Ingeborg Bachmann (1926–1973) zählt zu den bedeutendsten SchriftstellerInnen des 20. Jahrhunderts. Mit ihren Gedichten, Erzählungen, Romanprojekten, Hörspielen und Essays schuf sie ein einzigartiges, vielschichtiges Werk von ungebrochener Strahlkraft. Die neue Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek versteht sich als Hommage an die Dichterin, deren Todestag sich am 17. Oktober 2023 zum 50. Mal jährt.
Präsentiert werden von 17. November 2022 bis 5. November 2023, Manuskripte, Typoskripte, Bücher und Objekte aus dem umfangreichen Nachlass der Autorin, der sich im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek befindet. Zu sehen sind erstmals eine Reihe von Originaldokumenten wie zum Beispiel Briefe aus Bachmanns Briefwechseln mit Paul Celan, Max Frisch oder Ilse Aichinger ebenso wie Gedichtentwürfe und autobiografische Aufzeichnungen. Die Schau dokumentiert in zehn Themenkapiteln Bachmanns Auseinandersetzung mit Krieg, Krankheit, Beziehungs- und Geschlechterverhältnissen. Sie beleuchtet das leidenschaftliche Interesse der Autorin für Musik und Philosophie, führt an zentrale Orte ihrer Schreibbiografie und gibt Einblick in die Entstehungsgeschichten von Texten und in die Schreibpraxis der Dichterin
Anhand von Filmausschnitten, Fotografien und Tonaufnahmen wird außerdem jene geheimnisvolle Aura ihrer Person nachvollziehbar, die Bachmann früh zu einer Ikone der Nachkriegsliteratur werden ließ.
Die Aktualität und anhaltende Wirkung von Bachmanns Texten belegen Arbeiten und Statements zeitgenössischer AutorInnen, FilmemacherInnen und KünstlerInnen: In der Ausstellung vertreten sind etwa Ruth Beckermann, Michael Haneke, Alexander Kluge, Karoline Riha oder Sabine Gruber. Diese haben sich auf ganz unterschiedliche Weise mit Bachmann auseinandergesetzt, etwa in Form von Keramiken der österreichischen Künstlerin Veronika Dirnhofer, Malereien von Anselm Kiefer, die Bachmann gewidmet sind oder durch den „Ingeborg Bachmann Altar“, den der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn in Berlin im öffentlichen Raum gestaltete.
Auch eigens produzierte Videointerviews mit AutorInnen und WegbegleiterInnen sind in der neuen Ausstellung zu sehen, darunter ein Interview mit Bachmanns Bruder Heinz Bachmann. Neben den Exponaten zu Bachmanns Gedichten oder ihrem einzigen zu Lebzeiten vollendeten Roman „Malina“ (1971) erwarten BesucherInnen auch weniger bekannte Aspekte. Als Jugendliche hielt Ingeborg Bachmann beispielsweise ihre Eindrücke vom Ende des Zweiten Weltkriegs in einem berührenden „Kriegstagebuch“ fest.
In ihren Gedichten, Erzählungen, Romanprojekten, Hörspielen und Essays thematisierte Bachmann das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit, von Diskretion und Indiskretion, von Zeigen und Verbergen. Das Geheimnis in seinen unterschiedlichen Formen und Spielarten ist ein wiederkehrendes Motiv in Bachmanns Texten und auch ein Leitmotiv der Sonderausstellung.
Zu sehen sind in der Schau außerdem noch nie zuvor öffentlich gezeigte Filmaufnahmen von Bachmanns Reise nach Polen und ihrem Besuch des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau aus dem Jahr 1973. Viele Werkmanuskripte, Notizbücher und persönliche Gegenstände Bachmanns werden ebenfalls erstmals öffentlich präsentiert, darunter ein persönlicher Brief des späteren US-Außenministers Henry Kissingers an Bachmann, mit dem sie seit ihrer Reise nach Cambridge/USA im Jahr 1955 eng befreundet war.
Faszination und Mythos Bachmann
Ingeborg Bachmann war unbestritten der erste Medienstar der deutschsprachigen Literaturszene: bereits 1954 zierte ihr Porträt das Cover des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Mit ihren Auftritten bei der Gruppe 47 und ihren Gedichten sorgte sie für Aufsehen bei SchriftstellerkollegInnen und KritikerInnen. Da sie von ihrer Vita aber nur wenig preisgab, versuchte man ihre Lebensgeschichte aus ihren Werken zu deuten. Auch die Gerüchte um ihren geheimnisvollen Unfalltod und die Tatsache, dass die Erben den Nachlass lange Zeit größtenteils unter Verschluss gehalten haben, kultivierte regelrecht die Spekulationslust und Mythenbildung über Ingeborg Bachmann und prägt die öffentliche Wahrnehmung der Dichterin bis heute.
