Der Ernst des Lebens. Schulbeginn in Österreich!

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26.08.2020
Geschichte in Geschichten
Mädchen mit Schultüte
Am 7. September enden zumindest im Osten Österreichs die Sommerferien. Auch wenn das Schuljahr 2019/20 bedingt durch die Pandemie ein mehr als Außergewöhnliches war und die Einschränkungen wohl auch im neuen Schuljahr 2020/21 eine Fortsetzung finden, kehrt doch für Schülerinnen und Schüler der Alltag wieder ein – und für die Taferlklassler beginnt das, was unsere Großeltern noch als „Der Ernst des Lebens“ zu bezeichnen pflegten.

Autorinnen: Michaela Pfundner, Margot Werner


Erster Schultag in Wien, um 1970, Atelier Simonis

Unsere Datenbanken und die Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek bieten einen fast unerschöpflichen Bilder-Pool zum Thema Schule; der Schulstart ist uns ein willkommener Anlass, ein wenig für Sie zu stöbern und historische Foto-Schätze zu bergen!

„Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer.“ (Sokrates 470-399 v. Chr.)

Den „Tyrannen“ sieht man diesem adretten Taferlklassler allerdings nicht an!


Studioaufnahme anlässlich des ersten Schultags, um 1918

Das von Sokrates monierte Revoluzzertum scheint auch auf diese gesitteten jungen Herren nicht zuzutreffen: das offensichtlich inszenierte Bild zeigt die Schüler im Pausenhof beim Vertiefen des Unterrichtsstoffs…

Paul Pichier, Schule in Wien, ca. 1900-1910

Zucht und Ordnung im Schottengymnasium: Der spätere Kaiser Karl (Mitte, im Linksprofil mit Blick zum Lehrer) als Knabe im Physiksaal zusammen mit Lehrern und Mitschülern.

Charles Scolik, um 1900

Schule in Österreich

Bereits unter Maria Theresia wurde 1774 die allgemeine sechsjährige Schulpflicht eingeführt und von ihrem Sohn und Nachfolger, Joseph II., deren Einhaltung und der Bau von Schulen forciert:

Roman Hasslinger, Predigt von der dringenden Pflicht der Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken ... den 10ten November 1782. in der Klosterkirche zu Göttweig Benediktiner Ordens, vorgetragen

„Es ist das dringende Verlangen wahrer Kinderfreunde, daß diese Rede, welche auf allerhöchste Verordnung [Anm.: Josephs II.] in unserer Klosterkirche vorgetragen worden, durch den Druck öffentlich bekannt, und gemeinnützig möchte gemacht werden, weil sie hoffen, es würde jedes Vaterherz durch die darinn vorgetragene Gründe ganz gewiß bewogen werden, daß äusserste anzuwenden, um den Kindern den anbefohlenen so nützlichen Unterricht zu verschaffen.“

Knapp einhundert Jahre später, 1869, im Rahmen des „Reichsvolksschulgesetzes“ wurde die Schulpflicht auf acht Jahre erhöht und die Schulaufsicht staatlichen Behörden übertragen. Trotz dieser gesetzlichen Vorgabe mussten viele Arbeiterkinder, vor allem in Wien, auch zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen und in Fabriken oder zu Hause arbeiten. Viele vernachlässigten daher den Schulbesuch und lernten nie richtig lesen und schreiben.

In der Ersten Republik kam es unter Federführung des Präsidenten des Wiener Stadtschulrates Otto Glöckel (1874–1935) zu einer umfassenden Schulreform. Glöckel sah und erkannte in seiner Zeit als Volksschullehrer in einem Wiener Arbeiterbezirk (ab 1892) die Ungerechtigkeiten im bestehenden Bildungssystem. Im Rahmen seiner großangelegten Schulreform sollten alle Kinder, ungeachtet ihrer finanziellen Möglichkeiten und ihrer Herkunft, die gleichen Bildungschancen erhalten. Otto Glöckel förderte die Demokratisierung der Schule, indem er Lehrer, Eltern und Schüler mitbestimmen ließ und die Wahl von Schul- bzw. Klassensprechern ermöglichte. Die Lehrpläne wurden modernisiert und neue Schulbücher gedruckt. Seinem Schulkonzept zufolge sollten die Kinder zu Selbständigkeit und kreativem und kritischem Denken erzogen werden. Bis heute ist sein Entwurf für eine Gesamtschule Vision geblieben (Nikolaus Severinski, Die Gesamtschulidee : historischer Aufriß mit besonderer Berücksichtigung der "Glöckelschen Schulreform" in Österreich).

Im Jahr 1927 ersetzte die Hauptschule die veraltete „Bürgerschule“, und wurde zur Pflichtschule für die 10- bis 14-Jährigen.

Mit der Einführung des austrofaschistischen „Ständestaates“ 1934 wurden zahlreiche Reformen Glöckels wieder zurückgenommen, die katholische Kirche gewann großen Einfluss auf das Schulwesen, der Anteil der Ordensschulen nahm stark zu, und die in der Ersten Republik begonnene Demokratisierung der Schule wurde rückgängig gemacht. (Otto Glöckel selbst wurde 1934 verhaftet und in das berüchtigte Anhaltelager Wöllersdorf verbracht; gezeichnet von der Haft starb er bereits im darauf folgenden Jahr.)

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurden jüdische bzw. als politisch unzuverlässig eingeschätzte LehrerInnen entlassen – jüdische SchülerInnen wurden der Schule verwiesen. Das Schulwesen wurde gemäß nationalsozialistischer Ideologie umgestaltet, Privatschulen geschlossen und der kirchliche Einfluss in den Schulen stark zurückgedrängt. Mädchen versuchte man aus höheren Schulen fernzuhalten.


