Und dann gab es einen dummen Witz: Die Leute sagten, wenn es etwas gibt, das man nicht übersetzen kann, dann soll man es dem Fried geben.

(1975, Freiheit 25) 

Von ersten Fingerübungen zum anerkannten Übersetzer

Erich Frieds Beweggründe für erste Übersetzungen aus dem Englischen zeigen einen interessanten autodidaktischen Zugang zu Literatur: Sie sollten ihm hauptsächlich ein tieferes Verständnis für die englische Lyrik verschaffen. Die ersten abgedruckten Übersetzungen stammten dann aber von russischen Gedichten. 1941 erschien in der Exilzeitschrift „Young Austria“ des Austrian Centre die Nachdichtung eines ins Englische übersetzten russischen Lieds. Im darauffolgenden Jahr konnte man in der Nr. 23 von "Young Austria" Frieds Übertragung "Wart auf mich" lesen. Es handelte sich dabei um die Übersetzung der englischen Version eines Gedichts des sowjetischen Schriftstellers Konstantin Michailowitsch Simonow.

Meine ursprünglichen Gründe zu übersetzen waren, dass ich englische Gedichte eigentlich nur verstehen zu können glaubte, genau zu verstehen, wenn ich sie mir übersetze. Dabei habe ich wirklich etwas gelernt.

(1987, Freiheit 52)

Nachdem Fried für die BBC schon einige kleine Auftragsübersetzungen übernommen hatte, eröffnete sich ihm 1954 durch eine dringliche Anfrage der Hörspielabteilung der BBC eine Chance mit weitreichenden Folgen. Er erhielt den Auftrag, "Under Milk Wood" des walisischen Dichters Dylan Thomas ins Deutsche zu übertragen. Daraus wurde die legendäre Übersetzung "Unter dem Milchwald", die Erich Fried mit einem Schlag zu einem angesehenen Übersetzer machte. Der renommierte Suhrkamp-Verlag, der die deutschen Rechte auf den Waliser Autor hatte, erkannte Fried daraufhin als Thomas-Übersetzer an.

Wenn du Under Milk Wood in einer Woche übersetzen kannst, dann können wir das aufführen. Für eine Woche können wir dich ausborgen. Da habe ich gesagt: Okay, gebt mir die beste Sekretärin. Und ich habe es übersetzt. Aber später dann natürlich noch ein bisschen korrigiert. Ich hatte viel zu wenig Zeit dazu, und das merkt man auch.

(1987, Freiheit 53)

Bloß keine politischen Autor*innen!

Wenngleich es sich bei "Unter dem Milchwald" um eine Auftragsarbeit handelte, war Erich Fried in weiterer Folge sehr selektiv und achtete darauf, sich in der Wahl der Texte keine Zwänge auferlegen zu lassen. Er übersetzte nach Möglichkeit Autor*innen, die ihm am Herzen lagen oder die er als Herausforderung empfand. Interessanterweise schienen ihm dabei auch jene Schriftsteller*innen wichtig, die weniger durch ihr politisches Engagement aufgefallen waren.

Und die Dichter, die ich hauptsächlich übersetzt habe und die ich sehr liebte, wie Dylan Thomas und Sylvia Plath, sind recht unpolitische Dichter. Eliot, von dem ich viel übersetzt habe, ist gar ein sehr rechts stehender Dichter und politisch fast ein Faschist gewesen, und Shakespeare ist auch nicht gerade ein besonders politischer Dichter.

(1978, Freiheit 72f.)

Neben Werken von Dylan Thomas und T. S. Eliot übersetzte Fried unter anderem auch "Ariel" der amerikanischen Autorin Sylvia Plath oder das 'unübersetzbare' "Finnegans Wake" von James Joyce. Unter den vielen weiteren Übersetzungen sind Texte von John Arden, Steve Gooch, Graham Greene, Jakov Lind, vom israelischen Autor David Rokeah oder von John Whiting. Nicht vergessen sollte man die Übersetzung und Bearbeitung der Komödie "Lysistrata" des griechischen Dichters Aristophanes; eine Mischung aus klassischer humanistischer Schulbildung und großer Sprachbegabung kam Fried bei der Bewältigung dieser Aufgabe zugute.

Erich Frieds einzige Übersetzung aus dem Altgriechischen (Quelle: NL Fried. Foto: Martin Wedl).

Only Shakespeare is the limit!

Wann beginnen eure Proben? Wann kriege ich eines eurer Rollenbücher? Soll die Veröffentlichung die Szenenangaben der Cambridge University Press-Ausgabe von Quiller-Couch und Dover Wilson enthalten? Wann soll die Premiere stattfinden?

