Der Praxisbericht aus dem Institut für Restaurierung der Österreichischen Nationalbibliothek schildert die Möglichkeiten, Fehlstellen an Pergamenteinbänden mit verschiedenen Materialien und Methoden zu ergänzen.
Autor*innen: Agnes Adam, Wolfgang Kreuzer
Die Fehlstellenergänzung bei Pergament kann, auf Grund der speziellen Eigenschaften dieses Materials, eine sehr herausfordernde Arbeit für RestauratorInnen sein.
Pergament wird, wie Leder, aus tierischer Haut hergestellt, ist aber nicht gegerbt. Es ist stärker hygroskopisch als Leder (und Papier), d. h., dass es auf Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen durch Dehnen oder Schrumpfen reagiert. Ist Pergament über längere Zeit zu hoher Feuchtigkeit ausgesetzt, kann es schnell zu mikrobiellem Befall kommen (Abbildung 1). Starke Licht- und Wärmeeinwirkung kann zum Austrocknen, zur Versprödung und zum Aufplatzen des Materials führen (Abbildung 2).
Diese Materialeigenschaften machen eine Fehlstellenergänzung bei Pergament besonders schwierig. Das originale Pergament und das neue Ergänzungsmaterial reagieren auf Feuchtigkeit meist unterschiedlich; daher kann es schon beim Verkleben der Materialien zu Spannungen kommen, die sich in der Ausbildung von Verwellungen und Falten zeigen.
In Vergangenheit und Gegenwart wurde und wird Pergament mit unterschiedlichen Materialien ergänzt. Beim Schriftträger wurde neben Pergament, handgeschöpftem und maschinell hergestelltem Papier, auch Seidengaze (dünnes, gitterartiges Gewebe) als Stabilisierungs- und Ergänzungsmaterial verwendet. Bei der Einbandrestaurierung kamen Pergament, Büttenpapier, Schirting (appretiertes und kalandriertes Baumwollgewebe) und in manchen Fällen verschiedene Ledersorten zum Einsatz.
Die an das Restaurierungs- und Ergänzungsmaterial gestellten Kriterien und Anforderungen sind folgende: gute physikalisch-mechanische Eigenschaften, Biegsamkeit, Elastizität, Formbarkeit, Anpassungsfähigkeit an klimatische Veränderungen, Widerstandsfähigkeit, Haltbarkeit und nicht zuletzt Klebefähigkeit und Färbbarkeit. Das Ergänzungsmaterial sollte nicht kräftiger als das gealterte Pergament sein.
Im Folgenden werden Ergänzungsmaterialien und Restaurierungsmethoden, die heute am Institut für Restaurierung der Österreichischen Nationalbibliothek zum Einsatz gelangen, genauer vorgestellt.
Fehlstellenergänzung mit Pergament
Wird Pergament zum Ergänzen der Fehlstelle verwendet, darf die Kante des Fehlstellenrandes nicht zu brüchig sein; sie muss noch eine gewisse Stabilität aufweisen. Hierfür werden die Ränder der Ergänzung im Überlappungsbereich dünner geschliffen. Zur Verklebung der beiden Materialen können Reisstärkekleister oder Fischleim (Hausenblasenleim) eingesetzt werden.
Ergänzung unter Verwendung von Japanpapier
Wenn die Ränder der Fehlstelle brüchig, spröde und schwach sind, wird nicht Pergament, sondern Japanpapier zur Fehlstellenergänzung eingesetzt. Bei der händischen Herstellung von Japanpapieren ist man bemüht die Faserbündel möglichst unversehrt und in ursprünglicher Länge voneinander zu lösen. Diese Materialeigenschaft macht es zu einem idealen Ergänzungsmaterial für die Buch- und Papierrestaurierung, da auf Grund der Langfasrigkeit genügend Material für die Verklebung und Überlappung mit dem Original zur Verfügung steht. Japanpapier gibt es in einer großen Auswahl an Materialstärken und in unterschiedlichen Papierfarbtönen. Es lässt sich außerdem gut selbst einfärben und dadurch an das jeweilige Originalmaterial (ob Papier, Leder oder Pergament) optisch angleichen. Sehr dünnes Japanseidenpapier (Gossamer Tissue oder Berlin Tissue) ist durchscheinend und lässt sich daher zum Überfliesen von feinen Rissen auch im Textbereich verwenden. Man kann die Ergänzung der Fehlstelle aus mehreren Schichten von Japanpapieren vornehmen und dadurch die Stabilität erhöhen.
