die Aufgabe, immer fremde Musik studieren und aufführen zu müssen, stand in absolutem Kontrast zu meinem tönenden Innenleben.

Grete von Zieritz wurde 1899 in Österreich geboren, verlegte aber mit achtzehn Jahren ihren Wohnsitz nach Deutschland. Dort erarbeitete sie sich über viele Jahrzehnte einen Status als anerkannte Komponistin. Sie erlangte sowohl in Deutschland als auch international Bekanntheit – unter anderem unterstützt durch den aufkommenden Hörfunk. Ihre Beziehung zu Österreich war nicht unbelastet. Innerlich immer auf ihre ursprüngliche Heimat bezogen, fand sie dort erst spät etwas von der gewünschten Anerkennung.

Grete von Zieritz, ca. 1980. (Misc.102/B/2)

Jugend

Der Lebensweg Grete von Zieritz‘ folgte zunächst den zahlreichen beruflichen Stationen des Vaters, der Berufsoffizier war. Sie begann schon früh eine pianistische Ausbildung und hatte Unterricht in Wien, Innsbruck, Lemberg und als Jugendliche schließlich in Graz. Dort studierte sie an der Schule des Steiermärkischen Musikvereins (heute: Universität für Musik und darstellende Kunst Graz) bei Hugo Kroemer. Mit 13 Jahren komponierte sie ohne Vorkenntnisse eine Romanze für Violine und Klavier. Roderich von Mojsisovics, damals Direktor der Schule, war von diesem Erstling so beeindruckt, dass er sie zum Kompositionsstudium bei sich einlud.

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Romanze für Violine, Autograph aus dem Jahr 1912. (Mus.Hs.39504)
Sie erkannte in diesem frühen Werk ihren Einstieg in ein Leben als Musikerin.

Sich komponierend auszudrücken war von den ersten Versuchen an von größter Bedeutung für Zieritz – „die Aufgabe, immer fremde Musik studieren und aufführen zu müssen, stand in absolutem Kontrast zu meinem tönenden Innenleben“.

Berlin

Im Jahr 1917 ging Grete von Zieritz nach Berlin, um ihr Klavierspiel bei Martin Krause zu perfektionieren. Dieser Besuch, angetreten auf Empfehlung Mojsisovics, war für drei Monate geplant. Sie entschied sich jedoch, sich unabhängig zu machen und in Berlin zu bleiben. Die Stadt wurde ihr Lebensmittelpunkt.

Grete von Zieritz nach zehn Jahren Aufenthalt 1928 in Berlin. Fotografie von Suse Byk (1848–1943). (Misc.102/C/17)

Die „Japanischen Lieder“ waren Zieritz’ erster durchschlagender Erfolg. Das Werk für Sopran und Klavier ordnete sich in eine Strömung von exotisch inspirierter Literatur und Musik ein, die in den 20er Jahren populär war. Der Zuspruch motivierte sie, ihre Stelle als Klavierlehrerin am Stern’schen Konservatorium aufzugeben. Von da an strebte sie ein Leben als freischaffende Komponistin und Pianistin an.

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Bei den „Japanischen Liedern“, hier im Autograph, handelt es sich um 15 Lieder auf japanische Gedichte. (Mus.Hs.33309)
Sie waren ein großer Erfolg noch vor den prägenden Jahren bei Franz Schreker. Die Übersetzungen stammen von Paul Alfred Enderling.

Schülerin von Franz Schreker

Die Eheschließung im Jahr 1922 und die folgende Geburt der Tochter bedeuteten eine Unterbrechung ihrer künstlerischen Aktivitäten als Komponistin – allerdings nur für einige Jahre. Nach der Trennung von ihrem Mann 1926 griff sie die Einladung Franz Schrekers auf, in seiner Klasse Komposition zu studieren. Bis 1931 blieb sie dessen Schülerin.

