Die vollständige deutsche Ausgabe des Alten und Neuen Testaments von Martin Luther von 1545 aus dem Bestand der Bibliotheca Eugeniana zählt zu den kostbarsten alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek.
Autorin: Monika Kiegler-Griensteidl
Martin Luthers (1483–1546) bedeutendstes literarisches Vermächtnis ist seine Übersetzung der Bibel ins Deutsche – ein Werk, an dessen Vollendung er sein Leben lang gearbeitet hat, das lange kanonische Wirkung hatte und bis heute nachwirkt. Die Ausgabe von 1545 – „die Ausgabe letzter Hand“ – gilt nach Luthers Tod als maßgeblich. Sie stellt den Höhepunkt und den Endpunkt der von Luther autorisierten Bibelausgaben dar.
Typographie und Abbildungen der beiden Foliobände sind von hervorragender Qualität. Die Illustrationen, insbesondere die der Offenbarung des Johannes, haben bis heute nichts an ihrer Wirkkraft verloren.
Titeleinfassung, Holzschnitt-Illustrationen und -Initialen sowie das Bildnis des Herzogs Johann Friedrich von Sachsen1 sind sorgsam von Hand koloriert.
Die kostbare Einbandgestaltung verdankt die Bibel ihrem ehemaligen Besitzer, dem Prinzen Eugen von Savoyen. Nach dem Tod Prinz Eugens wird seine wertvolle Bibliothek 1738 von der k.k. Hofbibliothek angekauft und deren Druckschriften zum größten Teil im Mitteloval des Prunksaals aufgestellt, wo sie sich heute noch befinden.
Um ein einheitliches Bild seiner Bibliothek zu erzielen, ließ Prinz Eugen die Bände von eigenen Buchbindern in einheitlicher Manier in rotes, gelbes oder blaues Maroquinleder binden. Die unterschiedlichen Einbandfarben bestimmten äußerlich sichtbar die Fach- bzw. Aufstellungsgruppen.2 Die Vorder- und Rückendeckel tragen das goldgeprägte Supralibros mit dem Wappen Savoyens und der Kollane (Ordenskette) des Ordens vom goldenen Vlies in ovaler Kartusche. Die Rücken sind in mehrere Felder geteilt, in denen alternierend – bis auf das Titelfeld – das Savoyer Kreuz und das aus zwei E verschlungene Monogramm Eugens eingeprägt ist. Den eleganten Gesamteindruck der Einbände vervollständigen die goldgeprägten Steh- und Innenkanten sowie ein dreiseitiger Goldschnitt.
Die erlesene Ausstattung und seine besondere Provenienz machen das Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek zu einem unikalen Objekt von großem Wert.
Martin Luther (ursprünglich Martin Luder3) wird am 10. November 1483 in Eisleben geboren. Mit der Übersiedlung nach Mansfeld 1484 beginnt der wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufstieg der Familie. Der Vater Hans Luder, der aus einer wohlhabenden Bauernfamilie stammt, arbeitet sich vom Bergarbeiter zum anteiligen Besitzer von Bergwerken und zum Ratsherrn hoch.4 Luther besucht zunächst die Lateinschule in Mansfeld, danach die Magdeburger Domschule und ab 1498 die Pfarrschule in Eisenach. Im Sommersemester 1501 immatrikuliert Luther sich in der Artistenfakultät der Universität Erfurt, wo er bereits 1502 das Bakkalaureat-Examen ablegt. Am 6. Jänner 1505 schließt Luther seine akademische Grundbildung mit dem Magister Artium ab. Sein im Sommersemester 1505 auf Wunsch des Vaters begonnenes Jusstudium bricht er ab und tritt am 17. Juli 1505 ins Kloster der Augustiner-Eremiten in Erfurt ein. Die Zeit im Kloster prägt Luther. Das Mönchsleben ist mühevoll, der Tag beginnt um drei Uhr und ist bestimmt durch Fasten, Beten und Arbeiten. Nach der Priesterweihe im April 1507 beginnt er sein Theologiestudium in Erfurt. 1508 wird Luther in das Wittenberger Kloster versetzt. Er promoviert im Oktober 1512 zum Doktor der Theologie und übernimmt den Lehrstuhl für Bibelwissenschaften seines geistlichen Lehrers Johannes Staupitz.5 1518 beruft die Universität Wittenberg Philipp Melanchthon an den neu eingerichteten Lehrstuhl für Altgriechische Sprache. Er wird Luthers engster Mitarbeiter. Im Rahmen seiner Studien kommt Luther mit den Ideen der Humanisten in Berührung. Deren Losung „Ad Fontes!“ – Zurück zu den Quellen – entspricht Luthers Herangehensweise. Für ihn bedeutet dies vor allem das Studium der griechischen und hebräischen Originale der Bibel. Ab 1514 wirkt Luther nicht nur als Theologieprofessor, er wird zudem als Prediger an die Wittenberger Stadtkirche berufen. In dieser Doppelfunktion erreicht er sowohl das studentische, gelehrte Milieu als auch die große Masse der Leseunkundigen.