Ist bei Einbänden das Pergament im Falz gerissen, kann ein mit Japanpapier kaschiertes Flugzeugleinen zur Verstärkung verwendet werden. Leinen hält der mechanischen Belastung, die durch das Öffnen der Deckel auf das Material einwirkt, am besten stand. Das Japanpapier dient der optischen Angleichung an das Pergament, da es die Leinenstruktur abdeckt.
Restaurierung mit angefasertem Pergament
Eine weitere Möglichkeit ist die Ergänzung mit sogenanntem angefaserten Pergament. Bei dieser Methode verwendet man als Ausgangsmaterial eine selbst hergestellte flüssige Suspension, die aus unterschiedlichen Kombinationen von Fasern und Bindemittel bestehen kann. Pergamentfasern bzw. -staub, Cellulosefasern, Japanpapierfasern, Methylcellulose und Pergamentleim können dabei eingesetzt werden. Die mit Hilfe eines Saugtisches hergestellten angefaserten Ergänzungsteile sind flexibel und zeigen ähnliche hygroskopische Eigenschaften wie „echtes“ Pergament. Die Anfaserung lässt sich dem optischen Erscheinungsbild, der Farbe und Stärke des schadhaften Pergaments gut angleichen. Die Verklebung der angefaserten Ergänzung („rekonstituiertes“ oder „künstliches“ Pergament) mit dem Original erfolgt mit Reisstärkekleister und verursacht zwischen beiden Materialien nahezu keine Spannungen.
Die angefaserten Teile lassen sich auch zur lokalen Fehlstellenergänzung von Pergamentseiten oder -einbänden verwenden, ohne dass die Heftung gelöst, der Buchblock zerlegt oder der Einband separiert werden muss. Man überträgt zunächst die Umrisse der Fehlstelle auf eine Schablone aus transparenter Folie, mit deren Hilfe man den einzusetzenden Ergänzungsteil erzeugt. Erst danach wird in einem zweiten Arbeitsschritt die Anfaserung in die Fehlstelle eingesetzt und verklebt.
Im Falle eines Pergamenteinbands liegen andere Anforderungen vor, da das Pergament nicht nur den Buchblock umhüllt, sondern ihn auch mechanisch zusammenhält. Materialien für Hinterklebung und Ergänzung müssen daher spezifische mechanische Eigenschaften aufweisen. Angefasertes Pergament kann mit anderen Materialien wie z.B. Gewebe mit/oder Japanpapier kombiniert werden, um eine starke Verbindung herzustellen, die den Bewegungen beim Öffnen und Schließen des Buches standhält.
So stehen uns unterschiedliche Ergänzungsmethoden und -materialien zur Verfügung, die - je nach Schadensbild und Lokalisierung des Schadens - bei der Restaurierung von Pergament zum Einsatz gelangen. Sie alle dienen dem Zweck, Pergamentseiten, -urkunden, -karten, und -einbände vor weiteren Schäden zu bewahren, ihre Funktionalität wiederherzustellen, ihre Erhaltung zu sichern und ihre Benutzung auch in Zukunft zu ermöglichen.
Über die AutorInnen: Frau Mag. Agnes Adam und Herr Wolfgang Kreuzer sind Mitarbeiter*innen am Institut für Restaurierung der Österreichischen Nationalbibliothek.
Aufgrund einer Veranstaltung wird der Prunksaal am Donnerstag, 14. November bereits um 18 Uhr geschlossen.