Sein Schreiben und seine Familienlesungen im Speisezimmer, bei denen ich mich nicht rühren durfte, haben mich etwa von meinem fünften bis zum neunten Lebensjahr literarisch angeregt. Sein Mißerfolg und meine Abneigung gegen ihn haben mich viele Jahre lang abgehalten, Schriftsteller werden zu wollen.
(1986–1988, Leben 26)
Hörbeispiel: Erich Fried erinnert sich 1972 von Min. 3:23 bis 3:50 an die schriftstellerischen Ambitionen seines Vaters (Österreichische Mediathek, 10-16487_a_k02, mit freundlicher Genehmigung).
Auch, wenn die eigenen schriftstellerischen Ambitionen und die Erfolglosigkeit des Vaters zuerst ein Hindernis waren, erkannte Hugo Fried später doch das Talent seines Sohnes an und ermunterte ihn zum Schreiben. In Wien fand Erich Fried jedoch keine Möglichkeit mehr für einen Abdruck seiner Texte. So blieb neben Gedichten auch beispielsweise ein mit 16 Jahren verfasster utopischer Roman unbekannt. Seine ersten Veröffentlichungen stammen aus der Zeit des Londoner Exils, es handelte sich dabei um vereinzelte Gedichte in Exilzeitschriften. Auf der österreichischen Emigrant*innenbühne, dem "Laterndl" in London, wurde 1941 der Einakter "Ring-Rund" aufgeführt. "They Fight in the Dark. The Story of Austria’s Youth, based on actual facts", ein stark propagandistisch gefärbter Text, war 1944 Frieds erste selbständige Publikation.
Es muß sein
Zu den Fliegerangriffen auf Wien
Mein Herz muß vereisen,
vereisen muß mein Herz.
Die grauen Vögel weisen
heimatwärts,
heimatwärts.
Ihre Rippen, die sind aus Eisen,
ihre Botschaft ist brennend Erz!
Jetzt will mein Herz verreisen
heimatwärts,
heimatwärts.
(1945, GW 1, 42)
Die deutsche Schriftstellerin Elisabeth Langgässer, mit der Erich Fried nach dem Krieg Bekanntschaft geschlossen hatte, verhalf ihm zum Kontakt mit dem Hamburger Verlag Claassen. Eine Veröffentlichung scheiterte jedoch am Tod des Verlegers Eugen Claassen; erst 1958 erschien ein Band mit dem schlichten Titel "Gedichte". Fried wollte einerseits zu keinem anderen Verlag, andererseits war er von der politischen Lage in Ost und West desillusioniert. Im Lauf dieser Jahre veränderte er seinen künstlerischen Zugang zur Sprache und wandte sich zunehmend vom "ernsten Sprachspiel" ab. Diese in der englischen Literatur anerkannte Form des spielerischen Umgangs mit der Sprache hatte in der deutschen Nachkriegsliteratur keinen Platz. Später beriefen sich namhafte konkrete Poeten wie Ernst Jandl darauf, durch Fried wichtige Impulse für ihr Schreiben erhalten zu haben.
Ich muß nur die Augen zumachen und sehe noch, wie damals Hilde Claassen die Veröffentlichung dieses Bandes mit mir besprach, den sie wollte, obwohl sie ganz genau wußte, daß damit kein Geschäft zu machen war. Ich meinerseits verzichtete auf jede Vorauszahlung usw., behielt mir nur alle Nebenrechte, Nachdruck, Funk usw. vor. Ich glaube, wir haben nicht einmal einen schriftlichen Vertrag geschlossen. Es war mein drittes Buch bei ihr. Meinungsverschiedenheiten gab es nie.
(1984, Briefe 91)
Dass Erich Fried 1960 einen Roman mit dem Titel "Ein Soldat und ein Mädchen" veröffentlichte, ist heute weitgehend unbekannt. Fast 15 Jahre hatte er daran gearbeitet. Er lieferte damit einen ästhetisch und inhaltlich radikalen Beitrag zur Frage nach Schuld und Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen. Ausgangspunkt für den Roman war der reale Prozess gegen die 1945 hingerichtete 22-jährige KZ-Aufseherin Irma Grese.
