignete.

Stereoskopie: frühes 3D (auch) für nackte Körper

Eine technische Besonderheit stellt die Stereoskopie da, deren Hochphase von ca. 1850 bis 1920 andauerte. Die Doppelbilder wurden dabei durch eine eigene Apparatur – das Stereoskop – betrachtet und waren für ihre besonders realitätsnahe und plastische Optik geschätzt.

Die Stereoskopie entwickelte sich zum weit verbreiteten Format und vor allem in Amerika produzierten viele Fotografen die beliebten Doppelbilder mit vielfältigen Sujets – selbstverständlich auch Nacktdarstellungen.

Im Übrigen ist die hier im Blogbeitrag verwendete männliche Form für die „Fotografen“ kein Irrtum oder der Flüchtigkeit geschuldet: es handelte sich bei den Herstellern erotischer Bilder zu dieser Zeit fast ausschließlich um Männer. Und auch bei der schon vorhin erwähnten „Schaulust“ ist anzumerken, dass die frühe erotische Fotografie vor allem der Befriedigung der männlichen Bedürfnisse diente. Der Blick fokussierte meist auf weibliche Körper … aber nicht ausschließlich!

Homoerotik um 1900

In der Aktfotografie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist festzustellen, dass weit mehr männliche Akt-Darstellungen veröffentlicht wurden, als gemeinhin bekannt.

Homosexuelle Beziehungen zwischen Frauen oder Männern waren in Österreich bis 1971 zur Gänze verboten. Die sog. „Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts" wurde nach den §§ 129 und 130 des Strafgesetzes von 1852 mit schwerem Kerker bis zu fünf Jahren bestraft. Die rechtlichen Rahmenbedingungen rund um „Unzüchtige“ gehen zurück auf den Strafbestand in der Consitutio Criminalis Theresiana, wobei Unzucht mit Tieren Homosexualität gleichgestellt wurde.

Mit dieser rechtlichen Regelung ging einher, dass „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts“ (§ 220 StGB), etwa durch Abbildungen, ebenfalls untersagt wurde. 

Gestählte Körper 

Ähnlich den Frauendarstellungen legitimierten sich männliche Akte durch die künstlerische Ausbildung an den Akademien. Aber auch unter dem Vorwand der Dokumentation konnten nackte Tatsachen verbreitet werden, die homosexuelle Sehnsüchte weckten. Beispielgebend sind Fotografien im Zuge einer um 1900 sich entwickelnden neuen Körperkultur: Dem Bodybuilding. 

Die Darstellung athletischer Körper wurde gefeiert und konnte auch im Postkartenformat erworben werden. Männer, deren Geschlecht oftmals nur mit einer knappen Hose bedeckt war, posierten und präsentierten ihre gestählten Körper im Rahmen von Schönheitswettbewerben. Die neue Kultur des Muskeltrainings wurde nicht nur in entsprechenden Lehrbüchern propagiert, sondern auch ansprechend illustriert. 

Körper in Bewegung 

Das Aufkommen der Fotografie ermöglichte darüber hinaus die Studie des Körpers in seiner Dreidimensionalität. War in der Malerei noch der Fokus auf die Statuarik gerichtet, wurden nun die Bewegungsabläufe studiert. Einer der bekanntesten Fotografen, der mit seinen Reihenfotografien Berühmtheit erlange, war der Engländer Edward Muybridge. Muybridge leitete damit eine Medienrevolution in der Darstellung nackter Körper ein. 

Muybridge war ein Vertreter der Chronofotografie. Er analysierte neben den Bewegungsabläufen von Tieren auch jene von Menschen. Um diese abzubilden, wurden unter anderem auch nackte Männer beim Ringen abgelichtet. Die Serienbilder begeisterten nicht nur - so kann vermutet werden - aufgrund des dokumentarischen Moments. 

Homoerotik durch Antikenrezeption 

Um 1900 versuchten homosexuelle Künstler und Schriftsteller sich zu emanzipieren und ihre sexuelle Orientierung auch öffentlich zu machen. Die rechtlichen Bestimmunen, die Homosexualität als Verbrechen deklarierten, mussten dabei berücksichtigt werden. Darstellungen von nackten Männern entstanden daher unter der Voraussetzung, künstlerisch anspruchsvoll zu sein. Eine Möglichkeit lag darin, eine antikisierende Ästhetik zu nutzen. Dadurch konnte einerseits ein kunstaffines und bürgerliches Publikum bedient werden, andererseits dienten die Fotografien als Projektionsfläche schwuler Begierden.  