Der zunehmende Handel der katholischen Kirche mit Ablassbriefen, die Praxis des Ablasskaufes, die die Beichte quasi ersetzt, ist Luthers Überzeugung zuwider. Luther spricht sich auch in seinen Predigten vehement gegen den Ablasshandel aus. Am 31. Oktober 1517 schreibt er zu diesem Thema an seine kirchlichen Vorgesetzten und legt seinem Schreiben 95 Thesen bei, die als Grundlage für eine Disputation dienen sollten. Dass Luther an besagtem Tag seine Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben soll, wird heute bezweifelt.6
In seinen Thesen, die als Beginn der Reformation gelten, wendet Luther sich deutlich gegen den Ablasshandel, den er als gutes Geschäft (Nr. 67) bezeichnet, der aber keine schwerwiegenden und auch keine geringfügigen Sünden vergeben kann (Nr. 76). Vielmehr sind es Werke der Nächstenliebe (Nr. 41), das Gebet (Nr. 74) und ehrliche Reue (Nr. 35-40), die Vergebung bringen.
Bereits Ende 1517 kursieren – von Luther nicht autorisierte – Drucke der Thesen, die bei humanistischen Gelehrten und einigen Fürsten auf große Zustimmung, doch bei weiten Teilen der katholischen Kirche auf heftige Ablehnung stoßen. Luther sieht sich durch den wachsenden Druck genötigt, seine Thesen durch weitere Schriften zu erläutern. Er betont, dass er mit seinen Thesen Missstände aufzeigen und nicht das gesamte Papsttum in Frage stellen will7 – die Reaktion der katholischen Kirche lässt sich jedoch nicht mehr aufhalten. Die Kurie reagiert auf den vermeintlichen Ketzer drastisch und eröffnet 1518 in Rom den Ketzerprozess gegen Martin Luther. Dieser ruht 1519, da nach dem Tod Kaiser Maximilians I. erst dessen Nachfolge geregelt werden muss. Nach der Wahl Karl V. zum neuen Kaiser wird der Kampf gegen Luther und seine Anhänger*innen 1520 wiederaufgenommen.
Im Juni 1520 erlässt Papst Leo X. die Bulle „Exsurge Domine“ mit der Bannandrohung gegen Martin Luther, die ihm eine Unterwerfungsfrist von 60 Tagen setzt. Luthers Schriften, die auf großes Interesse stoßen und vielfach nachgedruckt werden, lässt der päpstliche Nuntius Girolamo Aleandro verbrennen. Am Morgen des 10. Dezember 1520 verbrennt Luther öffentlich die Bulle und Bücher des kanonischen Rechts in Wittenberg. Dies führt zur endgültigen Verhängung des Kirchenbannes über Luther durch die Bulle „Decet Romanus Pontifex“ am 3. Jänner 1521.
Im März erhält Luther die Vorladung zum Reichstag in Worms.
Luthers zweiwöchige Reise nach Worms gleicht einem Triumphzug. Am 16. April zieht er unter kaiserlichem Schutzgeleit in Worms ein. Luther erwartet sich einen theologischen Disput über Glaubensfragen vor dem Kaiser und den Reichsständen. Dazu kommt es nicht, man fordert den sofortigen Widerruf seiner Schriften und religiösen Erkenntnisse.