Das Buch ist eine Montage von (alb-)traumartigen Erzählungen eines fiktiven amerikanischen Soldaten. Ein ebenfalls fiktiver Chronist hat die Texte zusammengestellt und mit Kommentaren versehen. Fried veröffentlichte später mehrere Bände mit Prosa, zu einem weiteren Roman konnte er sich aber trotz guter Kritiken, einiger Übersetzungen und einer Neuauflage (1982) nicht entschließen.
In all den Jahren hat mir dieses Buch mehr als irgendeine andere Arbeit bedeutet, ausgenommen einzelne Gedichte. Dennoch kostete es mich fast immer große Überwindung, daran zu arbeiten. Die hier gestellten Fragen schienen und scheinen mir immer noch sehr wichtig, und mein eigener Widerstand, mich diesen Fragen zu stellen und etwas Verbindliches dazu zu sagen, war dementsprechend groß.
(1960, GW 4, 205)
Hier ist versucht worden, durch eine Art Umzingelung, durch Zurufe und sprechende Gesten von vielen verschiedenen Seiten her, dem Empfänger der Nachricht das Entrinnen zu erschweren.
(1960, GW 4, 207)
Die Frage, in welcher Sprache er schreiben soll, dürfte Fried recht bald für sich geklärt haben. Seine Frau Catherine Boswell Fried erinnerte sich, dass er nach der Ankunft in England zuerst ein ganzes Wörterbuch auswendig gelernt hatte. Doch die Verbundenheit mit der Muttersprache, die Vertrautheit vor allem mit der deutschen Literatur gaben schließlich den Ausschlag. Lange dachte und schrieb Fried weiterhin in der Sprache des Wiens der Zwischenkriegszeit, die noch stark von der Monarchie geprägt war. Bis er sich im "neuen" Deutsch der Nachkriegsära zurecht- und wiederfand, vergingen etliche Jahre.
Erst in meinen späteren Gedichten, angefangen etwa von den Warngedichten (Hanser, München 1964), hatte ich wieder so viel drauf, wie in Deutschland gesprochen und sprachlich empfunden wurde, dass ich nicht unfreiwillig Dinge, die ich völlig ernst meinte, Dinge, die aber im Land durch Missbrauch zu Klischees geworden waren, kopiert habe. Von da an aber war das Existieren in zwei Sprachen sehr vorteilhaft.
(1978, Freiheit 28)
Hörbeispiel: Erich Fried spricht 1980 von Min. 24:14 bis 25:18 über die künstlerisch-ästhetischen Vorteile des Lebens in einem anderen Sprachraum (Österreichische Mediathek, 6-02433_b_k02, mit freundlicher Genehmigung des Österreichischen Rundfunks).
Die 1960er-Jahre sind das Jahrzehnt, in dem Erich Fried zu einer Fixgröße im deutschen Literaturbetrieb wurde. Ein wichtiger Schritt aus dem (künstlerischen) Exil in Richtung Deutschland war 1963 die Einladung zum Treffen der "Gruppe 47" in Saulgau. Von da an war er bis zum letzten Treffen 1967 dabei. Fried rechnete sich selbst dem 'politischen Flügel' zu und sah sich in seiner Entwicklung besonders beim Treffen 1966 in Princeton bestätigt. Dort waren vor allem seine politischen Gedichte sehr gut aufgenommen worden. In Günter Grass fand er einen teils vehementen Widersacher, was einem respektvoll-kollegialen Umgang in späteren Jahren aber keinen Abbruch tat.
In seinem Schlußwort sagte Hans Werner Richter von mir, es freue ihn, daß ich mich "wie" zu Hause gefühlt habe. Ich möchte da ein einziges Wort richtigstellen: Ich hatte nicht gesagt "wie" zu Hause, sondern schlicht und einfach "zu Hause". Ich habe mich zum ersten Mal seit vielen Jahren zu Hause gefühlt, an einem Ort, an den ich hingehöre.
(1963, Leben 80)
In den 1970er-Jahren schien der künstlerische Anspruch von Erich Fried gegen das politische Engagement stellenweise ins Hintertreffen zu geraten. Die Themen, die sich ihm aufdrängten und die er in seinen Gedichten verarbeitete, standen einer poetischen Sprache offenbar im Weg.
Trockene Gedichte
Ich weiß daß diese Gedichte
trocken sind
vom Staub des Unrechts bedeckt
das sie bekämpfen
Aber bleibt mir die Wahl
von anderen Dingen zu schreiben
von denen ich gerne schriebe
oder muß ich zuerst
das da schreiben
um Zeugnis abzulegen
was mich bedrückt
und gegen die die bedrücken?