Schulbeginn: Lehrer und Schüler zeigen den Hitlergruß, Wien, 1940 (nicht online verfügbar). Albert Hilscher; ÖNB H 6066/4


Feierstunde zu Hitlers Geburtstag in einer Volkschule. Die Schüler hören die Rundfunkübertragung der Geburtstagsansprache von Rudolf Heß.Verlag Weltbild, 1940

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden aufgrund des LehrerInnenmangels sehr bald politisch „Minderbelastete“ wieder zum Schuldienst zugelassen.

Geschlechtergetrennter Unterricht war lange Zeit die Norm. Erst nach dem Ende der Monarchie wurden koedukative Schulklassen eingeführt. In der Zeit des Ständestaates und im Nationalsozialismus wurde der getrennte Unterricht von Mädchen und Buben wieder stärker forciert. Erst 1975 wurde die gesetzliche Geschlechtertrennung in Schulen endgültig aufgehoben.


August Stauda, Portal der städtischen Knabenvolksschule im Piaristenkloster, Wien 8, 1899

 


FotografIn unbekannt, Mädchen in der Klosterschule, um 1925

Mit der Schulreform 1962 wurde die Schulpflicht auf nunmehr neun Jahre verlängert.

Unter Bruno Kreisky flossen besonders hohe finanzielle Mittel in Bildung und gerechte Bildungschancen sowie individuelle Förderung für alle Kinder; die Gratis-Schulbuch-Aktion wurde ins Leben gerufen, Schülerfreifahrten und Schülerbeihilfen wurden eingeführt.

Eine frühe Form der vom Regelschulwesen abweichenden Wissensvermittlung ist die heute noch populäre Montessori-Pädagogik. Sie stellt das Kind in seiner Individualität in den Mittelpunkt und hat das Ziel, die Freude am Lernen zu wecken. Bereits 1917 wurde das erste „Montessori-Kinderhaus“ in Wien eröffnet, die erste Montessori-Schule 1924 in der Troststraße, Wien 10.

Eine Zeitgenossin Maria Montessoris und Pionierin in der Mädchenbildung war Eugenie Schwarzwald (1872–1940), die Begründerin der „Schwarzwaldschule“. Sie promovierte 1900 an der Universität Zürich und übernahm anschließend in Wien ein Mädchenlyzeum; die erste Schule, an der Mädchen maturieren durften und an der unter anderem Oskar Kokoschka oder Adolf Loos unterrichteten.


FotografIn unbekannt, Montessorischule in Wien 10, Trostraße 98: Kinder bei der „Küchenarbeit“, um 1930


 


Österreichische Lichtbildstelle, Französischunterricht in der Schwarzwaldschule in Wien 1, Wallnerstraße 9, um 1935


 

Eine „moderne Schule“ in Wien war dem Pressefotografen Albert Hilscher 1952 sogar eine Fotoreportage wert; die Mädchen erhielten Unterricht in Werken, die Buben hingegen lernten Handarbeiten und Kochen; heute in den Schulen eine Selbstverständlichkeit, war das im Österreich der beginnenden 1950er Jahre eine berichtenswerte Innovation.


Albert Hilscher, Moderne Schule: Mädchen lernen tischlern, Wien 1952


 


Albert Hilscher, Moderne Schule: Buben lernen kochen, Wien 1952


Ein kleiner Bilderbogen von Schulfotos aus vergangenen Tagen

Kinder, die die meiste Zeit des Schuljahres barfuß – und oftmals weite Strecken – zur Schule gehen mussten, da sich ihre Eltern kaum Schuhe leisten konnten, sind auf den Fotos aus ländlichen Gebieten aber auch aus dem Wien der Nachkriegszeit zu sehen.


Adolf Albin Blamauer, Kinder nach Unterrichtsschluss vor der Volksschule Allentsteig, um 1900


 


Adolf Clima-Paternion, Lehrer mit Schülerinnen und Schülern in der einklassigen Volksschule in Außerteuchen/Kärnten, um 1930


 


Albert Hilscher, Schüler aus Böheimkirchen, Sieger im Aufsatzwettbewerb „Heimaterde wunderhold“, 1935


 


Lothar Rübelt, Schülerausspeisung Werdertorgasse, Wien 1, im Rahmen der „Schweizer Spende“ (Hilfsaktion nach dem 2. Weltkrieg), 1947


 


USIS, Die Volksschule in Nußbaum (Waldzell) erhält von der US-Besatzungsbehörde eine Bücherspende, 1948


 


Albert Hilscher, Beginn des Schuljahres 1951/52, 1. Klasse, Wien, September 1951

Weiteres Bildmaterial

Zahlreiche Abbildungen zum vielfältigen Thema Schule finden Sie z.B. mit den Suchbegriffen „Schulklasse*“, „Bürgerschul*“, „Volksschul*“ „Schüler*“ und Anklicken des Filters „Fotografie“ sowie der Möglichkeit der zeitlichen Einschränkung unter:

ÖNB Digital oder für die detailliertere Suche unter

Bildarchiv Austria

Tipps und Tricks zur professionellen Recherche in unseren Bilddatenbanken vermitteln wir in unserem Trainingsprogramm; als Präsenzschulung oder – brandneu – unserem Webinar „Auf gut Klick“. Der digitale Lesesaal der Österreichischen Nationalbibliothek“. Anmeldung unter information[at]onb.ac.at.

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Über die Autorinnen: Mag. Michaela Pfundner ist stellvertretende Leiterin Bildarchiv und Grafiksammlung, Mag. Margot Werner ist Leiterin der Hauptabteilung Benützung und Information.

Können wir Ihnen bei Fragen zu diesem oder einem anderen Thema helfen? Kontaktieren Sie unsere BibliotheksexpertInnen:

Abt. Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement
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