Von Kärnten über Wien nach Rom
Ihre ersten schriftstellerischen Versuche sind von der Auseinandersetzung mit der Kärntner Geschichte geprägt. 1950 schloss sie in Wien ihr Doktoratsstudium der Philosophie ab (sie dissertierte über die Existentialphilosophie Martin Heideggers) und arbeitete als Rundfunkredakteurin beim US-amerikanischen Besatzungssender „Rot-Weiß-Rot“. Ab Mitte der 1950er-Jahre lebte Bachmann mit wenigen Unterbrechungen in ihrer Sehnsuchtsstadt Rom. Ihre Italienliebe teilte sie mit dem Komponisten Hans Werner Henze, mit dem sie eine innige Freundschaft und eine künstlerische Zusammenarbeit verband. Bachmanns Beziehungen zu Paul Celan und Max Frisch waren intensiv, aber auch von Verwerfungen geprägt. Briefe und Dokumente belegen das leidenschaftliche wie schwierige Verhältnis der Dichterin zu beiden Autoren.
Ingeborg Bachmanns „Blutbuch“
Ingeborg Bachmann und der Schweizer Schriftsteller Max Frisch waren von 1958 an für fast fünf Jahre ein Paar. Die Trennung der beiden führte bei Bachmann zu mehrfachen gesundheitlichen Zusammenbrüchen und Klinikaufenthalten. Die Krise der Dichterin verschlimmerte sich, als Frisch 1964 seinen Roman „Mein Name sei Gantenbein“ veröffentlichte. Darin beschrieb er die Figur der schönen, narzisstischen, immer auf Selbstinszenierung bedachten Lila, in der sich Bachmann wiederentdeckte. Sie missbilligte nicht nur die Darstellung der Hauptfigur Lila, sondern auch den Umstand, dass Frisch gemeinsam Erlebtes in seinem Werk verarbeitete. Die gemeinsame Korrespondenz der beiden zeigt, dass Bachmann Frisch zwar mitteilte die Größe des Buches schon früh erkannt zu haben, gleichzeitig schickte sie ihm aber auch Änderungswünsche.
Ob Frisch auf diese eingegangen ist, lässt sich heute nicht mehr eindeutig rekonstruieren. Auch ein Fund im Nachlass des befreundeten Wiener Filmautors und Kulturpublizisten Adolf Opel macht Bachmanns Erschütterung über das Werk deutlich: in einem Handexemplar der Dichterin von „Gantenbein“ befinden sich zahlreiche Anstreichungen und Notizzettel, auf denen Bachmann die Stellen im Buch festhielt, in denen sie sich bzw. Erfahrenes wiedererkannte. Die Veröffentlichung des „Blutbuchs“, wie sie es in einem Gedichtentwurf nannte, markierte einerseits den Höhepunkt ihrer „Zeit der Krankheit“ andererseits aber auch den Beginn einer Phase der Rückgewinnung ihrer Schreibkräfte.
Diese Ausgabe mit Bachmanns Anmerkungen ist Teil der neuen Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek.
Ein besonderer Nachlass
1978 kam der Nachlass durch eine Schenkung von Ingeborg Bachmanns Erben an die Österreichische Nationalbibliothek. Davor wurden die Nachlassteile aus ihrer letzten Wohnung in Rom, aus ihrem Elternhaus in Klagenfurt und dem Haus der Großeltern in Obervellach zusammengetragen und in einen ungesperrten und einen gesperrten Teil gegliedert. Der gesperrte Teil umfasste unter anderem alle Korrespondenzstücke, private Aufzeichnungen, Amtliches, aber auch einzelne Werkblätter. Gegenwärtig noch nicht zugänglich sind die unveröffentlichten Briefwechsel bis zu ihrer Publikation im Rahmen der am Salzburger Literaturarchiv entstehenden Gesamtausgabe bzw. vertraglich festgehalten bis Ende 2025. Die schrittweise Öffnung und Herausgabe aller Schriftstücke von Ingeborg Bachmann sollte dann auch mit den letzten Mythen aufräumen.
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