Franz Schreker galt als Meister der Orchestrierung, eine Kunst, mit der sich auch Zieritz intensiv auseinandersetzte. Schrekers fordernder Anspruch hat sich laut Zieritz nie den individuellen Ausdrucksweisen seiner Schüler*innen in den Weg gestellt. „Passion im Urwald“ gilt als erstes größeres von diesem Unterricht geprägtes Werk. Es war individueller und damit auch umstrittener als Zieritz’ früher Erfolg der japanischen Lieder, fand aber auch Zuspruch von Musikern ersten Ranges wie Erich Kleiber.

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Für die Uraufführung von „Passion im Urwald“ musste Zieritz zwei Jahre lang kämpfen. (Mus.Hs.33292)
Sie fand 1932 durch die Berliner Symphoniker statt.

Grete von Zieritz bemühte sich intensiv um Präsenz in deutschen Konzertsälen. So gelangen ihr Höhepunkte wie die Aufführung der „Vogellieder“ unter Karl Böhm in Dresden. Eine Auswahl der „Japanischen Lieder“ für das Internationale Musikfest Frankfurt am Main 1939 war das einzige Werk einer Frau unter Komponisten aus 18 Nationen. Die mediale Wahrnehmung ging über Deutschland teils weit hinaus.

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Die „Vogellieder“ sind für Sopran, Soloflöte und Orchester gesetzt. (Mus.Hs.33316)
„Mindestens zwei Harfen“ waren als Teil des großen Orchesters vorgesehen, was bei der Uraufführung für Finanzierungsprobleme sorgte.
Karl Böhm musste auch mit der Sopranistin verhandeln. Er schlug Zieritz sogar vor, sie solle selbst dirigieren. (Mus.Hs.33851/1)
Zieritz wurde international wahrgenommen. Komponierende Frauen wurden aber auch im Positiven stets als seltene Ausnahmen dargestellt. (Misc.102/A/2)

In vielen ihrer Kompositionen der Zeit trat das Klavier prominent auf, was für sie, selbst exzellente Pianistin, die eigene Mitwirkung sicherstellte. Die Arbeit als Pianistin unterstütze jene als Komponistin finanziell. Erst im Pensionsalter gab sie das professionelle Musizieren auf.

Ausgestrahlt in alle Welt

Obwohl die Nationalsozialisten an der Förderung von Komponistinnen keinerlei Interesse hatten und ihre Beteiligung an öffentlichen Veranstaltungen teilweise unterdrückten, war Grete von Zieritz auch im Dritten Reich wohlgelitten. Sie hatte verschiedene Möglichkeiten, sich zu präsentieren. Das noch junge Medium Rundfunk spielte dabei eine besondere Rolle.

Zieritz hatte viel Sinn für dramatische Musik, aber weder Zugang zum Musiktheater noch zum aufkommenden Tonfilm. Das Radiohörspiel stand ihr als Betätigungsfeld jedoch offen und sie komponierte in den Jahren 1936 und 1937 fünf Hörspielmusiken für verschiedene Instrumente. Die Inhalte waren im Dritten Reich stark ideologisch ausgerichtet. Über den international empfangbaren Kurzwellensender erreichten sie Deutsche in aller Welt. Ihre Musik trug kongenial zur Vermittlung der erwünschten Botschaften bei.

Ausschnitt aus dem Hörspiel „Deutsche in aller Welt“, Autograph aus dem Jahr 1937/38. (Mus.Hs.33288)

Musikpolitik

Die Möglichkeit von Musik, innere politische Haltungen nicht durch das Wort, sondern emotional zu vermitteln, sah Grete von Zieritz schon früh: Schon die 1917 uraufgeführte und heute verschollene Violinsonate „1914“ nahm auf politische Ereignisse Bezug. Als „Musikpolitik“ bezeichnete sie dieses zentrale Anliegen, das in vielen nach dem 2. Weltkrieg komponierten Werken Ausdruck fand.