Luther verweigert den Widerruf und verlässt wiederum unter kaiserlichem Geleit die Stadt. Kurz danach erlässt Kaiser Karl V. das sogenannte Wormser Edikt, die Reichsacht gegen Martin Luther und das Verbot seiner Lehre.
Zu seiner Sicherheit wird Luther auf Befehl Friedrichs des Weisen, Kurfürst von Sachsen,8 nach einem vorgetäuschten Überfall am 9. Mai auf die Wartburg gebracht, wo er sich die nächsten Monate unter dem Decknamen „Junker Jörg“ versteckt hält.
Luther leidet unter der Verbannung, was sich auch in körperlichen Gebrechen äußert. Wohl um der schwierigen Situation etwas entgegenzuhalten, widmet er sich einer neuen Aufgabe – der Übersetzung der Bibel ins Deutsche.
Luther bringt ausgezeichnete Voraussetzungen für seine Übersetzertätigkeit mit. Durch seinen Lehrauftrag an der Universität Wittenberg (lectura in biblia) ist er mit dem lateinischen Text der Vulgata vertraut. Außerdem besitzt er gute Kenntnisse des Griechischen und Hebräischen.
Als Quelle dient ihm die 1519 in zweiter Auflage erschienene Ausgabe des griechischen Urtextes mit lateinischer Übersetzung in der Bearbeitung von Erasmus von Rotterdam. Daneben nutzt er die ihm vertraute Vulgata, die lateinische Übersetzung des Hieronymus (ca. 348–420). Nicht nachgewiesen, aber vorstellbar ist, dass er auch frühere deutsche Bibelübersetzungen kannte.
Luthers Leistung liegt nicht nur in der Übersetzungstätigkeit, sondern auch in seinen erläuternden und interpretierenden Beigaben, in den Vorreden, den zahlreichen biblischen Parallelstellen und Randglossen.9
In nur elf Wochen ist das Rohmanuskript des Neuen Testaments fertiggestellt. Wegen der fortgesetzten religiösen Unruhen in Wittenberg – die reformatorische Bewegung radikalisiert sich zunehmend – möchte Luther nicht mehr auf der Wartburg bleiben und kehrt am 6. März überraschend nach Wittenberg zurück. Gemeinsam mit Melanchthon revidiert Luther seine Übersetzung.
Nachdem er mit seinen sogenannten Invokavitpredigten10 die Ruhe wieder halbwegs hergestellt hat, beginnen die Vorbereitungen zur Drucklegung. Das Kapital stellen zwei Freunde, einflussreiche Verleger, der Maler Lukas Cranach der Ältere11 und der Goldschmied Christian Döring, zur Verfügung. Der Drucker Melchior Lotther der Jüngere richtet im Haus Cranachs eine Werkstatt ein, in der zeitweise an drei Pressen gleichzeitig gearbeitet wird. Im Mai wird mit der Drucklegung begonnen, die aus Sorge vor Diebstahl oder fremdem Nachdruck der schon fertiggestellten Druckbogen geheim gehalten wird. Rechtzeitig zur Leipziger Herbstmesse (29. September bis 6. Oktober 1522) erscheint das Werk in einer Auflagenhöhe von ca. 3000 Exemplaren.12 Weder Übersetzer, Drucker noch Verleger sind namentlich erwähnt, was Luther in seiner Vorrede begründet: „Es were wol recht vnd billich, das dis buch on alle vorrhede vndd frembden namen außgieng, vnnd nur seyn selbs eygen namen vnd rede fuerte.“ Nicht anzunehmen ist, dass Luther aus Furcht auf eine Namensnennung verzichtet hat, war seine Urheberschaft doch allgemein bekannt. Das beweist auch das Verbotsmandat Herzog Georgs von Sachsen13 vom 7. November 1522. Das „Septembertestament“ ist trotz des hohen Preises von ca. einem Gulden14 schon Anfang Dezember vergriffen. Bereits im Dezember liegt eine zweite, überarbeitete Auflage, das „Dezembertestament“, vor.