(1963, Briefe 41)

1963 bedeutet für Erich Fried unter mehreren Gesichtspunkten einen Wendepunkt in seiner schriftstellerischen Karriere. Er wurde nicht nur zum Treffen der "Gruppe 47" im Oktober eingeladen, er arbeitete auch an seiner ersten Übersetzung des berühmtesten englischen Dramatikers William Shakespeare. Am 9. Mai hatte "Ein Sommernachtstraum" im Theater der Freien Hansestadt Bremen unter der Regie von Peter Zadek Premiere. In der "ZEIT" schrieb K. Hohe: "Doch Frieds Übersetzung zeichnet sich nicht nur durch große Genauigkeit aus, geht nicht nur geschickt auf Shakespeares Wortspiele ein, sondern sie ist vor allem die poetischere im Vergleich zu den anderen. Fried hat gar nicht versucht, 'modern' zu übersetzen, sondern, so sagt er selbst, 'wie es ein Mann zu Schlegels Zeit, aber mehr mit Goethes als mit Schlegels Sprachbegabung ... so ungefähr getan hätte'." (Hohe)

Hörbeispiel: Erich Fried spricht 1980 von Min. 22:06 bis 24:14 über seine Shakespeare-Übersetzungen und die scheinbare Unmöglichkeit, dem Original gerecht zu werden (Österreichische Mediathek, 6-02433_b_k02, mit freundlicher Genehmigung des Österreichischen Rundfunks).

Seine Frau Catherine Boswell Fried erinnerte sich später eindrücklich an die akribische Arbeit, die Erich Fried jeder neuen Übersetzung widmete. Die Unterstützung einer Sekretärin, Disziplin und ein raffiniertes System von Markierungen waren notwendig, um der Herausforderung gewachsen zu sein. Insgesamt fertigte Fried 27 Shakespeare-Übersetzungen an.

Der Arden-Shakespeare, der Cambridge-Shakespeare, der Penguin-Shakespeare, dazu diverse, auch alte Wörterbücher und noch weitere Ausgaben in einer Reihe auf Erichs Schreibtisch, gleich rechts von meiner Staffelei und einen Farbspritzer entfernt von meinem Pinsel. Hinter ihm, Rücken an Rücken, Greta Hornung, seine Sekretärin, wir drei in sein vollgestopftes und überquellendes Arbeitszimmer zwischen all die Stapel gezwängt. Sie arbeiteten an Heinrich V., Erichs zweiter Shakespeare-Übersetzung, ich malte sein Porträt.

(Kurz 71)

Er hatte sich kleine Hilfsmittel gebastelt, damit er seine Stellen nicht verlor: dreizackige Lesezeichen, die er aus Joghurtbechern ausgeschnitten und in jeder seiner Ausgaben an den Seitenrand gesteckt hatte, zwei Zacken dahinter und die mittlere mit der schwarzen Markierung an der Spitze vorn. […] Da Greta an der Schreibmaschine saß, hatte er die Hände frei, um die Lesezeichen mit den schwarzen Spitzen simultan auf den Seiten aller Ausgaben hinabzuschieben. Ich beobachtete, wie seine Froschaugen von Band zu Band glitten und schon die nächste Zeile aufnahmen, während er noch die Übersetzung der vorigen diktierte.

(Kurz 72)

Eines jener Lesezeichen für seine Shakespeare-Übersetzungen, die Fried aus Joghurt-Bechern hergestellt hatte (Quelle: NL Fried. Foto: Martin Wedl).

Hörbeispiel: Erich Fried spricht 1972 von Min. 12:27 bis 13:50 über die Funktion des Übersetzens für ihn selbst, über gute Shakespeare-Übersetzungen und ein "Wettrennen" mit August Wilhelm Schlegel (Österreichische Mediathek, 10-16487_a_k02, mit freundlicher Genehmigung).

Erkenntnisse

Letzten Endes, wenn man es mit einer gewissen wissenschaftlichen Gründlichkeit machen will, kommt man zur Einsicht, dass man eine Übersetzung überhaupt nicht machen kann. Man muss sich schon ein bisschen darauf einlassen, auch im Sinne von Glauben.

(1987, Freiheit 62) 

Dass ausgerechnet der Atheist Erich Fried den Begriff des Glaubens ins Spiel bringt, wenn er von der Kunst des Übersetzens spricht, betont die Schwierigkeiten und Widersprüche dieser Arbeit. Eine andere wichtige Einsicht setzte sich langsam durch, als die Nachfrage nach den Shakespeare-Übersetzungen stieg. Das Übersetzen hatte sich zu einem Brotberuf entwickelt, der ihn in seinem eigenen Schreiben zunehmend unabhängig machte. Die Entscheidung, 1968 die Tätigkeit bei der BBC aufzugeben, wurde ihm dadurch erleichtert. Man könnte die neu gewonnene Freiheit als Dichter und Autor durchaus "Die Freiheit den Mund aufzumachen" nennen. Dazu äußerte er sich 1982 bei einem Symposium sehr differenziert und legte einen fundamentalen Widerspruch frei, mit dem (politische) kritische Autor*innen häufig konfrontiert sind. Wenn sie kein anderes Einkommen als jenes aus der Schriftstellerei haben, sind sie meist auf staatliche Förderungen und Preise angewiesen. Das wirft die Frage auf: Können sie die Hand, die sie füttert, noch beißen?

Hörbeispiel: Erich Fried spricht 1982 von Min. 1:15:50 bis 1:18:20 über den Georg-Büchner-Preis und ökonomische Unabhängigkeit als Voraussetzung für kritisches Schreiben (Österreichische Mediathek, 99-82133_k02, mit freundlicher Genehmigung).

Achtung
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