Kassandra-Rufe, 1. Bild. Violine - Erwachen. Martin Wissner. Arte Nova Classics, 1986, 74321 65421 2. (CD2513)

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Kassandra-Rufe, 1. Bild. Violine - Erwachen. Martin Wissner. Arte Nova Classics, 1986, 74321 65421 2. (CD2513)

Sie verarbeitete auf Basis dieses Konzepts mehrere Werke, die das Schicksal von Roma und Sinti thematisierten. Im Chorwerk „Kosmische Wanderung“ (1968) und den „Kassandra-Rufen“ für 8 Soli und Nonett (1986) nahm sie die Bedrohungen des Atomzeitalters auf. Das Werk „Der Waldspaziergang. Szene für Klarinette solo“ (1984) entstand in der Zeit der Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion. Es wurde im Rahmen der Initiative „Künstler für den Frieden“ 1984 in Minsk uraufgeführt.

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Die Niederschrift der Kassandra Rufe-stammt aus dem Jahr 1986. (Mus.Hs.40475)
Jedes der zehn Bilder wurde für ein anderes Instrument vertont, das erste für Violine solo.

Bilanzen

Grete von Zieritz starb 2001, sie wurde 102 Jahre alt. Ab ihrem 80. Geburtstag begannen sich die Würdigungen des offiziellen Deutschland und Österreich zu mehren. Ihr künstlerisches Leben bezeichnete sie im Rückblick als entbehrungsreich. Die Vielzahl an Ehrungen und Aufführungen ließ sie nicht übersehen, dass sie nie für Oper oder Ballett komponieren konnte. Nur notgedrungen brachte sie ihre dramatische Veranlagung in kleineren Formen zum Ausdruck, weil für größere trotz ihres beharrlichen Bemühens der Auftrag fehlte.

Obwohl Grete von Zieritz die Entbehrungen einer Karriere als Komponistin bewusst waren, stellte sie sich stets gegen ihre Förderung „als Frau“ im Kulturleben. Sie lehnte die Teilnahme an Konzerten ab, die ausschließlich Komponistinnen brachten, da sie nicht als Vertreterin eines Geschlechts, sondern als schaffendes Individuum in Erscheinung treten wollte.

Zieritz äußerte sich immer wieder gegen die Ghettoisierung von Komponistinnen in einer eigenen Nische. (Misc.102/B/18)

Werk

Grete von Zieritz schuf über 160 Werke. Der Wille zum unmittelbaren Ausdruck ihres Innenlebens und ihrer Wahrnehmungen von der Welt ist eine prägende Eigenheit. Diese Unmittelbarkeit wurde durch die Ausbildung bei Mojsisovics und Schreker formal streng gebunden und war keineswegs Beliebigkeit.

Die Klavier- und Kammermusik bilden im Werk Zieritz’ ein Zentrum, wobei sie regelmäßig nach seltenen, reizvollen Besetzungen, oftmals unter Beteiligung von Holzbläsern, sucht. Schwerpunkte sind zudem Orchestermusik, darunter viele Konzerte wie „Das Gifthorner Konzert“ für Flöte, Harfe und Streichorchester, op. 68 (1940), die Serenata für 4 konzertierende Solobläser, Harfe, Schlagzeug und Streichorchester, op.  89 (1950) und „Le Violon de la mort“ für Violine, Klavier und Orchester, op. 103 (1956/57), sowie Vokalmusik, darunter zahlreiche Lieder.

Teilnachlass Grete von Zieritz: data.onb.ac.at/rec/AC13827108

Rita Aigner: Grete von Zieritz. Leben und Werk, 1991. http://data.onb.ac.at/rec/AC01365403

Beate Philipp: Grete von Zieritz und der Schreker-Kreis. Die Kunst des unbedingten Ausdrucks, 1993. data.onb.ac.at/rec/AC01012524

Anna-Christine Rhode-Jüchtern: Schrekers ungleiche Töchter. Grete von Zieritz und Charlotte Schlesinger in NS-Zeit und Exil, 2008. http://data.onb.ac.at/rec/AC07540403

Nutzung der Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Rechtsnachfolger*innen.

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