Noch während der Drucklegung des „Septembertestaments“ beginnt Luther mit der Übersetzung des Alten Testaments aus dem hebräischen (zu kleineren Teilen aramäischen) Urtext15 unter Zuhilfenahme der Vulgata. Die Übersetzungstätigkeit des weitaus umfangreicheren Textes zieht sich über die Jahre 1523 und 1524 hin, er arbeitet gemeinsam mit einem kleinen Helferkreis in regelmäßigen Arbeitssitzungen.
1534 erscheint die erste Vollbibel in einer neuen Übersetzung, auf der auch die letzte zu Lebzeiten Martin Luthers gedruckte Bibelausgabe von 1545 beruht. Beide Bibeln werden bei Hans Lufft in Wittenberg gedruckt, der der bedeutendste Drucker der Schriften Luthers bis in die 1560er Jahre ist. Von der ersten Gesamtausgabe der Bibel werden bis zu Luthers Tod mehr als 100.000 Exemplare verkauft.
Der deutsche Buchwissenschaftler Stephan Füssel fasst die herausragende Bedeutung der Bibel-Übersetzung Martin Luthers zusammen:
„Über 1000 Jahre weitgehend in der lateinischen Sprache überliefert, kommentiert und ausgelegt, nehmen unmittelbar mit der Erfindung der Buchdruckerkunst von Johannes Gutenberg um 1450 in Mainz die deutschsprachigen Übersetzungen zu. Sie kulminieren in der einmaligen Übersetzungsleistung Martin Luthers zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die bis in die Gegenwart durch ihre sprachbildende, literarische Bilder prägende und theologisch mutige Sprache überzeugt. Im deutschsprachigen Kulturraum ist diese theologische und sprachliche Übersetzungsleistung Luthers von einmaliger Bedeutung und prägend bis in unsere heutige Alltagssprache.“16
Wichtige Voraussetzung für die Verbreitung der Schriften Martin Luthers und der Ideen der Reformation ist die rasche Etablierung des Buchdrucks. Der Verlags- und Buchmarkt expandiert schnell. Mit zunehmender Bedeutung der Bücher wächst ebenso die der Bilder. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird der Anteil der Lesekundigen mit ca. fünf bis zehn Prozent angenommen, ein begrenzter Adressatenkreis. Häufiger werden Schriften durch Ansehen und Vorlesen rezipiert, wodurch dem Medium Bild neben der mündlichen Vermittlung eine zentrale Rolle zukommt.
„Zum ersten Mal in der Geschichte wurde ein zentraler gesellschaftlicher Konflikt auch mit Bildern ausgetragen.“17
Die Abbildungen zur Offenbarung des Johannes machen die Bedeutung der Bilder als Mittel der Propaganda in besonderem Maße deutlich, sowohl in der Rezeption der Anhänger*innen der Reformation als auch in den Versuchen der Gegner*innen, diese durch Zensur der Bildinhalte zu neutralisieren.
Das „Septembertestament“ enthält 21 blattgroße, in der Werkstatt Lukas Cranach des Älteren entstandene Holzschnitte. Diese lehnen sich an Albrecht Dürers Holzschnitt-Apokalypse von 1498 an, werden jedoch in entscheidenden ikonografischen Aspekten verändert und nehmen stärker Bezug auf den Text. Die Bilder zeigen eine zum Teil stark antipäpstliche Bildpolemik, die in der Darstellung der Hure Babylon ihren Höhepunkt findet. Bei Dürer noch mit schlichter Krone dargestellt, wird ihr in der Bildkomposition Cranachs eine Papsttiara aufgesetzt.
Bereits im „Dezembertestament“ müssen die drei Papsttiaren bei der Illustrierung des Tiers aus dem Abgrund, des Tiers auf dem Stuhl und der Babylonischen Hure auf Einspruch Herzog Georgs von Sachsen durch Herausschneiden in einfache Kronreife verwandelt werden.