Viele Zeilen
sind ohne Freude geschrieben
und was ich sage in ihnen
das sage ich ungern
Aber ich sage es doch
denn es muß gesagt sein
unverschleiert
bitter vom Staub des Unrechts
Und wenn es trocken ist
so sind daran auch die schuld
die schuld daran sind
daß es gesagt werden muß
(1974, GW 2, 141f.)
Mit diesem Dilemma hatte Fried bis zuletzt zu kämpfen, und so schien er sich noch 1987 in "Am Rand unserer Lebenszeit", einem seiner letzten Gedichtbände, Mut machen zu müssen. In einem "Vorspruch" schrieb er von der "unbeholfenen Wahrheit", die sich den geschliffenen Worten entgegenstelle: "Dann muß nicht immer / Kunstfertigkeit der Sprache / an ihr sich versuchen // Nein, unverbessert / und unverbesserlich / ist sie am besten" (1987, GW 3, 230).
Das Jahr 1979 stellte einen markanten Einschnitt in der künstlerischen Laufbahn von Erich Fried dar. Mit der Veröffentlichung seines Bands "Liebesgedichte" wurde er endgültig zum dichtenden Superstar. Hatte er seine "lyrische" Sprache wiedergefunden? Wohl nicht im Sinn eines blumigen, schwülstigen Stils, in dem die Geliebte angebetet wird. Vielmehr traf Fried den Ton einer Generation, die sich aus gesellschaftlichen und moralischen Zwängen zu befreien suchte und in einer neuen Sprache über Liebe und Sexualität sprach. Frieds Gedichte drücken mit ebenso einfachen wie treffenden Worten tiefe Empfindungen aus. Bis 2021 erschienen von den "Liebesgedichten" mehr als 500.000 Exemplare in 54 Auflagen.
Ohne dich
Nicht nichts
ohne dich
aber nicht dasselbe
Nicht nichts
ohne dich
aber vielleicht weniger
Nicht nichts
aber weniger
und weniger
Vielleicht nicht nichts
ohne dich
aber nicht mehr viel
(1979, GW 2, 390)
Einige Jahre später festigte der Gedichtband "Es ist was es ist" (1983) Frieds Ruf als Stimme einer Generation. Das titelgebende Gedicht "Was es ist" ist vermutlich sein bekanntestes und war viele Jahre aus dem öffentlichen Raum – etwa auf Häuser- und Plakatwänden – nicht wegzudenken, worüber er nicht immer glücklich war. Auch dieser Band entwickelte sich zum Bestseller und wurde bis 2021 in 44 Auflagen mehr als 350.000 Mal verkauft.
Hörbeispiel: Erich Fried liest 1982 von Min. 1:01:16 bis 1:02:00 das Gedicht "Was es ist", das erst wenige Tage zuvor entstanden war (Österreichische Mediathek, 99-82117_k02, mit freundlicher Genehmigung).
Sprachlos
Warum schreibst du
noch immer
Gedichte
obwohl du
mit dieser Methode
immer nur
Minderheiten erreichst
fragen mich Freunde
ungeduldig darüber
daß sie mit ihren Methoden
immer nur
Minderheiten erreichen
und ich weiß
keine Antwort
für sie
(1972, GW 2, 62)
Ich wusste, wie er sich jedes Mal, wenn ihm nachts etwas eingefallen war, aus dem Bett quälte und nach unten in sein kaltes Arbeitszimmer ging, überzeugt davon, dass er nur gut schreiben konnte, wenn er an seiner Schreibmaschine saß.
(Kurz 75)
[…] während Erich den Verlockungen des Computers widerstand. Er wollte seine Originalversionen und korrigierten Abschriften physisch präsent haben, nicht unsicher irgendwo in einer Maschine gespeichert, wo sie mit einem ungewollten Tastendruck gelöscht werden konnten. Also hielt er an seiner Schreibmaschine fest, deren kaputter Wagen Anschlag um Anschlag von rechts nach links von einem Gewicht gezogen wurde, das er an eine Schnur gebunden hatte, die wiederum durch die Öse einer Schraube lief, die er seitlich in den Schreibtisch gedreht hatte.
(Kurz 132f.)
Bitte beachten Sie die Öffnungszeiten zu den Feiertagen.