Berühmt sind die Fotografien des deutschen Pioniers Wilhelm von Gloeden. Er lichtete junge sizilianische Männer in Taormina ab und inszenierte sie als griechische Epheben. Seine Bilder weckten aus verschiedenen Gründen Interesse: Sie verkörperten ein Schönheitsideal mediterraner Jugend, das seit der Antike bekannt war und das eine bürgerliche Fassade aufrechterhielt. Seine Inszenierungen von historischen Umgebungen, Landschaften und jungen Männern stehen in künstlerischer Tradition. Die Bilder kombinieren diverse Elemente von denen auch Roland Barthes angetan scheint: 

„Von Gloeden nimmt den Code der Antike, überlädt ihn, stellt ihn plump zur Schau […] aber […] er vermengt die Zeichen der Antike, kombiniert die Pflanzenwelt Griechenlands, die römische Bildhauerkunst und den antiken Akt aus den Kunstakademien: er nimmt, scheinbar ohne jegliche Ironie, die abgedroschenste Legende für bare Münze“ (Barthes, S. 211.) 

Warum wurde Von Gloeden nicht strafrechtlich verfolgt? 

Auf der einen Seite verhalf Von Gloeden der Umstand, dass er durch seine Bekanntheit die italienische und katholisch geprägte Umgebung Taorminas als beliebtes Touristenziel etablierte. Die Akzeptanz ging scheinbar mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Gegend einher. 

Auf der anderen Seite stellte sich die strafrechtliche Bekämpfung um die Verbreitung von unzüchtigen Schriften, Abbildungen und Darstellungen als schwierig heraus. Für Polizeibeamte galt nämlich folgendes Vorgehen: 

„Tritt in der Nachbildung (von Kunstwerken) die grobsinnliche Erscheinung des Vorganges ohne die reinigende künstlerische Form in den Vordergrund, so entscheidet über die Frage des Unzüchtigen nur noch der Gegenstand, nicht mehr die Form.“ (Dobler, S.25) 

Wer aber unterschied nun zwischen Kunst und Unzucht? Im Fall Von Gloeden schien die Lage klar: Es ist Kunst. Möglicherweise hat er sich damit auch ein neues kunstaffines Publikum erschlossen, das weniger an den fotografischen Kompositionen Interesse zeigte als am Motiv.

Erotische Schätze an der Österreichischen Nationalbibliothek 

Die Österreichische Nationalbibliothek hat sich schon einmal sehr ausführlich mit dem Thema Erotik beschäftigt: „Der verbotene Blick – Erotisches aus zwei Jahrtausenden“ lautete der Titel einer Prunksaal-Ausstellung im Jahr 2002. Ein Blick in die zugehörige Publikation ist natürlich alles andere als verboten und bietet einen spannenden Einblick in die erotischen Schätze unseres Bücherspeichers und der Sondersammlungen, garniert mit Essays von u.a. Konrad Paul Liessmann, Heidi Pataki, Günter Brus und Roland Girtler. 

Viele der frühen Fotografien finden sich außerdem bereits in digitalisierter Form in unserem Portal ÖNB Digital

Über die Autor*innen: Mag. Martin Forster ist Mitarbeiter der Abteilung Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement. Mag. Daniel Skina ist Leiter der Abteilung Bereitstellungsservices und Magazine. 

Literatur: 
 
Bazin, André. „Ontologie des fotografischen Bildes“. Was ist Film? Paris: Éd. du Cerf, 1958. 
http://data.onb.ac.at/rec/AC04247760 

Barthes, Roland. Auge in Auge: Kleine Schriften zur Photographie. Berlin: Suhrkamp, 2015. » http://data.onb.ac.at/rec/AC12662591 

Brodl, Michaela, und Österreichische Nationalbibliothek. Der verbotene Blick : Erotisches aus zwei Jahrtausenden. Klagenfurt: Ritter, 2002. 
http://data.onb.ac.at/rec/AC03427843 

Dobler, Jens. Die Polizei, welche in Beziehung auf Bilder bei uns ein wenig penibel ist. – Grenzen und Möglichkeiten erotischer Abbildungen. In: „Die nackte Wahrheit und Anderes, Aktfotografie um 1900.“ Berlin: Nicolei, 2013. S.21-28. 
http://data.onb.ac.at/rec/AC10760101 

Leonhardt, Nic. Durch Blicke im Bild : Stereoskopie im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Berlin: Neofelis, 2016. 
http://data.onb.ac.at/rec/AC13224419 

Muybridge, Edward: an Electro-photographic Investigation of Consecutive Phases of Animal Movements. In: David Bainbridge. „Stripped Bare – the Art of Animal Anatomy“ University of Pennsylvania, 2018, S.206-215. 
https://www-degruyter-com.uaccess.univie.ac.at/document/doi/10.1515/9780691183978/html 

Pohanka, Reinhard. Pikant und Galant. Erotische Photographie 1850-1950 aus der Sammlung Viktor Kabelka. Wien: J&V, 1990. 
http://data.onb.ac.at/rec/AC00074950 

Scheid, Uwe. Erotische Photographie 1850-1920. Wien: Tosa, 2000. 
http://data.onb.ac.at/rec/AC03027334 

Seemann, Helfried (Hg.). Das süße Mädel : und die erotische Photographie im Wien der Jahrhundertwende. Wien: Album, 1994. 
http://data.onb.ac.at/rec/AC00930451

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