Erst in der Gesamtausgabe der Bibel von 1534 erscheint die Papsttiara erneut auf den Bildern zur Apokalypse als wieder erwachtes Kampfsymbol der mittlerweile gefestigten Reformation. Die Vollbibel weist eine neue Bilderfolge zur Offenbarung mit 26 Abbildungen auf. Die Illustrationen stammen sämtlich von einem Künstler, dessen Monogramm „MS“ sich auf einigen der Holzschnitte findet.18
Dieser seit 1530 in Wittenberg nachweisbare Künstler war wahrscheinlich Mitglied der Cranach-Werkstatt, jedenfalls kennt er Cranachs Stil und dessen bisherige Illustrationen gut. So übernimmt er manchmal zitathaft Elemente und entwickelt diese zumeist weiter.19
Es ist sicher kein Zufall, dass gerade ihm die Illustration der ersten Vollbibel übertragen wird und diese Bilderfolge mit einer Ausnahme sämtliche bis zu Luthers Tod erscheinenden Bibelausgaben schmückt. Dies zeigt, welche hohe Wertschätzung Luther dem Künstler entgegenbringt. Es ist belegt, dass Luther bei der Entstehung der Illustrationen mitwirkt. So berichtet der seit 1535 als Unterkorrektor in Luffts Druckerei tätige Christoph Walther in einer Schrift von 1563: „Der Ehrwirdige Herr Doctor Martinus Luther / hat die Figuren in der Wittembergischen Biblia zum teil selber angegeben / wie man sie hat sollen reissen oder malen / Und hat befohlen / das man auffs einfeltigst den inhalt des Texts solt abmalen vnd reissen / Und wolt nicht leiden / das man vberley [=überflüssig] vnd vnnütz ding / das zum Text nicht dienet / solt dazu schmiren.“20
„Der Monogrammist arbeitete also vor allem ab dann als Buchillustrator, als sich Lucas Cranach d. Ä. vom Buchdruck verabschiedet hatte. Die Indizien legen nahe, dass wir in der Lutherbibel einem Werkstattmitarbeiter bei seinen ersten Schritten als selbstständigem Künstler zusehen können.“21
Im Jahre 1537 gehen die Holzstöcke des Monogrammisten leihweise nach Prag, wo sie der Drucker Paul Severin in seiner tschechischen Bibel abdruckt – allerdings erst nachdem er die Papsttiaren aus den Holzstöcken der Bilder 15, 20 und 21 der Apokalypse herausschneiden lässt, so dass wie im „Dezembertestament“ einfache Kronreife übrigbleiben. Nach der Rückgabe an Hans Lufft im darauffolgenden Jahr werden die Lücken sofort durch neue Tiaren ausgefüllt. In diesem Zustand erscheinen die Bilder in allen folgenden Wittenberger Bibelausgaben.
Im Hintergrund des Bildes ist der Ich-Erzähler Johannes mit dem Engel zu sehen, der ihm die Visionen der Buhlerin zeigt.22
Die Darstellung der Hure Babylon mit einer Papsttiara ist ein unmissverständlicher Angriff auf den Papst. Die Hure Babylon steht für die Entwicklung der katholischen Kirche mit Sitz in Rom und dem Papst als ihrem Oberhaupt. Rom wird mit Babylon verglichen, das als Inbegriff von Gier nach Reichtum und Unmoral gilt. Das Tier aus der Unterwelt mit sieben Häuptern und zehn Hörnern wird mit Satan in Verbindung gesetzt und als Verkörperung Roms gedeutet. Die babylonische Hure sitzt auf dem Tier, was ihre Macht über das Ungeheuer symbolisiert. Gebannt steht eine Menschengruppe vor ihr, darunter ein Kaiser. Sie verführt die Menschen mit ihrer luxuriösen Erscheinung, in purpurnem Gewand mit Gold und Edelsteinen besetzt, hält sie wie eine Königin einen goldenen Becher in der Hand. Der Becher ist gefüllt mit ihren Gräueltaten und dem Schmutz der Unzucht, welche sie letztendlich zerstören werden.
Martin Luther will mit seiner Übersetzung eine Bibel für das ganze Volk schaffen und weiß um die Möglichkeiten der didaktischen Instrumentalisierung von Text und Bild – ihm zufolge kann man dem Wort Gottes dann gerecht werden, wenn man „gleich davon singt und sagt, klingt und predigt, schreibt und liest, malt und zeichnet.“23
Über die Autorin: Mag. Monika Kiegler-Griensteidl ist stellvertretende Leiterin der Sammlung von Handschriften und alten Drucke der Österreichischen Nationalbibliothek.
Besch, Werner: Luther und die deutsche Sprache. 500 Jahre deutsche Sprachgeschichte in Lichte der neueren Forschung. Berlin: E. Schmidt 2014
Dohe, Sebastian: Die Illustrationen der Lutherbibel von 1534 oder: Wie viel Cranach steckt in der ersten Vollbibel?. In: Greiling, Werner/Schirmer, Uwe/Werner, Elke Anna (Hg.): Luther auf der Wartburg 1521/22. Bibelübersetzung – Bibeldruck – Wirkungsgeschichte. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2022, S. 233–256
Fuchs, Thomas: Buchillustration in der Reformationszeit, in: Bildwechsel. Buchillustration in der Reformationszeit. 2017
Füssel, Stephan: Das Buch der Bücher. In: Die Bibel in Bildern. Illustrationen aus der Werkstatt von Lucas Cranach (1534). Hong Kong [u.a.]: Taschen 2009
Luther, Martin: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Tischreden. 5. Bd. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1919, Tischrede Nr. 6250, S. 558
Luther; Martin: Dr. Martin Luthers Deutsche Schriften, theils vollständig, theils in Auszügen. Ein Denkmahl der Dankbarkeit des deutschen Volkes im Jahre 1817 zur würdigen Feier des dritten Jubelfestes der protestantischen Kirchen. Hg. Friedrich Wilhelm Lohmer. Bd. 3. Gotha: Becker 1817
Martin, Peter: Martin Luther und die Bilder der Apokalypse. Die Ikonographie der Illustration zur Offenbarung des Johannes in der Lutherbibel von 1522 bis 1546. Hamburg: Wittig 1983
Pelc, Milan: Zensur und Selbstzensur in der Bibelillustration des 16. Jahrhunderts. In: Frühneuzeit-Info 9 (1998), S. 194-205
Petschar, Hans: Apokalypsen der Lutherbibel. In: Petschar, Hans (Hg.): Alpha & Omega. Geschichten vom Ende und Anfang der Welt. Ausstellungskatalog Österreichische Nationalbibliothek. Wien [u.a.]: Springer 2000, S. 172-181
Udolph, Jürgen: Martinus Luder – Eleutherius – Martin Luther. Warum änderte Martin Luther seinen Namen? Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2016
1 Johann Friedrich I. von Sachsen (1503–1554), auch Friedrich der Großmütige genannt, fördert ebenso wie schon sein Vater Johann der Beständige (1468–1532) und sein Onkel Friedrich der Weise (vgl. Anmerkung 8) die Reformation. Dem Bildnis folgt das Druckerprivileg von 1534.
2 Blau für Theologie und Rechtswissenschaft, gelb für Naturwissenschaft und Theologie, rot für Geschichte und Literatur; Einschränkung: größere Sachgebiete wurden farblich auch nach Aufstellungsgruppen differenziert; mehr zur Bibliothek des Prinz Eugen von Savoyen, die 2014 in die österreichische Liste des UNESCO-Weltdokumentenerbes aufgenommen wurde, u.a. hier: https://www.unesco.at/kommunikation/dokumentenerbe/memory-of-austria/verzeichnis/detail/article/bibliotheca-eugeniana/ [12.11.2023].
3 Bis zum Sommer 1517 nutzt Luther den Nachnamen Luder. Danach ändert er seinen Namen in Luther. Der Namensforscher Jürgen Udolph führt in seiner wissenschaftlichen Untersuchung die Namensänderung darauf zurück, dass Luther ganz bewusst für seinen Namen die hochdeutsche, zur Oberschicht von Wittenberg passende Variante wählte. Vgl. dazu: Udolph, Jürgen: Martinus Luder – Eleutherius – Martin Luther. Warum änderte Martin Luther seinen Namen? Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2016.
4 Überliefert sind Erzählungen von seiner Herkunft und seinem Werdegang u.a. in Martin Luthers Tischreden. Vgl. dazu: Luther, Martin: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Tischreden. 5.Bd. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1919, Tischrede Nr. 6250, S. 558. https://maartenluther.com/5_tischreden_jahren_1540-44.pdf [10.11.2023].
5 Mehr zu Johann von Staupitz u.a. hier: https://www.heiligenlexikon.de/BiographienJ/Johann_von_Staupitz.html [11.11.2023].
6 Vgl. dazu: Leibetseder, Matthias: Der Thesendruck im kurfürstlichen Archiv. https://gsta.preussischer-kulturbesitz.de/ueber-uns/newsroom/dossiers/reformation/der-kurfuerstlichen-thesendruck.html [14.11.2023].
7 Entgegen Luthers ursprünglicher Absicht kam es im Lauf der Reformation zu einer Kirchenspaltung, aus der evangelisch-lutherische Kirchen und weitere Konfessionen des Protestantismus entstanden.
8 Friedrich III. oder Friedrich der Weise von Sachsen (1463–1525), ein großer Förderer von Kunst und Wissenschaft (u.a. Gründung der Universität in Wittenberg 1502), schützt den in seinen Augen zu Unrecht beschuldigten Luther durch geschickte Diplomatie.
9 Das Deutsch, dessen er sich bedient, ist die sogenannte sächsische Kanzleisprache, eine neuhochdeutsche Mundart. Vgl. dazu: Besch, Werner: Luther und die deutsche Sprache. 500 Jahre deutsche Sprachgeschichte im Lichte der neueren Forschung. Berlin: E. Schmidt 2014.
10 Die Invokavitpredigten sind acht Predigten, die Martin Luther vom 9. bis 16. März 1522 beginnend mit dem Sonntag Invokavit (dem ersten Sonntag der Passionszeit) hält, um der zunehmenden Radikalisierung der reformatorischen Bewegung in Wittenberg ein Ende zu setzen.
11 Die Verbindung zwischen Martin Luther und Lucas Cranach dem Älteren war eng. Luther ist Taufpate von Cranachs Tochter Anna, Cranach Trauzeuge bei der Eheschließung Luthers mit Katharina von Bora und Taufpate von Luthers erstem Sohn Johannes.
12 Die exakte Höhe der Auflage ist nicht bekannt. In einigen Studien wird von bis zu 5000 Exemplaren ausgegangen.
13 Herzog Georg von Sachsen (1471–1539), auch Georg der Bärtige genannt, steht zu Anfang seiner Regierungszeit Reformen der Kirche positiv gegenüber, so auch Luthers Forderungen. Zunehmend missfällt ihm die Haltung Luthers und er wendet sich gegen ihn.
14 Ein Gulden entspricht ungefähr dem Zweimonatslohn eines Schulmeisters oder dem Preis für ein Kalb.
15 Vgl. zur Geschichte der Übersetzung der Heiligen Schrift u.a. Füssel, Stephan: Das Buch der Bücher. In: Die Bibel in Bildern. Illustrationen aus der Werkstatt von Lucas Cranach (1534). Hong Kong [u.a.]: Taschen 2009, S. 6.
16 Ebd., S. 4.
17 Fuchs, Thomas: Buchillustration in der Reformationszeit, in: Bildwechsel. Buchillustration in der Reformationszeit. 2017, S. 6.
18 Die Datierung einiger Holzschnitte mit 1532 macht deutlich, dass die Gesamtillustration von langer Hand vorbereitet wurde.
19 Vgl. zu den Illustrationen und dem Künstler: Martin, Peter: Martin Luther und die Bilder zur Apokalypse. Die Ikonographie der Illustration zur Offenbarung des Johannes in der Lutherbibel 1522 bis 1546. Hamburg: Wittig 1983, S. 176-195.
20 Walther, Christoph: Bericht von unterscheid der Biblien. Wittenberg: Hans Lufft 156, Biiv – Biiir.
21 Dohe, Sebastian: Kunst der Reformationszeit. Wie viel Cranach steckt in der Weimarer Lutherbibel? 21. Dezember 2022. https://blog.klassik-stiftung.de/cranach-in-der-weimarer-lutherbibel/ [13.11.2023].
22 Als Verfasser der Offenbarung gilt heute mehrheitlich ein frühchristlicher Prophet.
23 Luther; Martin: Dr. Martin Luthers Deutsche Schriften, theils vollständig, theils in Auszügen. Hg. Friedrich Wilhem Lohmer. Bd. 3. Gotha: Becker 1817, S. 162.
Aufgrund einer Veranstaltung wird der Prunksaal am Donnerstag, 14. November bereits um 18 Uhr geschlossen.